Die Wölfe sind zurück in Österreich. Und was jetzt?

Erstmals seit über 100 Jahren gab es 2016 wieder Wolfnachwuchs in Österreich. Das belegt eine Fotofalle der Naturschutz-Abteilung des Bundesheers. (Foto: BMLVS)

Erstmals seit über 100 Jahren gab es 2016 wieder Wolfnachwuchs in Österreich. Das belegt eine Fotofalle der Naturschutz-Abteilung des Bundesheers. (Foto: BMLVS)

 

Am Truppenübungsplatz Allentsteig in Niederösterreich lebt wieder eine Wolfsfamilie. Das erste Mal seit über 100 Jahren gibt es Wolfsnachwuchs in Österreich. BIORAMA hat Experten dazu befragt und mit Menschen gesprochen, die in der Nachbarschaft des neuen Wolfsrudels leben.

Von Matthias Schickhofer.

Es war eine kleine Sensation, die sich in Windeseile in Medien und Social Web verbreitete: Bilder einer Wolfsfamilie, die vor einer Fotofalle am Truppenübungsplatz Allentsteig (TÜPL) im niederösterreichischen Waldviertel herumläuft. Bereits vor über einem halben Jahr sickerten Informationen durch, dass sich am TÜPL Wölfe herumtreiben sollen. Waldviertler Jäger berichteten von Sichtungen und präsentierten Bilder von Wildkameras, die Meister Isegrim beim Herumstreifen zeigten. Bald darauf gab es auch Berichte über vier gerissene Damhirsche im Schaugehege eines Waldviertler Naturparks. Das blieb aber ein Einzelfall, offenbar handelte es sich um ein herumziehendes Tier.

Ein großer Teil des 15000 Hektar großen Militärübungsplatzes in Allentsteig ist wegen Blindgängern und Munitionsschrott nicht bewirtschaftbar und verwildert. Das Gebiet ist ein Sperrgebiet, das nur auf einer Landesstrasse befahren werden kann. Auf dem Truppenübungsplatz stehen de Wölfe derzeit unter Heeresschutz. (Foto: Matthias Schickhofer)

Ein großer Teil des 15000 Hektar großen Militärübungsplatzes in Allentsteig ist wegen Blindgängern und Munitionsschrott nicht bewirtschaftbar und verwildert. Das Gebiet ist ein Sperrgebiet, das nur auf einer Landesstrasse befahren werden kann. Auf dem Truppenübungsplatz stehen die Wölfe derzeit unter Heeresschutz. (Foto: Matthias Schickhofer)

Im Jahr 1882 erlosch das letzte Wolfsvorkommen Österreichs, im steirischen Wechselgebiet. Doch in den letzten Jahren wurden die Hinweise auf die Rückkehr der Urahnen unserer Hunde wieder mehr. Seit 2009 wurden jährlich zwei bis sieben einzelne, umherziehende Wölfe nachgewiesen. Anders in Deutschland: da werden heute mehr als 30 Rudel gezählt. Die meisten leben im Freistaat Sachsen, wo es 14 nachgewiesene Rudel gibt. Wölfe ernähren sich hauptsächlich von Wildtieren wie Hirschen, Rehen und Wildschweinen.

Das militärische Sperrgebiet als Naturparadies.
Und nun ist es auch in Österreich fix: Wölfe sind im Niederösterreichischen Waldviertel wieder heimisch. Ein Paar hat sich gefunden und das menschenleere wie wildreiche militärische Sperrgebiet in Allentsteig als sein Zuhause ausgesucht. Heuer haben sie Junge bekommen. Der 15.000 Hektar große TÜPL ist gleichzeitig auch ein Natura 2000-Vogelschutzgebiet. Das Bundesheer beschäftigt Naturschutzpersonal, betreibt hier ein Naturraum-Management-Programm und hütet eine Reihe bedrohter Arten wie Seeadler, Wachtelkönig oder Birkhuhn in dem großen Militärschießplatz, der 1938 für Hitlers Nazitruppen entsiedelt worden war. Ein großer Teil des TÜPLs kann wegen des Schießbetriebs, Blindgängern und Munitionsschrott nicht bewirtschaftet werden. So wurde aus dem einstigen Bauernland eine riesige Naturzone.

