Ist das noch Mountainbiken?
Höhere Geschwindigkeit und mehr Reichweite bei weniger Aufwand – und das fast ohne Emissionen. Inwiefern lassen sich die Vorteile des E-Bikes auf Mountainbikes übertragen? Christoph Wimmer ist dem Boom in die Salzburger Berge gefolgt.
Höhenprofile von Mountainbikestrecken ähneln oft einer Glockenkurve. Man fährt irgendwo hinauf, dann fährt man irgendwo hinunter. Voraussetzung dafür ist die nötige Fitness. Wem die Zeit fehlt, um Kraft und Kondition aufzubauen, oder für wen das gesundheitlich schwierig ist, wird sich die Investition in ein Mountainbike zweimal überlegen. Einen möglichen Kompromiss stellen hier E-Mountainbikes dar. Was vor wenigen Jahren noch als Nischenprodukt für Senioren vermarktet wurde, führt heuer die Verkaufscharts im wirtschaftlich starken E-Bike-Sektor an.
Um zu erfahren, was hinter dem Trend steckt, reise ich nach Salzburg in die Region Leogang Saalfelden. Saalfelden nimmt seit 2007 am Landesprogramms »e5« teil und setzt sich damit aktiv für langfristige Klimaschutzmaßnahmen und mehr Energieeffizienz ein. Dabei zählen E-Mountainbikes zu den Schwerpunkten, auf die im Tourismus gesetzt wird. So bieten zum Beispiel zahlreiche Gastronomen in der Region die Möglichkeit, die Batterien der fast emissionsfreien Fortbewegungsmittel kostenlos aufzuladen.
MTB VS. E-MTB
Bei der Talstation der Asitzbahn in Leogang warten zwei Fahrräder auf mich: das Scott E-Genius 730 und das Scott Scale 740. Beim E-Genius handelt es sich um ein modernes 27,5+ Enduro E-Mountainbike mit 160mm Federweg und Bosch Elektromotor. Das Scale ist ein 29er Cross Country Hardtail. Mit nur 11 kg Gewicht bringt es weniger als halb so viel auf die Waage wie das E-Bike.
Im direkten Vergleichstest fahre ich einen Abschnitt der »Gunzi Trail«-Tour in Leogang erst mit dem herkömmlichen, dann mit dem E-Mountainbike. Die sechs Kilometer kurze Strecke verläuft erst steil 200 Höhenmeter hoch auf den Sonnberg, bevor ein Singletrail (S1) durch ein schattiges Waldstück wieder zurück ins Tal führt. Stellenweise müssen bei der Auffahrt Steigungen von 20 Prozent überwunden werden.
Unterschiede beim Fahren
Obwohl das leichte Cross Country Bike sich dank seiner Rahmengeometrie besser als die meisten Fahrräder für Anstiege eignet, zwingen mich die 20 Prozent bald zum Absteigen und Schieben. Auf dem E-Bike hingegen lässt sich das Steilstück dank »Turbo-Modus« mit 11 km/h bewältigen – zwar auch nicht ohne Schweiß, aber immerhin. Das Wechseln zwischen den fünf verschiedenen Modi des Motors gelingt nach einer kurzen Eingewöhnungsphase so intuitiv wie das Schalten.
Auch beim Downhillteil der Strecke schalte ich für Wurzel- oder Hügelpassagen immer wieder kurz den Motor hinzu. Was das 23 Kilogramm schwere E-Mountainbike an Agilität einbüßt, macht es durch seine Spurtreue wieder wett. Fehler in der Linienwahl verzeiht es gnädig. Bergab wirkt sich das Gewicht positiv aus, und dank der Kombination aus breiten Reifen und 160mm-Federweg überrollt man Hindernisse mühelos.
Wenig überraschend war das E-Bike im Vergleich deutlich schneller. Fünfeinhalb Kilometer fuhr ich damit in 17 Minuten mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 20 km/h. Mit dem Hardtail brauchte ich für dieselbe Strecke bei durchschnittlich 11 km/h beinahe doppelt so lange.
Ein Kompromiss aus Sport und Spazierfahrt
Nach zwei Tagen hatte ich mit dem E-Mountainbike 75 Kilometer und 2.000 Höhenmeter zurückgelegt. Solche Distanzen sind ohne Hilfe eines Motors eher Profis vorbehalten. Mit den körperlichen Anstrengungen geht beim normalen Mountainbiken oft auch ein gewisses Nachlassen der kognitiven Fähigkeiten einher. Man ist dabei so auf die eigene Leistung fixiert, dass man die Umwelt vergisst. Mit einem E-Mountainbike radelt es sich entspannter, man kann dabei besser die Natur genießen und kommt frischer am Gipfel an.
Antrieb für Antriebslose?
Das Klischee, dass E-Bikes tendenziell etwas für ältere Semester sind, kann Paul Mitterer, Geschäftsführer des Bike-Verleihs und Scott-Testcenters Sport Mittererer, bestätigen: »Unterschiede gibt es höchstens bei den Arten von E-Mountainbikes, die ausgeliehen werden«, die klassische E-Mountainbikes hätten eine insgesamt etwas ältere Zielgruppe, schlicht, weil sie für die einfacher zu fahrenden Strecken am besten geeignet seien. Doch Fully oder Enduro E-Mountainbikes würden »von ganz jung bis ganz alt verlangt«.
Der 65-jährige ehemalige Skirennläufer – Wer ist das in dieser Gegend nicht? – ist selbst begeisterter E-Biker und sagt: »Ich bin inzwischen mit dem E-MTB so sportlich unterwegs wie früher mit dem normalen MTB. Mir macht es unglaublich Spaß, weil ich damit eine wesentlich größere Reichweite habe. Kraft und Kondition sind nicht mehr wie früher, aber das lässt sich mit dem E-Bike super kompensieren. Dazu kommt, dass man dabei auch die Natur mehr genießen kann, weil man nicht bei jedem steilen Anstieg müde und fertig ist. Das ist für mich das Beste beim E-Bike.«
Manch ein Purist mag der Ansicht sein, man müsse sich den Downhill erst durch den Uphill verdienen. Ich habe in diesen zwei Tagen aber bemerkt, dass E-Mountainbikes nicht bloß existieren, um irgendwelche Defizite auszugleichen. E-biken kann für sich als eigenes Genre der Fortbewegung stehen, und braucht den Vergleich zum herkömmlichen Mountainbiken weder zu scheuen noch zu suchen.
Offenlegung: Die E-Bikes wurden zu Testzwecken vom Bike Verleih Sport Mitterer bereitgestellt.
BIORAMA #56