Eating Gender: Sexistisches Essen macht krank

Grafik: BR (c)

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Eine Studie zeigt: Männer ignorieren Ernährungsempfehlungen weitegehend, Single Frauen ernähren sich deutlich gesünder, wenn auch aus den falschen Gründen.

„Was machen Frauen beim Grillen?“ – „Den Salat.“ So schlecht der Witz sein mag, so gut beschreibt er, die Vorstellung von Geschlechterbildern, die uns Werbung ständig vermittelt. Männer stehen am Grill, bewaffnet mit Grillzange und meistens einem kleinen Bier – ein großes wär zu prollig. Die Frau ist im Haus und kümmert sich um den Salat oder widmet sich anderen grill-unterstützenden Tätigkeiten. Wenn jemals Menschen von Außerirdischen entführt wurden, dann sind sie danach scheinbar alle ausnahmslos in der Werbung gelandet. Im Mutterschiff muss man ihnen dieses Ur-Bild der heterosexuellen Paar-Beziehung irgendwie genetisch implantiert haben. Anders kann ich mir nicht erklären, warum es praktisch unverändert von Generation zu Generation weitergegeben wird.

Vielleicht ist die Allgegenwart diese Grill-Motivs auch nur gefühlt, aber sie scheint in den Zeitgeist zu passen: Die Phase nach der Metrosexualität zeichnet sich durch eine Sehnsucht nach Maskulinität aus. Die Möglichkeiten diese im Kontext von allmählich aufbrechenden Rollenbildern zu inszenieren haben sich aber verändert. Die Wege diese auszuleben gehen unter die und aus der Haut – Tattoos und Bärte sind beim Kreissparkassen-Mitarbeiter genauso salonfähig wie beim Chefhipster. Grillen ist da vielleicht ein weiter Mosaikstein: Kochen ist zwar noch immer vorwiegend feminin besetzt, wenn es aber zum Event wird – und das reicht vom Hobby-Grillen bis zur Spitzengastronomie – ist es auch für Männer legitim.

Es gibt männliches und weibliches Essen, wenn man der Werbung glaubt.

Werbung für kulinarische Männerprodukte

Während laut Studie generell weniger gekocht wird, greifen besonders Single-Männer besonders häufig zu Convenience-Produkten. Denn was essen, wenn man keine Zeit hat um ein Stück Fleisch auf offenen Feuer zu rösten? Eben. Also eine Pizza in den Ofen schieben? Sich einen Burger mitnehmen? Warum nicht beides haben sich die pfiffigen ProduktentwicklerInnen von Dr. Oetker gedacht und kurzerhand den Pizzaburger erfunden: „Fingerfood für Fäuste“. Ja, die meinen das Ernst. Verkaufsargument: „easy to eat!“, illustriert wird der Claim von einer gezeichneten Hand die das entsprechende kulinarische Missverständnis festhält. (Aber was mach ich dann damit?!?). In der dazugehörigen Fernsehwerbung erfährt man auch, es handle sich dabei um Essen (für alle, die ihren Sixpack lieber trinken als trainieren, Salat für Tisch-Deko halten und für die Messer und Gabel Kinderkram sind).

Beim Betrachten der Werbung stellt sich dann auch ein leiser Zweifel ein, ob die beiden Jungs auch mit Messer und Gabel umgehen würden können. So sitzen sie, beide recht schlank – vielleicht bedingt durch ihre Messer-und-Gabel-Legasthenie oder die Tatsache, dass sich das nicht allzu oft essen -, vollbärtig und biertrinkend vor dem Backrohr und stieren mit leeren Blick auf dieses wertlose Weißbrot-Wäh – sie sind von Urinstinkten Getrieben: Sie haben keinen Appetit, sondern Hunger, sagt die Werbung. Und man fragt sich plötzlich ob es nicht einmal (jahrhundertelang) das Ziel von Sexismus und Rassismus war, weiße Männern als die Speerspitze der Zivilisation und des Raffinement darzustellen und was eigentlich aus diesem Projekt wurde? Das Schöne am Sexismus (für Männer) ist ja, dass sie beides gleichzeitig sein können – animalisch und intellektuell, Cro-Magnon Vollhorst der zum ersten Mal ein Backrohr sieht und aseptische Ausgeburt von Kognition und Ratio, die sich von Soylent ernährt, um effizient arbeiten zu können ohne Zeit an körperliche Bedürfnisse zu verschwenden.

