Darling, ich war im Kino

Nachdem Martin Zellhofer ein Buch über Lost Kinos geschrieben hat, ruft er zum Besuch der überlebenden und geretteten Kinos auf.

Bild: Martin Zellhofer.

Früher, ja früher. Da bestand die dörfliche Infrastruktur im Weinviertel aus der Dreifaltigkeit Kirche, Wirtshaus und Volksschule. Oft gab es auch noch einen Bahnanschluss – und ein Kino. Die Kirchen stehen noch überall, aber viele Wirte, kleine Dorfvolksschulen, rund 300 Kilometer Eisenbahn und fast alle Kinos, immerhin einst rund 100 (!), sind aus dem Weinviertel verschwunden.  

Ein kurzer Blick zurück: 1896 fand in Wien erstmals eine Filmvorführung statt, Jahrmärkte, Varietés, Zirkusse und Wanderkinos entwickelten sich in den Folgejahren zu den ersten Kino-Hotspots. Erste ortsfeste Kinos entstanden in Wien 1903 bis 1905. In der Provinz lief diese Entwicklung zeitverzögert ab: Zwar zog schon vor 1900 ein gewisser Anselm Hirsch mit einem Wanderkino durch das Gebiet des heutigen Niederösterreichs. Das erste stationäre Kino des Bundeslandes, es befand sich im Weinviertel, eröffnete vermutlich aber erst 1910 in Deutsch-Wagram. 1911 ging je eines in Retz und Herzogenburg in Betrieb. 1932 gab es in Österreich 909 Kinos. In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg galt es noch als wichtigstes Massenmedium, die BesucherInnenzahl erreichte 1958 mit 122 Millionen Eintritten österreichweit den Nachkriegshöchststand. Von da an ging es bergab – bis heute.

Im Tonkino Seefeld-Kadolz, im westlichen Weinviertel, lief 1977 die letzte Vorstellung. Bild: Martin Zellhofer.

Schuld daran war vor allem das Fernsehen, dessen Verbreitung ab Beginn der 1960er-Jahre ordentlich an Schwung gewann. Mit dem steigenden Wohlstand der Wirtschaftswunderjahre nahmen außerdem Motorisierung und Mobilität zu – was sich besonders auf die BesucherInnenzahlen von Dorfkinos negativ ausgewirkt hat. Hermine Holzer, Mitbesitzerin der ehemaligen Groß-Kadolzer Lichtspiele in Seefeld-Kadolz, dazu: »Wir sind ein Dorf und daher bei den Filmen nicht zuerst drangekommen.« Das Publikum fuhr dorthin, wo Neuerscheinungen gespielt wurden. In ihrem Fall saß die Konkurrenz in Laa an der Thaya. Das Kinosterben begann … 2019 besuchten noch rund 14,53 Millionen Menschen eine Vorstellung (Corona brachte anschließend einen beispiellosen Einbruch).

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2020 gab es in Österreich noch 140 Kinos, davon 26 in Niederösterreich. Sechs davon sind auch heute noch im Weinviertel in Betrieb: in Stockerau, Retz, Mistelbach, Laa an der Thaya, Groß-Enzersdorf und Deutsch-Wagram. Und das ist eigentlich ein kleines Wunder: Denn das 1967 eröffnete Autokino Groß-Enzersdorf ging 2015 in Konkurs. Ab 2018 gab es im Rahmen der Veranstaltungsreihe Motorkino ein paar Mal jährlich Events mit Oldtimer-Fahrzeugen, Musik und einer Filmvorführung. Seit 2020 hat das Autokino regulär wiedereröffnet – um aktuell jeden Samstag zu spielen. Ein zweites Wunder ist die Übernahme des seit 1929 spielenden Mistelbacher Kronen Kinos. Als der Besitzer Ende 2020 in Pension ging, sprang der Verein »Film.kunst.kino« in die Bresche und hielt es als gelegentlich spielendes Programmkino am Leben – bis es Ende 2021 vom Betreiber des Citycine-Kinos in Deutsch-Wagram übernommen wurde. Wer will, dass das so bleibt, muss sein Kino auch besuchen – am besten regelmäßig.

Der Autor hat 2020 das Buch »Verschwundene Kinos im Weinviertel« geschrieben – mit Daten und Fakten, Erinnerungen der BesucherInnen und der im Kino arbeitenden Menschen, historischen Fotos und viel Lost-Places-Romantik. Erschienen in der Edition Winkler-Hermaden. Seither sind wieder welche verloren gegangen.

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