Reckhaus rüstet um

Dr. Reckhaus Biozide

Die Aktion „Fliegen retten in Deppendorf“ mit Frank und Patrik Riklin und Dr. Hans -Dietrich Reckhaus. ©Reimar Ott

Wie ein Biozid-Hersteller aus Bielefeld seine ganze Branche downsizen möchte, um vom »Giftmischer« zum Umweltdienstleister zu werden.

»Wir haben es durchgezogen«, sagt Dr. Hans-Dietrich Reckhaus, während er auf seinem Smartphone ein Video zeigt. Darin steht er an seinem Messestand auf der Nürnberger Biofach-Messe. Es geht um Insektengift und auf dem von ihm beworbenen Produkt steht sein Name: Dr. Reckhaus. In dem Handy-Video ist zu sehen, was er und zwei Künstler in Deppendorf angestellt haben. Der Ort heißt tatsächlich so und liegt in Ostwestfalen. Dieser Ortsname, das betont seriöse Auftreten des Dr. Reckhaus, die leicht altbackene Namensgleichheit von Mensch und Produkt und schließlich dieses Video auf dem Handy: Das alles muss man erst einmal mit ein bisschen Distanz analysieren, um sicherzugehen, dass man es nicht mit Performance-Kunst oder Satire zu tun hat. Schließlich besteht der Messestand des Dr. Reckhaus aus einem Wohnzimmer, das kopfüber von der Decke herabhängt.

Irgendwann wird im Gespräch klar: Dieser Doktor aus Bielefeld meint es ernst. Er zieht es tatsächlich durch, denn er hat eine Vision. Der Westfale Reckhaus führt ein Unternehmen, das Biozide herstellt. Insektengift. Nicht gerade ein sympathisches Business, denken die einen. Wie praktisch, denken die anderen. Und viele denken beides gleichzeitig. Firmenerbe Reckhaus – er führt das Unternehmen in zweiter Generation – hat sich ebenfalls seine Gedanken darüber gemacht und ein Buch darüber geschrieben. Er möchte mehr tun als Insekten vernichten. Er möchte sie fernhalten, wo sie Menschen stören und ihnen anderswo Lebensraum gewähren. »Die ersten bekämpfungsneutralen Bekämpfungsprodukte der Welt« nennt er das. Dabei geht es um Ausgleichsflächen und um den Wandel eines mittelständischen Chemieunternehmens zu einem Umweltdienstleister. Letztlich aber geht es auch um das Umkrempeln einer ganzen Branche.

„Deine Produkte sind schlecht“

Begonnen hat dieser Prozess vor ein paar Jahren, als der kunstinteressierte Unternehmer Reckhaus die Künstler Frank und Patrik Riklin darum bat, ein Werbekonzept für eines seiner Produkte zu entwickeln, ein längst etabliertes Gift. Schon seit über 50 Jahren vertreibt die Firma Reckhaus Insektengift unter dem Markennamen Recozid. Dass es als Chemieunternehmer auch umweltfreundlichere Wege gäbe, Geld zu verdienen, war Reckhaus früh bewusst. Allerding verdrängte er das gerne. Als junger Student an der Universität St.Gallen war er 1990 der erste Diplomand, der seine Abschlussarbeit auf Umweltpapier abgab. Er hatte sie über Umweltschutz in der Chemiebranche geschrieben und anschließend im Unternehmen seines Vaters mit umweltfreundlichen Verfahren und Produkten experimentiert. Sie floppten allesamt. Hans-Dietrich Reckhaus verlor den Elan, an der Umweltfreundlichkeit der Firma zu feilen, machte Dienst nach Vorschrift, ohne die Umweltschutz-Ambitionen von einst. »Es ist für mich heute sehr enttäuschend, dass dieses schlechte Gewissen bei mir über 20 Jahre nicht zum Vorschein gekommen ist«, sagt er darüber heute.