Alles unter Kontrolle

Und Werbung wäre nicht Werbung, wenn Frauen nicht zumindest genauso schlecht wegkommen würden. Tatsächlich zeigen Studien, dass Frauen – oder der Werbung folgend ätherische Wesen, die sich von Luft, Licht, „light“ sowie lustigem Salat und Joghurt gegen ihre Blähungen (bei dem ganzen Grünzeugs kein Wunder!) ernähren – mehr über Ernährung wissen und sich weibliche Singles auch tatsächlich gesünder ernähren. Hinter der Gesundheitsorientierung stecke aber oft das Streben nach Attraktivität, erklärt die Ernährungssoziologin Monika Setzwein: „Ihre soziale Anerkennung hängt in hohem Maße von einer gelungenen Körpermanipulation ab.“

Während Männer ihr Essverhalten stärker als lustvoll erleben und beim Thema Ernährungsempfehlungen gleichgültig oder ahnungslos mit den Schultern zucken, nimmt es bei Frauen mehr den Charakter eines Diät- und Kontrollverhaltens an. Männer leiden häufiger an Übergewicht, Frauen sind öfter von Essstörungen – zirka neun mal so oft wie Männer – betroffen. Dazu zählen nicht nur Anorexie, Bulimie oder Binge-Eating-Disorder, sondern auch die Orthorexie, die zwanghafte gesunde Ernährung. Natürlich ist Ernährung nicht bloß eine Frage des Geschlechts, sondern auch von Faktoren wie Bildung, Einkommen und Herkunft abhängig. Laut Setzwein variiert das Ernährungsverhalten von Frauen allerdings weniger stark anhand sozioökonomischer Faktoren. Der Druck zur Körperkonformität und entsprechendem Essverhalten ist höher.

Lunch (41415099)“ von Gideon from Paris, France – lunch. Lizenziert unter CC BY 2.0 über Wikimedia Commons.

Essen macht Gender

Was Geschlecht und Ernährung verbindet, ist, dass sie beide bei der Physis des Menschen ansetzen und sich in ihrer Unterschiedlichkeit als natürlich vorstellen. Die Differenzen in den Ernährungsweisen lassen sich nicht bzw. nur sehr beschränkt mit unterschiedlichen physischen Gegebenheiten und Notwendigkeiten argumentieren. Es ist vielmehr so, dass sich Geschlechter-Identitäten über unterschiedliche Ernährungsweisen herstellen. Doing Gender – die aktive Herstellung und Kommunikation der eigenen Geschlechtlichkeit – ist zu einem großen Teil auch ein Eating-Gender. Essen ist wie Kleidung, Gestik und (Körper-)Sprache eine intensive Form der Herstellung von Geschlechtlichkeit. Es hat eine direkt körperliche Ebene und Auswirkung und ist aufgrund ihrer direkten Erlebbarkeit stark emotional besetzt. Immer wieder stolpere ich über Dating-Profile mit dem Vermerk „bitte keine Veganer“ (wird es aber auch bestimmt umgekehrt geben). Jemand aufgrund des Verzichts auf tierische Produkte als mögliche große Liebe auszuschließen, zeugt entweder von einer riesigen Abneigung gegen VeganerInnen oder einer extrem intensiven Beziehung zu tierischem Eiweiß.