Ein Refugium, auch für den Seeadler: der Truppenübungsplatz Allentsteig. (Foto: Matthias Schickhofer)

Ein Refugium, auch den Seeadler: der Truppenübungsplatz Allentsteig. (Foto: Matthias Schickhofer)

Wölfe brauchen einen passenden Lebensraum und ausreichend Nahrung – vor allem Wildtiere wie Hirsche, Rehe und Wildscheine. Am TÜPL ist der Tisch für die junge Wolfsfamilie reich gedeckt: Der TÜPL ist einer der größten Wildbretlieferanten Österreichs. Ottokar Jindrich, Leiter des Referats Umweltschutz & Ökologie im Bundesministerium für Landesverteidigung, betont via WWF-Presseaussendung, dass die jungen Wölfe „gewissermaßen unter militärischem Schutz stehen“. Solange die Wölfe im Sperrgebiet bleiben, bewacht sie also das Heer.

Ist somit alles paletti?

Wildreich wie kaum eine Gegend sonst: der Truppenübungsplatz bietet somit auch für den Wolf eine ideale Heimat. (Foto: Matthias Schickhofer)

Wildreich wie kaum eine Gegend sonst: der Truppenübungsplatz bietet somit auch für den Wolf eine ideale Heimat. (Foto: Matthias Schickhofer)

„Wilde Tiere“ wie Bär, Wolf oder Luchs waren in Österreich gut ein Jahrhundert ausgerottet. Trotz einzelner Naturschutz-Bemühungen sind die Bestände dieser Arten klein (Luchs) oder wieder verschwunden (Bär). Anders als in Österreichs Nachbarländern wie Slowakei oder Slowenien sind die Menschen hier nicht mehr an die Präsenz der „großen Beutegreifer“ gewohnt. Das ist natürlich ein fruchtbarer Nährboden für Ängste, Panikreaktionen und (zuweilen irrationale) Pauschal-Ablehnung. Wiederansiedelungsprojekte für Bär und Luchs kämpfen seit Jahren mit kriminellen Irrläufern in der Jägerschaft, die „Raubwild“ wie Bären oder Luchse illegal erschießen.

Mit zwei Jahren verlassen die Jungtiere das Revier der Eltern.
Das Zusammenleben muss also offenbar wieder erlernt werden. Unserer Spezies gehen die meist scheuen Wölfe in der Regel aus dem Weg, wenn sie nicht durch gedankenloses Füttern an Menschen gewöhnt wurden. Solange die Wölfe sich an das TÜPL-Areal halten, drohen weder ihnen, noch Weidetieren Probleme. Schwieriger könnte es aber werden, wenn die Rudel-Tiere beginnen, größere Kreise zu ziehen und im restliche Waldviertel zu jagen. Der Fall könnte in ein bis zwei Jahren eintreten, wenn die Jungtiere das Rudel verlassen.

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Eine naturnahe Kulturlandschaft wie aus dem Bilderbuch. Auch der Wolf fühlt sich hier pudelwohl. Rechts im Bild sehen wir einen jungen Seeadler. (Foto: Matthias Schickhofer)

Wie geht es den Nachbarn des TÜPL Allentsteig nun mit der Kunde vom Wolfsnachwuchs, der wenige Kilometer nebenan „eingezogen“ ist?

