Ein Königreich für Dumpster Diver

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Reden wir über Günter. Über Günter sollte man reden. Immer montags, dienstags und mittwochs gibt der Biologie-Lehrer Lebensmittel an der U1 aus. Die Produkte stammen aus der Tonne, sind aber alles andere als Abfall. Wir haben Wiens Dumpster Robin Hood über die Schulter gesehen.

17:45 Wien, Leopoldau

Günter parkt seinen Kombi, der gerade eher einem Lieferwagen gleicht, am Seiteneingang der U1. Kiste für Kiste beginnt er Äpfel, Milchpackungen, Kopfsalat, Pudding und sogar Räucherlachs auf die Mauer vor dem Bahnhofsgebäude zu schlichten. Der Inhalt aus insgesamt 22 Lebensmittelbehältern wandert aus seinem Auto und bald in die Hände hungriger Dumpsterfreunde.

Eigentlich kommt Günter ja aus Oberösterreich. Unter der Woche allerdings arbeitet der 59-Jährige unweit von Wien. Seine Freizeit nützt er zum Wühlen in Containern. „Als mein Sohn mich das erste Mal mit zum Dumpstern genommen hat, wurde mir klar: Diese Unmengen an Schätzen muss man unter die Leute bringen. Und zwar im großen Stil!“ Seit nunmehr 2 Jahren veranstaltet der Biologielehrer deshalb Treffen, bei denen er abgelaufene Waren verteilt.

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18:30

Abgelaufen heißt dabei noch lange nicht schlecht, das hat sich herumgesprochen. Jede Woche kommen etwa 70 Menschen zu Günters Sitzungen, genauso viele wie gefüllte Warenkisten. „Per E-mail kann man sich anmelden, da erfährt man auch mehr über die wöchentlichen Specials.“

Langsam trudeln Hausfrauen, Pensionisten, einzelne Studenten am Vorplatz ein – gemeinsames Erkennungszeichen: Ikea-Tasche oder Einkaufstrolley. Man will pünktlich sein, um auch ein, zwei Feinkostprodukte zu ergattern. „In der Dumpstergemeinde begegnet man sich auf Augenhöhe. Die Menschen hier haben einen richtigen Bezug zu Lebensmitteln, auch zu weggeworfenen.“

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18:45

Auf einer Liste kontrolliert Günter, wer da ist. Unabgemeldetes Fehlen wird nicht gerne gesehen. „Ich sage ja schließlich anderen Leuten ab, damit jeder eine Chance hat.“ Pünktlich werden die Treffen mit einer allwöchentlichen Lotterie begonnen. Günter präsentiert besonders wertvolle Lebensmittel wie Schokolade, Alkohol oder Hühnerbeine. Wer bald Geburtstag hat, darf vortreten und seinen Dumpster-Bonus kassieren.

Günters Hobby ist zeitaufwendig: 3 Stunden täglich investiert er, allein fürs Abklappern der Müllcontainer. Seine Finger vom Abfall kann er nicht mehr lassen: „Ich gehe so gut wie nie mehr in einen Supermarkt. Mein Lebensmittelbudget liegt bei 10 Euro im Monat.“ Sogar Pflegeprodukte und Waschmittel fischt er dabei aus dem Müll. „Letzte Woche war ein Durex-Gleitgel dabei. Aber lustigerweise hat sich niemand getraut, es mitzunehmen.“

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19:00

Nach akribischer Durchsicht der Produkte ziehen die Abnehmer – nicht ohne Günter noch einmal herzlich zu danken – ab. „Die meisten, die einmal hier waren, kommen auch wieder,“ verkündet er. Unter Günters Dumpsterfreunden sind einige, die am Existenzminimum leben, und viele, die nachhaltiger Konsumieren wollen.

„Durch Dumpster Diven spare ich mir stolze 300 Euro monatlich, auf zwei Jahre hochgerechnet sind das über 7000 Euro.“ Das so ersparte Geld will er bald in eine Kreuzfahrt investieren.

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Bei der Frage, ob er noch niemals Probleme mit der Polizei hatte, muss Günter grinsen: „Klar, oft werde ich wegen Einbruch oder Diebstahl angezeigt. Aber ich weiß mittlerweile, dass das juristisch nicht standhält.“

In Österreich setzt Diebstahl das Entwenden fremden Gutes unter dem Vorsatz der Selbstbereicherung voraus. „Müll hat keinen wirtschaftlichen Tauschwert, ist also nichts wert. Somit kann man sich mit fremdem Müll auch nicht bereichern. Dasselbe gilt für Einbruch: Wenn jemand deine Wohnung aufbricht, bei dir fernsieht und dann einfach wieder geht, kann man ihn zwar wegen Besitzstörung klagen, aber nicht wegen Einbruch drankriegen.“ Insgesamt viermal gingen Günters Anklagen schon bis zum Staatsanwalt – ohne Erfolg.

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19.15

Der Anblick der vollen Tüten lässt auch uns ins Schwärmen geraten. Wir wollen deshalb noch einmal sichergehen: Ist davon wirklich nichts verdorben?

„Natürlich kann einmal etwas nicht mehr gut sein. Das ist aber die Ausnahme,“ versichert uns der Containerprofi. „Meist wundern sich meine Dumpsterfreunde, wie lange die Lebensmittel wirklich noch halten.“ Neben dem Mindeshaltbarkeitsdatum, sind es meist Rückrufaktionen, die die Produkte in den Müll manövrieren. „Nach dem Schokoriegel-Skandal von Mars, habe ich beispielsweise 120 Kilogramm Celebrations aus dem Container geholt. Das war ein Fest!“

Günter will seinen Abnehmern auf keinen Fall nur Müll servieren. Deshalb höre er sich ständig nach wirklich ernstzunehmenden Rückrufen um, salmonellenversäuchte Ware etwa lande nie in seinem Sortiment.

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Eine Badewanne voller Lebensmittel spricht für sich. Containern hat finanzielle Vorteile, aber nicht nur: „Seit ich im Müll wühle, esse ich wesentlich abwechslungsreicher. Während man sich früher halt nur eine Packung Gemüse gekauft hat, hat man jetzt 8 verschiedene Sorten daheim – außerdem Lebensmittel, auf deren Kauf man selbst nie gekommen wäre“, Günther weiß wovon er spricht.

Eine ressourcenschonendere Einstellung zu Lebensmitteln will der Biologielehrer nicht nur seinen Schülern vermitteln. „Ich bin froh, wenn sich mehr Leute fürs Dumpstern interessieren und zeige gerne, wie’s geht. Dann habe ich weniger Arbeit und andere Menschen mehr im Kühlschrank.“

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