Glaubt man Foodblogs und Fotos von der Nahrungsaufnahme auf Instagram, dann scheinen animistische Auffassungen vom Wesen der Welt eine Wiedergeburt zu feiern. Ludwig Feuerbachs Bonmot – „der Mensch ist, was er isst“ – erhält im Kontext von Geschlechteridentitäten eine neue Radikalität: Männer essen Fleisch – „Es ist wie kein anderes Nahrungsmittel von einer Aura umgeben, in der sich Macht, Stärke und Potenz zu einer quasi magischen Einheit verdichten“, schreibt Setzwein. Frauen dagegen im Idealfall gar nichts, wenn es sein muss wenig und dann vorwiegend Obst, Gemüse, light-Produkte und Süßes, wahlweise inszeniert als Schwäche oder Belohnung. Oder um es kurz zu machen kann man auch einfach die Slogans für das koffeinhaltige Kotzgetränk Afro-Cafe zitieren: „Sweet for the Ladies“ und „Strong for the Men“.

Es scheint keine soziale Sphäre zu geben, in der mit solcher Verbissenheit an den allerdümmsten Stereotyopen menschlicher Zweigeschlechtlichkeit nicht nur festgehalten, sondern aktiv weiter gearbeitet wird, wie in der Werbung. Dafür, dass das auch in Zukunft so bleiben wird, darf man sich beim Österreichischen Werberat bedanken: Im konkreten Fall befand dieser, dass der McDonald’s Slogan „Speziell für Frauen und alle die Salat lieben“ nicht sexistisch sei, denn: „Dass sich ein Unternehmen in seiner Werbebotschaft bewusst an ein Geschlecht als Zielgruppe wendet, wird von den Werberäten nicht als sexistisch beurteilt.“ Der Beschwerdegrund „Geschlechterdiskriminierende Werbung“, konnte nicht nachvollzogen werden. Alles was da noch bleibt ist sich zu Weihnachten einen neuen Werberat zu wünschen.

„Goose roasted“ von Ekki01 - Eigenes Werk. Lizenziert unter GFDL über Wikimedia Commons.

Goose roasted“ von Ekki01Eigenes Werk. Lizenziert unter GFDL über Wikimedia Commons.

„Die größte kollektive Essstörung des Jahres“

Man sollte zu Weihnachten – auch bekannt als größte kollektive Essstörung des Jahres – auch an jene denken, die in dieser Zeit besonders leiden. Menschen mit wirklichen Essstörungen zum Beispiel: Sie sind aufgrund der auf permanent gestellten Norm zur Nahrungsaufnahme erhöhtem Druck ausgesetzt. Aber natürlich auch Männer: Weihnachtszeit ist Keks-Zeit, der Süßkram und das weibische Gebäck aber Frauensache. Da bleibt neben Punsch, Glühwein, Glühmost und Glühbier, sowie abgesehen von Festbock und herkömmlichen Bier nicht mehr viel um sich in Weihnachtsstimmung zu versetzen. Wenn es doch bloß Kekse für Kerle geben würde. Mit Fleisch und „herzhaft“ müssten sie sein.

Für Männer, die das wirklich in ihrer Lebenswelt als problematisch erfahren gibt es eine Lösung, die genauso ernstzunehmend ist, wie das Problem: Beef! – das Männer-Koch-Magazin hat sich der Aufgabe verschrieben sämtliche Artefakte neurotischer Männlichkeit einzukochen und im Druck haltbar zu machen. Passend zu Weihnachten findet man dort unter dem Stichwort „Back mit Hack“ tolle Rezepte wie Fleischplätzchen, Enten-Lebkuchen und Hackfleisch-Stollen. Die Kreationen, klingen allesamt so, als würden sie aus der „Andi & Alex“ Kochshowpersiflage von Stermann und Grissemann stammen, reichen aber nicht an Leberrolle und Grilltorte heran. Ich bleib daher beim Original und lauf jetzt mal los, um einen „Bronut“ am Klopfbalkon zu grillen und mich maskulin auf Weichnachten einzustimmen. Mahlzeit und Frohe Fest.

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