Ein Lebewesen als globale Ware
Kaum ein Tier steht heute für die negativen Seiten der Globalisierung wie das Huhn. Christian Salmhofer vom Klimabündnis zeichnet im Gespräch mit Biorama das Bild einer modernen Groteske.
Inwiefern steht das Huhn für den gesamten Globalisierungsprozess?
Das Huhn ist eine Metapher für die negative Form der Globalisierung. Erst kommt ein Großteil der Futtermittel aus Argentinien oder Brasilien zu uns, damit werden die Geflügel gemästet. Österreich als Aufzucht- und Konsumstation importiert alljährlich 600.000 Tonnen Soja. Wir hier in den reichen Staaten sind die KonsumentInnen erster Klasse. Für uns werden die Brustfilets reserviert. Nach Aufzucht und Verzehr der Gustostückerl geht das globale Geschäft mit dem Huhn weiter. Die für uns unappetitlichen Hühnerreste gehen dann wieder in alle Welt. Von Europa verschifft man die Reste zumeist nach Afrika. Das Huhn steht im Mittelpunkt des Globalisierungsprozesses, dessen ist sich aber fast niemand bewusst selbst unter Insidern. Und die Dimensionen sind gigantisch. Allein vom größten Mastbetrieb in Kärnten werden 350,000 Hühner im Monat ausgeliefert – nur 10,000 davon sind aus Biohaltung. Das hat die Leute bei der Veranstaltung zum Thema “das globale Huhn”, die vergangenen Donnerstag an der UNI-Klagenfurt stattfand, am meisten überrascht.
Wann ist Ihnen zum ersten Mal aufgefallen welche Rolle das Huhn im globalen Kontext spielt?
Seit den 90ern beschäftige ich mich mit Ernährung als Klimafaktor. Zum Beispiel wie sich der Anbau von Tomaten in Almeria (Spanien) auswirkt. Bei der Familie meiner Frau in Kirgisien ist mir dann aufgefallen, dass die tiefgekühlten Hühner im Geschäft vor Ort ursprünglich aus Brasilien stammen. Natürlich hat auch das Buch von Francisco Mari eine wichtige Rolle gespielt.
Ich bin aber auch durch die Vogelgrippe und ihre Berichterstattung auf das Thema gestoßen. In der entstandenen Panik war eine der wichtigsten Maßnahmen das Verbot, Hühner ins Freie zu lassen. Das war für die hermetisch abgeriegelte Massentierhaltung ein aufgelegter Elfer! Im Namen der Gesundheit bekam die Intensivtierhaltung, deren Sicherheitsmaßnahmen durchaus der Intensivstation eines Krankenhauses ähnlich sind, einen Freibrief.
Welche Rolle spielt das globale Huhn für die Länder, in die es exportiert wird?
Der Transport in die wirtschaftlichen „Hinterhöfe“ der Welt ist nicht nur dem Klimaschutz abträglich, auch den Menschen wird viel Leid zugefügt. Da die Kühlkette besonders aus den afrikanische Märkten häufig unterbrochen ist, sind dort die Salmonelleninfektionen exorbitant angestiegen – um bis zu 1000%! Traditionell werden die Tiere erst kurz vor der Zubereitung geschlachtet und als Ganzes verarbeitet. Nun kommen die gefrorenen Hühnerteile aus Europa und werden auf den Märkten billig verkauft. Und zwar billiger als die Hühner, die dort gezüchtet werden.
Wie geht das mit der vielzitierten europäischen Entwicklungshilfe zusammen, wenn europäische Händler den Markt einfach überschwemmen und somit die dortige Wirtschaft zerstören?
Die großen konzernartigen Agrarbetriebe finden immer Hintertüren mit der sie die EU-Gesetzgebung umgehen. Die hier unverkäuflichen Hühnerteile wären ja eigentlich Sondermüll, der mit hohen Kosten entsorgt werden müsste. Stattdessen werden die Teile nach Afrika geschifft – die Transportkosten sind da nahezu lächerlich – und dort billig verkauft. Die Gesetzgebung hinkt immer hinterher – in den 90ern war es noch der Rindfleischexport, der die lokalen Märkte unterwanderte. Gegenwärtig ist es das Huhn.
Wie kann man nun im Einzelnen etwas gegen die Gesamtsituation tun?
Der erste Punkt ist einmal Hühner als Lebewesen zu sehen und nicht als Produkt. Danach muss man sich die Umstellung auf die Bioproduktion ansehen – da gibt es immer wieder eine Diskussion darüber, ob sich von der Menge her ausgeht. Ein Problem ist ja die Begrenzung der Fläche, die die Hühner für eine artgerechte Tierhaltung brauchen und ob die Futtermittel vor Ort ausreichen. Und drittens – und das betone ich immer wieder – muss unser Fleischkonsum reduziert werden. Ich sag immer: 50% runter.
Um noch einmal auf die Bio-Frage zurückzukommen: hier muss immer darauf geachtet werden, dass es auch einen sozialen Kontext gibt. Für die Konsumentinnen und Konsumenten gibt es keine Sichtbarkeit darüber, was hinter den Produkten steht. Es muss da eine Fair Trade-Regelung geben.
Also Fair Trade auch innerhalb Europas?
Aber natürlich – was hier mit den immigrierten Erntehelfern und Landarbeitern passiert ist alles andere als fair. Ein wichtiger Schritt um eine Veränderung zu bewirken, ist aber prinzipiell, dass die Menschen Bescheid wissen. Es ist unsere Aufgabe die Zusammenhänge von Tier und Mensch sichtbar zu machen – sei es bei Festen oder bei Informationsveranstaltungen. Die Situation des Huhns kann uns viel über uns selbst sagen.
Christian Salmhofer ist steirischer Klimaschützer im Kärntner Exil und fällt in Diskussionen und Interviews immer wieder durch seine kritisch-provokante Art, auch gegenüber etablierten NGOs, auf.
Das Interview führte Imre Withalm.