Die Gründe von Georg Marksteiner, Biobauer in Bernschlag, liegen unmittelbar neben dem militärischen Sperrgebiet. Gleich hinter seinen Feldern beginnt die etwas fremdartige „Brache-Prärie“ des TÜPL. „Das Thema wird in Gemeinde und in der Gegend sehr gelassen aufgenommen. Sogar eher freudig. Weil Allentsteig einmal positiv in den Medien erwähnt wird. Es wird nicht nur über das Militär berichtet, sondern auch, dass wir vor der Haustür eigentlich einen großen Naturpark haben. Einen geheimen Naturpark halt. Freunde scherzen sogar, dass der Wolf das neue Maskottchen von Allentsteig werden könnte.“
Gibt es Befürchtungen? „Angst dass Gefahr bestehen würde, gibt es nicht. Die Wölfe sind ja sehr scheu und am TÜPL gibt es eh so viel Wild. Derzeit wird das eher positiv gesehen. Aber es gibt sicher auch Skeptiker, wahrscheinlich bei den Jägern,“ erklärt Georg Marksteiner. Bloß einmal hätte ein Bauer aus dem Dorf einen Wolf am frühen Morgen vom Traktor aus gesehen. „Interessant wird sicher, ob sie am TÜPL bleiben, oder ob sie weiterwandern.“

Bernschlag, Waldviertel: Die Äcker und Wiesen der Biobauernfamilie Marksteiner grenzen direkt an das militärische Sperrgebiet. (Foto: Matthias Schickhofer)

Bernschlag, Waldviertel: Die Äcker und Wiesen der Biobauernfamilie Marksteiner grenzen direkt an das militärische Sperrgebiet. „Ein geheimer Naturpark“, meint Georg Marksteiner. (Foto: Matthias Schickhofer)

„Der Wolf gehört dazu.“
„Die Menschen sollten auf den Wolf vorbereitet sein“, meint der Kamptaler Biobauer und Züchter von seltenen Nutztierrassen Willi Klaffl. Er hat erst wenige Tage vor der Bekanntwerden des Wolfsnachwuchses am TÜPL mehr als 100 Schafe sowie Ponies und Esel am Umlaufberg im Kamptal, nur einige Kilometer vom TÜPL entfernt, auf die Weide gebracht. Insgesamt hütet Klaffl knapp 200 Schafe und etliche Kühe mit Kälbern, Pferde, Ponies und Esel. Die Tiere weiden zumeist auf „Naturschutzflächen“, um artenreiche Wiesen und Überschwemmungsflächen im Uferbereich des Kamp vor dem Zuwachsen zu bewahren. 2008 hatte er das erste Mal „Wolfskontakt“: da hat ein umherstreifender Wolf ein Schaf gerissen. Die Versicherung des Jagdverbandes kam für den Schaden auf. „Momentan hab ich keine Angst,“ sagt Klaffl, „ich hab ihn mir fast herbeigewünscht. Ich beobachte das rational: Wenn jemand in ein Haus einzieht, dann müssen die anderen eben ein wenig zusammenrücken. Ich bin absolut Befürworter der Rückkehr des Wolfes und hab mich schon lang damit auseinandergesetzt. Ich bin Biobauer. Und nachhaltiges Wirtschaften heißt ja leben mit der Natur. Und da gehört der Wolf dazu.“

Er rechnet damit, dass er in den kommenden Jahren wieder „Wolfskontakt“ haben wird: „In ein bis zwei Jahren werden die Jungtiere wegziehen. Das Kamptal ist als Wildkorridor dann wohl auch interessant für die.“

Bernschlag, Waldviertel: Dass einige Bauern ihr Vieh direkt an der Grenze zur neuen Wolfsheimat weiden lassen, sollte kein Problem sein. Es braucht bloß effiziente Herdenschutzmaßnahmen. (Foto: Matthias Schickhofer=

Bernschlag, Waldviertel: Die rot-weiß-rote Tonne signalisiert den Anrainern, dass auf dem Truppenübungsplatz gerade nicht geschossen wird. Auch auf den Wolf nicht. (Foto: Matthias Schickhofer)

