Einblick in eine dunkle Realität
Die Welt anders wahrzunehmen, das lernt man bei einem Blinden-Workshop der Organisation „Licht für die Welt“. Wie es ist, sich blind durch Wien zu tasten, und was Blindheit in Entwicklungsländern bedeutet, haben wir dort erfahren.
Der 13. Oktober ist internationaler Tag des Augenlichts. Licht für die Welt hat uns eingeladen, an so einem Blinden-Workshop teilzunehmen, und mit Augenbinde, Blindenstock und nur vier Sinnen Wien zu erleben. Hoch konzentriert setzt man einen Schritt nach dem anderen, während jedes Geräusch als Orientierungshilfe dient. Wie sanft und warm sich vorwinterliche Sonnenstrahlen wirklich anfühlen, spürt man bei einer dunklen Erfahrung wie dieser. Blind zu sein, ist für einen sehenden Menschen kaum vorstellbar, denn nicht nur das Körpergefühl ändert sich. Man muss sich daran gewöhnen, zumindest anfangs abhängig zu sein, anderen Menschen bedingungslos zu vertrauen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dabei lernt man nicht nur seinen Sehsinn zu schätzen, sondern auch die medizinische Versorgung und Unterstützung, die es in anderen Ländern dieser Welt nicht gibt. Denn weltweit sind 39 Millionen Menschen blind. Viele von ihnen leben in Entwicklungsländern, und hier stellt nicht nur der fehlende Sehsinn eine Barriere dar. Vor allem durch Armut wird eine Welt ohne Licht noch dunkler.
„Die besten Waffen gegen infektiöse Augenkrankheiten sind Hygienemaßnahmen, Bildung und die Verwirklichung von Geschlechtergerechtigkeit“ sagt Licht für die Welt Experte Amir Bedri. Armut stellt blinde Menschen in Entwicklungsländern vor große Herausforderungen. Denn bei einer Anzahl von 130 Augenärzten in einem Land wie Äthiopien, kommt gesundheitliche Versorgung und Vorsorge für viele Menschen nicht in Frage. Diese könnten aber 80% der blinden Menschen weltweit helfen, ihr Augenlicht wieder zu finden. Denn es sind oft einfach behandelbare Krankheiten, wie Trachom, grauer und grüner Star, die Blindheit und Schmerzen verursachen und durch einfache Operationen, Medikamente oder eine Brille behoben werden könnten.
Armut kommt selten allein. Vor allem durch einen Mangel an Hygiene, haben Krankheiten die Chance den Menschen ihren Sehsinn zu rauben. Oft sind bakterielle Erreger, die durch den Kontakt mit Fliegen übertragen werden, die Ursache. Trachom z.B. resultiert in den meisten Ländern aus einer bakteriellen Erkrankung. Bei einer Infektion kommt es zu Bildung von Narbengewebe auf der Innenseite des Augenlids, wodurch die Wimpern nach Innen wachsen und die Hornhaut zerkratzt wird. Mit einer einfachen Operation könnte Trachom behoben werden. Doch der Zugang zu Hilfe fehlt oft, vor allem für Frauen.
64 % der Blinden weltweit sind Frauen
Zwei Drittel aller blinden Menschen weltweit sind Frauen. Das liegt vor allem daran, dass Gleichberechtigung und Emanzipation in Entwicklungsländern wie Äthiopien eher Fremdwörter sind. Frauen sind oft finanziell abhängig. Darum können sie nicht so leicht reisen, weshalb der Zugang zu meist einfacher Behandlung fehlt. Frauen in Entwicklungsländern sollen aber auch größeren Risiken und einer höheren Ansteckungsgefahr ausgesetzt sein. Denn sie übernehmen die Rolle der Kindeserziehung. Vor allem im Vorschulalter ist die Ansteckungsgefahr für Kinder am größten. Krankheitsüberträger wie Fliegen kommen oft in Kontakt mit dem Augen- oder Nasensekret von Kindern, wodurch Krankheiten auch an Mütter weitergegeben werden. Damit erkranken Frauen z.B. 4x wahrscheinlicher an Trachom als Männer. Die Gesellschaftsstruktur in solchen Ländern setzt blinde Frauen aber nicht nur vor die Herausforderung das alltägliche Leben zu meistern. Denn: „Fast ein Viertel aller Mädchen mit Behinderung ist sexueller Gewalt ausgesetzt, bei Mädchen ohne Behinderung beträgt diese Rate nur 12 %“, so Augenarzt Amir Bedri.
In Entwicklungsländern wie Äthiopien gibt es oft weniger als einen Augenarzt pro eine Million Einwohner. Davon befinden sich die meisten in der Stadt, wodurch manchen Menschen die Aussicht auf medizinische Hilfe verwehrt bleibt. Diese ist aber nicht nur für die betroffene Person selbst lebensnotwendig. Denn Menschen die in Entwicklungsländern erblinden, finden selten wieder zurück in ein Berufsleben, geschweige denn in ein soziales Gefüge. „Nur 53% der Männer und nur 20 % der Frauen finden wieder eine Beschäftigung“, sagt Amir Bedri. Finanzielle Probleme lassen nicht lange auf sich warten, und oft müssen Kinder das fehlende Einkommen durch Kinderarbeit ausgleichen. Dadurch mangelt es einem weiteren Menschen an Bildung und der Möglichkeit ein besseres Leben zu führen, womit ein Kreislauf von Armut von Neuem beginnt. Als wäre das nicht genug bringt Blindheit in vielen Fällen Einsamkeit mit sich. Diese begünstigt zusätzlich das Auftreten psychischer Krankheiten, welche in solchen Ländern nie zur Sprache kommen, geschweige denn behandelt werden.
Die Organisationen „Licht für die Welt“ möchte blinden Menschen international eine neue Perspektive eröffnen, und schafft es auch. Denn dank finanzieller Unterstützung konnten z.B. im letzten Jahr ca. 100 000 Augenoperationen durchgeführt werden. In Äthiopien wurden 3 Universitäten eröffnet, und mehr medizinische Versorgung ermöglicht. Vor ein paar Jahren hatten Menschen dort noch keine Hilfe, heute sieht das schon ganz anders aus. Es gibt aber noch viel zu tun. Denn ein Ausbau der Infrastruktur und eine angemessene medizinische Versorgung, eine Verbesserung der Hygienestandards, Hilfe zur Selbsthilfe sowie Gleichberechtigung würde vielen Menschen helfen, die Welt mit anderen Augen zu sehen.
„Ein Blick in die Zukunft fällt positiv aus“ meint Amir Bedri. Er betont, dass in Ländern wie Äthiopien, in kurzer Zeit viel erreicht wurde. Trotzdem ist es wichtig auch Bewusstsein bei der Bevölkerung zu schaffen. Denn manchmal vergisst man die Bedeutung von Gesundheit. Wir gehen mit offenen Augen selbstverständlich durch die Welt, und nehmen sie trotzdem nicht wahr. Fehlt ein Sinn wie das Sehen, lebt man eindeutig anders. Man achtet auf Geräusche, riecht Veränderung und tastet vorsichtig jedes Hindernis ab, während sich Bekanntes im Kopf zu Bildern manifestiert. All das, konnte man beim Blinden Workshop am eigenen Körper spüren und lernen. Eine dunkle Erfahrung wie diese bereichert, denn man sieht die Welt nun in einem anderen Licht.
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