Ein bisschen weiter gehen

1972: Tony und Maureen in Exmouth, North-West Cape, Australien © Tony Wheeler

1972: Tony und Maureen in Exmouth, North-West Cape, Australien © Tony Wheeler

Vor 40 Jahren ist mit »Across Asia on the Cheap« der erste Lonely-Planet-Reiseführer erschienen. Geschrieben und – so will es die Legende – handgefertigt in einer kleinen Wohnung in Sydney, gilt er als Grundstein für den größten Reisebuchverlag der Welt. Tony Wheeler, dessen Mitbegründer, über das Erwachsenwerden mit den Lesern und dem Erfolg.


BIORAMA: Ich nehme an, du hast die Entstehungsgeschichte von Lonely Planet schon tausend Mal erzählt – welche Erinnerungen hast du, wenn du an den allerersten Reiseführer zurückdenkst, den du gemeinsam mit deiner Frau Maureen vor 40 Jahren geschrieben hast?

Tony Wheeler: Woran ich mich am besten erinnern kann, ist unser erster Trip durch Asien. Es war eine spannende Zeit um unterwegs zu sein, es war eine lange Reise, wir waren jung und unerfahren – all das hat die Sache so interessant gemacht.

Was war spannend an dieser Zeit?

Es waren die frühen 70er Jahre. Die Nachkriegs-Babyboomer, von denen ich einer gewesen bin, waren Anfang 20. Die Route durch Asien wurde »Hippie Trail« genannt. Viele Länder waren damals noch relativ unbekannt, die Horizonte waren irgendwie weiter. Dort unterwegs zu sein, erschien neu und sehr aufregend. In etwa zu dieser Zeit waren auch die Beatles in Indien – es war eine Ära!

Seit damals hat sich Lonely Planet zu einer international bekannten Marke entwickelt, mit hunderten von publizierten Reiseführern und Millionen verkaufter Exemplare. Was war der Wendepunkt, an dem sich der Verlag von einem ungezwungenen Projekt junger Globetrotter zu einem weltweit agierenden Unternehmen wandelte?

Ich denke, das ist nicht an einem einzelnen Punkt festzumachen.Es war nicht wie bei vielen Unternehmen heutzutage, Facebook oder etwas in der Art, die aus dem Nichts plötzlich hundert Millionen Dollar wert sind. Viele Jahre lang ist Lonely Planet sehr langsam gewachsen. Aber es gab ein paar Meilensteine. Etwa unser zweites Buch, ein Reiseführer für Südostasien. Er wird immer noch gedruckt und hat über die Jahre hinweg viele Exemplare verkauft. Das hat uns gezeigt, das wir etwas machen können, das Kontinuität und Bestand hat. Ähnlich war es bei unserem ersten Indien-Guide – die Leute haben ihn geliebt.

1976: Tony und Maureen Wheeler mit Lonely Planet T-shirts © Peter Campbell

1976: Tony und Maureen Wheeler mit Lonely Planet T-Shirts © Peter Campbell

Was war deiner Einschätzung nach der Grund für diesen Erfolg?

Einer der Gründe war wohl, dass wir Bücher gemacht haben, die sonst keiner gemacht hat. Es gab diese großen Verlage in London, New York etc. Wir jedoch waren ein kleines Unternehmen am anderen Ende der Welt. Also mussten wir nach Destinationen suchen, die die anderen Verlage nicht behandelt haben. Außerdem war unser Fokus nur auf das Reisen gerichtet. Andere Verlage deckten dieses und jenes ab – und eben auch die Reisesparte. Für uns hieß es hingegen: travel or nothing.

Denkst du, dass für das Reisen als Rucksacktourist, für das Lonely Planet lange Zeit gestanden ist, ein Reiseführer auch notwendiger war? Insbesondere weil die Länder, über die ihr geschrieben habt, über eine eher schwache Infrastruktur verfügten.

Das stimmt sicherlich. Ganz zu Beginn haben wir Bücher für Leute gemacht, die – so wie wir – in ihren frühen 20ern waren und kein Geld hatten. Wenn man auf diese Art reist, erhält man aber ein viel besseres Bild der Realität. Ich glaube, das war auch ein Faktor für den Erfolg des Unternehmens in seinen frühen Tagen.

Wie würdest du den typischen Lonely-Planet-Nutzer beschreiben?

Ich denke, den gibt es heutzutage gar nicht mehr. Früher hätte ich gesagt, es ist jemand in seinen 20ern, der individuell reist und eher länger unterwegs ist. Wir haben zwar immer noch dieses Rucksacktouristen-Image, aber das trifft nicht mehr wirklich zu. Lonely-Planet-Reisende können mittlerweile alles Mögliche sein – etwa auch jemand mit Familie oder ältere Leute. Unsere Leser sind definitiv mit dem Verlag erwachsen geworden. Aber ich gehe davon aus, dass viele der Reisenden, die unsere Bücher verwenden, noch diesen Sinn für Abenteuer haben – sie wollen ein bisschen weiter gehen, die Dinge ein wenig realistischer erleben.

Tony Wheeler in Burma © Jane Hobbs

Tony Wheeler in Burma © Jane Hobbs

Lass uns über zwei Themen sprechen, für die Lonely Planet in der Vergangenheit immer wieder Kritik einstecken musste. Zum einen dafür, dass Reiseziele empfohlen wurden, in denen sich die politische Führung nicht sonderlich um die Einhaltung der Menschenrechte schert.