Herdenschutz: Es fehlt das Geld.
Seit 15 Jahren beschäftigt sich Willi Klaffl mit dem Thema Herdenschutz. „Es sollte von Anfang an klar gestellt werden, dass die Wölfe da bleiben, dass sie mehr werden und dass es auch Probleme geben wird. Den Betroffenen müssen daher Personen zur Seite stehen, die Beratung vor Ort machen. Und es braucht finanzielle Unterstützung für Weideviehhalter. Elektronetze zum Herdenschutz kosten viel Geld. Wenn die Betroffenen alleine gelassen werden, dann wird sich die Stimmung eher aufschaukeln, wenn es zu Schäden kommt. Die Bauern brauchen finanzielle Mittel – damit sie das Weidemanagement auf wolfssicheres Management umstellen können.“ Bisher kam bei ihm aber keine entsprechende Information seitens der Landwirtschaftskammer an.

Klaffl betont mehrmals, dass es auch fachliche Unterstützung vor Ort braucht: „Profis, die mit den Leuten arbeiten und sich die örtlichen Gegebenheiten ansehen.“ Im Waldviertel gäbe es nur Koppelweide, keine offenen Almweiden, wie in den Alpen. Daher könnte man Deutschland als Modell heranziehen, wo es jetzt wieder Gegenden mit Wolfsrudeln gibt.

In der topographisch "einfachen" Gegend des Waldviertels sollte sich auch Weidevieh verhältnismäßig einfach vor Großraubtieren schützen lassen. (Foto: Matthias Schickhofer)

In der topographisch „einfachen“ Gegend des Waldviertels sollte sich auch Weidevieh verhältnismäßig einfach vor Großraubtieren schützen lassen. Was es allerdings braucht: Geld, Expertise und einen politischen Willen. (Foto: Matthias Schickhofer)

Jäger und Förster als Öko-Manager
Gerald Blaich ist Förster und Jäger beim Stift Zwettl, dessen Wälder direkt an den TÜPL angrenzen. In seinem Revier hätte es bis jetzt noch keine Wolf-Wahrnehmungen gegeben, erzählt er. „Der Wolf gehört zur Natur, wir sollten uns in erster Linie freuen dass er da ist. Zu glauben dass es keine negativen Auswirkungen geben würde, ist aber naiv. Das gefährlichste ‚Raubtier‘ ist wohl der Mensch. Der Wolf ist ein großer Prädator und die Großen schlagen sich immer.“ Blaich nimmt aber an, dass sich keine große Wolfs-Population bei uns einfinden wird – auch weil illegale Abschüsse zu befürchten sind, oder Wölfe auf Straßen zu Tode kommen werden. „Es braucht auf jeden Fall Prävention und Management zum Schutz für Herden und Wohngebiete. Eine Besenderung der Wölfe wäre gescheit, da könnten die Bewegungen der Wölfe, aber auch illegale Abschüsse, festgestellt werden. Ohne ein derartiges Backup-Management wird sich wohl maximal ein Rudel jeweils bei den großen Forstbetrieben ansiedeln können,“ sagt er.

Naturschützer müssen anerkennen, dass der Wolf ein großer Beutegreifer ist, und kein Streicheltier. (Gerald Bleich, Förster und Jäger beim Stift Zwettl)

Für Jäger könnte es bei der Jagd zu unerfreulichen Begegnungen kommen, etwa wenn der Schweißhund (der angeschossenes Wild aufspürt), mit einem Wolf zusammentrifft. „Es ist aber zu befürchten, dass die potentiellen Probleme ignoriert werden, solange nichts passiert. Wenn es dann einen Zwischenfall gibt, dann kommt es zu Lagerbildung und Konflikten. Ich wünsche mir von beiden Seiten vernünftige Schritte: Naturschützer müssen anerkennen, dass der Wolf ein großer Beutegreifer ist, und kein Streicheltier. Die andere Seite muss akzeptieren, dass der Mensch Verantwortung für Schöpfung hat, und dass alle Lebewesen ein Lebensrecht haben – also ein Recht auf Platz und Nahrung.“ Fast alles Land sei von uns Menschen in Beschlag genommen worden. Und in der überbesiedelten Kulturlandschaft gebe es eben kaum Reviere mehr für Wölfe oder Bären. „Daher ist es naiv zu glauben, dass mit vielleicht eines Tages 20 bis 30 Wölfen im Waldviertel gar nichts passieren wird. Aber ich schätze nicht, dass viel passieren wird.“