Seine Begeisterung für den Umweltschutz brachten ihm erst die Brüder Riklin vom Atelier für Sonderaufgaben zurück. Anstatt eines Konzepts bekam Hans-Dietrick Reckhaus von den beiden Schweizern nämlich eine Absage. Kunst für Insektengift – dafür wollten sich die Konzeptkünstler nicht hergeben. »Deine Produkte sind schlecht.« An die Absage erinnert sich Reckhaus noch gut, denn sie brachte ihn neuerlich zum Nachdenken. »Ich weiß, ich finde meine Produkte auch nicht so gut«, hat er den Künstlern damals geantwortet, verbunden mit der Bitte, es sich noch einmal zu überlegen. Die Künstler dachten dann tatsächlich noch einmal nach und meldeten sich nach einiger Zeit wieder beim Chemieindustriellen. »Sie wollten gemeinsam mit einer dörflichen Gemeinschaft der Frage nachgehen, wie viel Wert eine Fliege hat. Um der Gesellschaft einmal ein bisschen den Spiegel vorzuhalten«, erinnert sich Reckhaus. »Die beiden hatten nicht geglaubt, dass es tatsächlich zu ihrer Kunstaktion kommen würde. Ich fand das anfänglich natürlich auch schräg. Aber dieser Gedanke hat mich ganz tief getroffen. Nach zwei Tagen habe ich angerufen und gesagt: Wir realisieren das.«

Mehr als Aktionskunst

Was Hans-Dietrich Reckhaus und die Gebrüder Riklin dann realisiert haben, zeigt Reckhaus nun stolz per Video auf seinem Handy. Gemeinsam mit den Bewohnern von Deppendorf wurde eine Fliege namens Erika gerettet – als ironisches Symbol für die gesellschaftliche Geringschätzung von Insekten und der Dienstleistungen, die sie für den Menschen erbringen. Bei der Kunstaktion blieb es nicht, denn Unternehmer Reckhaus fand Gefallen an dem Gedanken, eine Vision voranzutreiben. »Ich fühlte eine ganz besondere Verantwortung, weil wir als Biozidhersteller wissen, wie schädlich unsere Produkte sind. Und wir haben auch das Wissen, über den Wert von Insekten aufzuklären. Hier übernehme ich gerne die Verantwortung und kommuniziere sehr offen die Probleme meiner eigenen Produkte.« Er ist nicht der erste Vertreter seiner Branche, der die Probleme wahrnimmt. Allerdings gehen seine Mitbewerber nicht so weit wie er, wenn es darum geht, das Problem des Insektizideinsatzes klar zu benennen. »Viele Unternehmen machen einfach weiter und starten neben ihrem Kerngeschäft irgendwelche Bienenhotels oder so. Aber das eigentliche Geschäft lassen sie unbeleckt. Und das geht nicht. Ich setze da beim Kerngeschäft an und sage: Vermeide Insektizid -Einsatz – und wenn es doch sein muss, dann mit Kompensation. Das ist für mich ein zeitgemäßes Einstehen für das, was man tut, auch wenn das vordergründig vielleicht schwer nachzuvollziehen ist.«

Aus dem Kompensationsgedanken wurde das ökologische Gütezeichen Insect Respect für Insektizide, bei deren Kauf man gleichzeitig in Ausgleichsflächen investiert, auf denen Insekten der nötige Raum geboten wird. Diese Flächen sollen ermöglichen, unbehelligt von gestörten Menschen Insekt zu sein. Entwickelt wurde das Kompensationssystem gemeinsam mit dem Biologen Stefan Liersch vom Büro für Natur und Landschaft in Herisau im Appenzellerland.

Dr. Reckhaus Biozide

Der Unternehmer und die beiden Kozeptkünstler zeigen den Wert der Fliege. ©Bodo Ruedi

