Ein Visionär mit Bodenhaftung: William Morris und das Arts and Crafts Movement

Er wollte die Grenzen zwischen Kunst, Handwerk und Leben sprengen. William Morris (1834-1896) war Künstler und Unternehmer, Literat und Architekt, Mitbegründer der britischen Sozialisten sowie Vater des Arts and Crafts Movement.

Ohne William Morris wäre die Welt um einige Facetten ärmer, ganze Stilrichtungen hätte es nie gegeben, Bücher wären nie in der Form geschrieben worden. Warum? – Morris, Mitbegründer der sozialistischen Bewegung Englands, war vieles zugleich; unter anderem Künstler, Literat, Designer, Architekt und Unternehmer – vor allem aber verstand er es, Kunst und gesellschaftliche und politische Ideen mit dem Leben zu verbinden. Das 19. Jahrhundert mit seinen Umwälzungen war der perfekte Boden für einen aufgeschlossenen Denker wie Morris. Aufgrund der Erbschaft des früh verstorbenen Vaters erlebte der 1834 geborene Morris eine wenig autoritäre Schulzeit ohne finanzielle Engpässe. Er besuchte das bereits damals fortschrittliche Marlborough College in Wiltshire (das etwa auch Catherine Mountbatton-Windsor, jüngst mit dem britischen Thronfolger vermählt, absolvierte). Zunächst verdiente William Morris sein Geld als Architekt in einem Studio für Innendekoration. Hier wurden die Grundlagen für sein Unternehmertum gelegt und seine Liebe zum Produktdesign entfaltete sich.

Student und Sonderling

Später sollte Morris das Arts and Crafts Movement mitbegründen, eine Bewegung, die in Kunst und Produktdesign bis heute unverkennbar nachwirkt. Die wesentlichen Einflüsse dafür stammen aus seiner Kindheit und Studienzeit, wo sich der junge William intensiv dem Handwerk widmete. Während des Studiums in Oxford freundete sich Morris mit den Präraffaeliten an, deren Kopf Dante Gabriel Rosetti war, ein Bewunderer des Mystikers und Künstlers William Blake. Morris und seine Freunde waren – zumindest ein wenig – Sonderlinge unter den damaligen Studierenden. Ihr Bestreben lag darin, mehr Leben in die Malerei zu bringen, und vor allem die Natur in der Malerei wieder zu entdecken. Nach anfänglicher starker Ablehnung setzte sich diese, der damaligen akademischen Malerei entgegengesetzte, Strömung durch.

Im späteren Arts and Crafts Movement waren die Ziele ähnlich. Die Natur spielte eine zentrale Rolle und wirkt sich auf die Gestaltung von Produkten aus. Morris und seine Mitstreiter forderten eine Wiedervereinigung von Kunst und Kunsthandwerk. Damit verbunden war eine Ablehnung jeder industriellen Fertigung, eine Abscheu vor den Maschinen. Dass Morris diese Abneigung nicht rein im künstlerischen Sinne verstand, sondern er auch einen gesellschaftlichen Entwurf parat hatte, zeigt sein politisches Engagement. Während des Studiums lernte er Jane Burden kennen, seine spätere Frau, die aus der Arbeiterklasse stammte. Mit der gemeinsamen Tochter Mary May war er einer der ersten Sozialisten Englands. Sein Engagement floss in die damals von ihm mitbegründeten sozialistischen Verbände ein.

Entwurf der idealen Gesellschaft

Gerade aber die Verbindung von Morris’ politischen Vorstellungen und seine Arbeit als Unternehmer und Künstler sicherten ihm einen Platz in der Geschichte. In seinem utopischen Buch »News from Nowhere«, 1890 erschienen, legt er den Entwurf einer idealen Gesellschaft vor; ein Schlüsselwerk, das die Entwicklung des Denkers Morris offen legt. Bemerkenswert – für damalige Verhältnisse – ist seine Haltung Frauen gegenüber, die er aus der männlichen Unterdrückung befreien will. Klar lokalisiert er sich in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts in Ablehnung gegen das viktorianische Zeitalter.  Sein Umgang mit dem Sozialismus ist von eigener Prägung, wenn er die Grenzen zwischen Kunst, Handwerk und Leben sprengen will. Arbeit sieht er nicht als notwendiges Übel, wie viele politische Mitstreiter, sondern als kreative Entfaltung des Menschen an.

Einen Vergleich könnte man zum heutigen New Work Movement, das einen gesellschaftlichen Entwurf für das postindustrielle Zeitalter anbietet und vom Philosophen Frithjof Berman begründet wurde, ziehen. Bergman legt nahe, dass der Mensch eine neue Handlungsfreiheit brauche, sich von der Knechtschaft der Lohnarbeit befreien müsse. Demnach solle die Erwerbsarbeit nur mehr ein Drittel der Arbeitszeit in Anspruch nehmen, der Mensch würde mehr zum Selbstversorger werden und zu großen Teilen die Arbeit machen, die er »wirklich, wirklich will«.

Ein praktizierter Gesellschaftsentwurf, der an Morris erinnert, ist etwa das vom Dichter und Befreiungstheologen Ernesto Cardenal betriebene Solentiname-Projekt. Die Bewohner des Inselarchipels im Nicaraguasee nutzen das Kunsthandwerk, das sie erlernen, als Lebensgrundlage.

Ein Klassiker: Möbel von Morris & Company

Die 1861 von William Morris und Weggefährten gegründete Firma, die später den Titel Morris & Company trug, spezialisierte sich auf Inneneinrichtung, darunter Teppiche und Möbel. Charakteristisch bis heute ist das Design, das Morris und seine Mitstreiter entwarfen und das heute noch unter Lizenz verkauft wird. In der Arts-and-Crafts-Bewegung, die als Strömung in England und den USA bis weit ins 20. Jahrhundert spürbar war, wurde die Einfachheit und Klarheit eines Motivs als schön empfunden. Der Einfluss reichte weit, etwa bis zur Art Nouveau und zur Wiener Sezession, wo ähnliche Forderungen an die Kunst formuliert wurden. Gegen Ende seines Lebens gründete William Morris, der als Schriftsteller bereits ein beachtliches Werk angesammelt hatte, noch eine Buchdruckerei. Kelmscott Press erreichte noch zu seinen Lebzeiten Kultstatus: Die Bücher waren ästhetisch perfekt und enorm aufwendig produziert.

Das literarische Werk Morris’ ist umfangreich, darunter befinden sich auch Märchen wie »The Wood Beyond the World«. Wie der Titel bereits nahe legt, inspirierte es C.S. Lewis’ »Narnia«-Romane, in denen eine Welt, die durch eine Kastentür erreicht wird, beschrieben ist. Sein Einfluss reichte bis zu Tolkiens »Herr der Ringe«. Bis heute aktiv ist auch Großbritanniens legendärer National Trust zur Erhaltung von historischen Bauwerken, der direkt auf Morris zurückgeht, der die Vorgängervereinigung gegründet hatte. Morris’ große Qualität lag darin, alte und traditionelle Motive und Ideen in seine Gegenwart zu holen und gesellschaftlich absolut fortschrittlich zu denken.

BUCHTIPP: William Morris: »News from Nowhere and other writings«, Penguin Classics, 1994 (in englischer Sprache)

Link zur William Morris Gallery:  www.walthamforest.gov.uk/william-morris

TEXT Erwin Uhrmann

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