Kaum wo bietet die Kulturlandschaft Wildtieren so viel Platz wie im von Abwanderung geprägten Waldviertel. (Foto: Matthias Schickhofer)

Kaum wo bietet die Kulturlandschaft Wildtieren so viel Platz wie im von Abwanderung, Arbeitslosigkeit und Auspendlern geprägten Waldviertel. (Foto: Matthias Schickhofer)

Gefordert: Behirtung, Wolfs-Management, Besenderung
Blaich plädiert für „Behirtung, Wolfsmanagement, Besenderung. Und das alles in enger Zusammenarbeit mit Grundeigentümern und Jagdverband sowie mit wissenschaftlicher Begleitung.“ Der Waldviertler Förster und Jäger schlägt auch vor, eine fact finding mission in Gebiete zu machen, wo Menschen seit langer Zeit mit Wölfen zusammen leben.

Ruinen auf dem bereits vor einer halben Ewigkeit entsiegelten Truppenübungsplatz. (Foto: Matthias Schickhofer)

Ruinen auf dem bereits vor einer halben Ewigkeit entsiedelten Truppenübungsplatz. (Foto: Matthias Schickhofer)

Welche Auswirkungen hat die Präsenz der Wölfe auf den TÜPL? Wie geht es den zahlreichen Rehen, Hirschen und Mufflons? „Wir gehen derzeit davon aus, dass wir zwei erwachsene Wölfe, vier Jungtiere und ein bis zwei Einzelgänger am TÜPL haben,“ berichtet Christian Kubitschka, Leiter der Stabsgruppe Nachhaltigkeit und Raumnutzung beim Bundesheer in Allentsteig. „Sie leben im Zentrum des Sperrgebiets, in einem Revier von ca. 1.000 – 1.500 Hektar. Rund um das Rudel mit den Jungtieren merken wir, dass das Wild deutlich scheuer geworden ist. Auf Grund von Fährten, Losungen und Rissen wissen wir ziemlich genau, wo sich die Wölfe bewegen.“

Im Unterschied zu den größeren Hirschen sind die in den 70-Jahren eingebürgerten Mufflons nicht so wehrhaft und stellen für den Wolf eine leichtere Beute. Der Mufflonbestand wurde durch die Wölfe bereits stark dezimiert. „Wir sind grundsätzlich in einer Reduktionsphase. Die Behörde will, dass wir Wild reduzieren. Aber jetzt müssen wir vor der Behörde argumentieren, warum wir die vorgeschriebenen Abschusszahlen nicht mehr erfüllen können,“ erklärt Kubitschka.

Ein vielfältiger Naturraum mit vielen Rückzugsmöglichkeiten auch für Reh, Hirsch und Wildschwein. Mit der Rückkehr des Wolfs wird auch ihre Bejagung anspruchsvoller. (Foto: Matthias Schickhofer)

Ein vielfältiger Naturraum mit vielen Rückzugsmöglichkeiten auch für Reh, Hirsch und Wildschwein. Mit der Rückkehr des Wolfs wird auch ihre Bejagung anspruchsvoller. (Foto: Matthias Schickhofer)

Der Wolf kommt, das Wild wird scheuer, die Jagd anspruchsvoller
Frühen seien bis zu 150 Hirsche auch am „helllichten Tag“ auf den Schießbahnen draußen gestanden. Das gäbe es jetzt nicht mehr. Das Wild habe sich teilweise aus dem Zentrum des Sperrgebietes zurückgezogen und würde jetzt eher in Randbereichen aufhalten.
Kubitschka ist Jäger und hat auch eine Eigenjagd. Die Jäger würden dem Wolf „zu 90%“ aufgeschlossen gegenüber stehen. „Aber warum sollen wir die Kosten für die Allgemeinheit tragen? Es gibt so viele Förderungen. Es wäre sehr sinnvoll, entsprechend der Nachweise, wie intensiv die Besiedelung durch Wölfe ist, auch hier eine Förderung einzurichten. Wenn die Betroffenen nicht unterstützt werden, dann könnte die Stimmung eine Tages kippen,“ meint der oberste Heeres-Jäger.