Weniger Angebot, dafür ein besseres

Die ökologisch zertifizierten Produkte tragen nicht den Namen Recozid, sondern den Namen Dr. Reckhaus. Für Hans-Dietrich Reckhaus ist das auch ein Beweis dafür, wie sehr er sich mit seinen Produkten identifiziert. Was Reckhaus vorschwebt, ist nicht weniger als die Branche, in der seine Familie seit Jahrzehnten viel Geld verdient, umzukrempeln. In seinen Augen sind heute zu viele Biozide von zu vielen verschiedenen Anbietern auf dem Markt. Wenn es nach Reckhaus geht, gibt es in Zukunft weniger Anbieter, dafür aber bessere, die zeitgemäß mit ihrer Verantwortung umgehen. Klar ist – er möchte auf dem Markt bestehen: »Wir sehen für uns eine Zukunft in einem kleineren Marktumfeld. Und gerade weil es sich auch ökonomisch für uns auszahlt, können wir diesen nachhaltigen Weg in einem zurückgehenden Marktumfeld gehen. Ich sage ja nicht: Kauft mein Produkt, dabei braucht ihr kein schlechtes Gewissen zu haben. Das wäre nur Marketing. Ich sage: Kauft mein Produkt nicht, aber wenn es sein muss, dann habt ihr hier wenigstens Kompensation.«

Dass seine Vision innerhalb der Biozid-Branche nicht bei jedem Mitbewerber auf Begeisterung stößt, liegt auf der Hand. Darüber gesprochen wird aber nicht, sagt Reckhaus: »Ich erhalte keine Kritik aus der Branche. Ich erhalte auch keine offensive Ablehnung, aber ich erhalte auch keine Einladungen mehr. Die Branche ist so klein, dass man sich immer wieder trifft. Das heißt, ich sitze häufig mit meinen Konkurrenten an einem Tisch und trotzdem spricht mich niemand auf mein Projekt an. Obwohl alle davon wissen. Das ist eine Farce.« Die Verärgerung darüber, dass niemand über die ökologischen Auswirkungen von Insektiziden auch nur sprechen möchte, ärgert Reckhaus spürbar. Wenn man sein Unternehmen in Bielefeld besucht, dann kommt man nicht darum herum, sich mit seinem Projekt Insect Respect zu beschäftigen. Es liegen seine Bücher auf. Es hängen Zeitungsartikel aus und die gerettete Fliege Erika hat einen Platz gleich beim Eingang gefunden. Die Gäste aus der Branche, die Reckhaus hier empfängt, ignorieren das. »Das ist ein Hammer. Schließlich wissen ja in der Branche alle um die ökologischen Folgen von Insektiziden. Also die Branche hat wirklich ein Problem.«

Dr. Reckhaus Biozide

Zum Umdenken anregen und dann auf den Kopf stellen möchte Reckhaus die Insektizid-Branche.

Am Downsizing wachsen

Das Downsizing der eigenen Branche als Reaktion auf die Erkenntnis, dass das Geschäftsfeld nicht mehr zu den eigenen Ansprüchen an gutes Wirtschaften passt: was Reckhaus da betreibt, ist bemerkenswert. Es ist in etwa so, als würde ein Autohersteller dazu aufrufen, nicht mehr so viel Auto zu fahren, und gleichzeitig Autos auf den Markt bringen, für deren Kauf man mit Emissionszertifikaten belohnt wird. Dahinter steckt für Reckhaus mehr als nur eine Strategie, sein Familienunternehmen in die Zukunft zu führen: »Ich finde es schwierig, dass wir als Industrie immer noch denken, wir müssten den Markt vergrößern. Dahinter steht das Dogma, neue Bedürfnisse generieren zu müssen. Das ist längst überholt. Wir dürfen nicht dem Konsumenten Bedürfnisse generieren, die er gar nicht hat. Wir brauchen intelligente Dienstleistungen und Konzepte, die bewirken, dass wir grundlegend weniger verbrauchen. Da muss man neue Wege finden. Das versuchen wir.«

Für sein unternehmerisches Handeln wurde Hans-Dietrich Reckhaus 2015 mit dem Schweizer Ethikpreis ausgezeichnet. Er hält Vorträge und tritt öffentlich für mehr Nachhaltigkeit in Unternehmen ein. Seine Message ist simpel: »Wenn selbst ein Biozid-Hersteller nachhaltig sein kann, dann können eigentlich alle Branchen nachhaltig werden.«


Insekten kann man auch ohne den Kauf von Dr. Reckhaus‘ Bioziden unterstützen. Eine schöne Beschäftigung für einen freien Nachmittag:

Insektenhotel aus Dosen basteln – Nisthilfe für Wildbienen

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