Das Land, das in diesem Zusammenhang immer genannt wird, ist Burma. Wir hatten viele Kontakte dorthin und dachten, dass der Tourismus für Burma eine gute Sache wäre. Ich glaube, ein Teil des Wandels, der dort stattgefunden hat, ist auf die Leute zurückzuführen, die das Land bereist haben. Die Regierung hat erkannt, dass es verrückt wäre, einfach so weiter zu machen wie bisher, dass sie demokratischer handeln muss. Und der Tourismus hat dabei meiner Meinung nach eine Rolle gespielt.

Viele Orte, die ihr empfohlen habt, waren bis dahin auch eher unberührt. Die Touristen brachten dann aber negative Auswirkungen für die Umwelt mit sich.

Das stimmt, aber wir waren nur ein Teil der Veränderungen, die ohnehin stattgefunden hätten. Viele Regionen sind nun mal im Wandel. Nimm etwa Asien: Okay, die Reisetätigkeit hat stark zugenommen, aber alles andere hat sich auch verändert. Es gibt viel mehr Industrie, viel mehr Jobs – das Reisen ist nur ein Teil davon. Und auch wenn wir keine Reiseführer machen würden, würden die Leute trotzdem noch reisen. Ich hoffe aber, dass wir unsere Leser irgendwie dazu angespornt haben, auf nachhaltigere, respektvollere Art und Weise zu reisen und das Land, in dem sie unterwegs sind, besser zu verstehen.

Ist Nachhaltigkeit im Bereich Tourismus etwas, das die Menschen beschäftigt?

In jedem Fall. Wir alle denken die ganze Zeit darüber nach, welche Auswirkungen die Dinge, die wir tun, haben. Es wird uns immer mehr bewusst, dass so ziemlich jeder Atemzug irgendeinen Einfluss auf die Umwelt hat. Beim Tourismus stellt sich diesbezüglich die Frage: Ist er alles in allem eine gute oder eine schlechte Sache? Und ich denke, er ist eine gute Sache. Klar, er verursacht Schaden, aber in vielerlei Hinsicht bringt er auch Positives mit sich.

Denkst du, dass es angesichts steigender Bevölkerungszahlen und immer mehr Menschen, die sich das Reisen etwa mit dem Flugzeug leisten können, zu einer Art Selbstbeschränkung kommen wird?

An einem gewissen Punkt muss es zur Einsicht kommen, dass es so nicht weitergehen kann. Ähnliches hat man sich ja auch schon beim Bevölkerungswachstum gedacht. Die Weltbevölkerung kann nicht einfach wachsen und wachsen und wachsen … Und jetzt sind erste Anzeichen zu erkennen, dass die Geburtenrate in fast allen Ländern sinkt – ob in Europa, wo sie unter die Sterberate gefallen ist, oder in Afrika, wo Frauen im Durchschnitt acht Kinder bekommen haben und jetzt weniger als fünf oder gar nur vier. Das bewegt sich hin zu einem nachhaltigen Niveau. Trotz positiver Signale bereitet mir das Sorgen. Man kann nur hoffen, dass die Balance erreicht wird, bevor es zu spät ist.

© Jane Hobbs

© Jane Hobbs

Lass uns am Ende des Interviews zu dir zurückkommen. Ich nehme an, du genießt es immer noch zu reisen und gibst auch immer noch gerne Reisetipps?

Ja, so sehr wie eh und je. Für den Rest meines Lebens werde ich nirgends mehr hinfahren können, ohne Notizen zu machen – das ist etwas, nach dem ich wirklich süchtig geworden bin.

Verrätst du uns, welcher Ort auf der Welt dein liebster ist?

Ich habe keinen dezidierten Lieblingsort, aber in Nepal bin ich wohl öfter gewesen als in sonst einem Land. Ich bin gerne zu Fuß unterwegs – man erlebt die Orte mit einer vernünftigeren Geschwindigkeit, als wenn man fährt oder fliegt –, und Nepal ist ein großartiges Land, um zu Fuß zu reisen. Auch in Burma bin ich ich viele Male gewesen –wegen der Schwierigkeiten, die uns das Land gebracht hat, ist mein Interesse daran wohl besonders ausgeprägt. Aber ich mag alle möglichen Arten des Reisens: Ich mag »zivilisierte« Erste-Welt-Trips durch Europa und ich mag die ungewöhnlichen und wunderbaren Orte. Ich reise überall hin!

Ein All-Inclusive-Resort kommt aber nicht in Frage, oder?

Ich bin schon in einem gewesen! Wir waren vor ein paar Jahren in Kuba, und da das ein Land ist, in dem ein großer Teil des Tourismus aus Europa in All-Inclusive-Resorts stattfindet, dachten wir, wir sollten das mal ausprobieren.

Und dein Resümee?

Naja, jetzt, da ich es probiert habe, muss es nicht noch einmal sein.

Ihre Anteile an Lonely Planet haben Maureen und Tony Wheeler im Verlauf der letzten Jahre an BBC Worldwide, ein Tochterunternehmen der britischen Rundfunkanstalt, verkauft. Obwohl sie nicht mehr ins Tagesgeschäft des Verlags involviert sind, stehen sie ihm nach wie vor beratend und für öffentliche Auftritte zur Verfügung. Ihr Engagement gilt aktuell auch der von ihnen ins Leben gerufenen Stiftung Planet Wheeler, die Hilfsprojekte in Entwicklungsländern finanziert.

www.planetwheeler.org

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