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Zu Gesicht bekommt man den scheuen Wolf kaum einmal. Auch der Nachwuchs wurde in Allentsteig bislang nur mittels Wildkameras nachgewiesen. (Foto: BMLVS)

Der Wolf als Bereicherung
Grundsätzlich meint er: „Der Wolf ist am TÜPL willkommen. Er soll da leben, auch weil es für uns ökologisch spannend ist,“ unterstreicht er. „Es interessiert uns auch, wie sich das Wildbret verändert? Ist es stärker geworden?“

Christian Pichler ist der Wolfsexperte beim WWF Österreich. Er freut sich über die Nachricht von der Rückkehr des Wolfes. Zugleich merkt er aber an, dass die neue Situation auch eine Herausforderung für Landwirte und Nutztierhalter darstellt. Es braucht jetzt Management- und Präventions-Maßnahmen. Im Waldviertel wäre das sogar vergleichsweise einfach, weil es sich – anders als in den Alpen – nicht um schwieriges Gelände handelt. Weidetiere im Freien werden in Koppeln gehalten und könnten daher leichter durch Elektrozäune geschützt werden. Eine finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand für Herdenschutz-Maßnahmen seitens der Betroffenen gibt es aber derzeit nicht.

Christian Pichler, beim WWF für das Thema Wolf verantwortlich, freut sich über die Rückkehr des scheuen Raubtiers. (Foto: Matthias Schickhofer)

Christian Pichler, beim WWF für das Thema Wolf verantwortlich, freut sich über die Rückkehr des scheuen Raubtiers. (Foto: Bright Light Fotography)

In einigen Bundesländern wie Niederösterreich, Oberösterreich, Tirol und Kärnten deckt eine Versicherung der Jägerschaft eindeutig nachgewiesene Schäden. In manchen Bundesländern agiert die Versicherung sehr kulant und deckt auch Verdachtsfälle. In der Steiermark gibt es eine Versicherung des Landes, die zahlt aber nur in erwiesenen Fällen. In Salzburg ersetzt ein Fonds des Landes gerissene Tiere. Unbewiesene Verdachtsfälle oder wahrscheinlich wolfsbedingt verschwundene Weidetiere werden in den meisten Bundesländern aber nicht ersetzt.

Alm-Bauern fordern „großraubtierfreie Zone“ Alpen
Alm- und Alpwirtschaftliche Organisationen forderten jüngst eine Herabsetzung des Schutzstatus der Großraubtiere in der EU Habitat-Richtlinie, die Möglichkeit einer Bejagung zwecks Regulierung die Einführung von „großraubtierfreien Zonen“ in den Alpen, weil sonst die Almwirtschaft untergehen würde. Georg Rauer, Österreichs Wolfsbeauftragter, beruhigt: „Die Sorgen der Almbauern sind berechtigt, ein zwingendes Aus für die Almwirtschaft bedeutet das Auftreten des Wolfs aber nicht.” Die Wilddichte in Österreich sei nämlich sehr hoch.

Bereits im Juni 2016 forderten die Alm- und Alpwirtschaftlichen Verbände des Alpenraums die "Herabsetzung des Schutzstatus des Großraubwildes in Europa".

Bereits im Juni 2016 forderten die Alm- und Alpwirtschaftlichen Verbände des Alpenraums die „Herabsetzung des Schutzstatus des Großraubwildes in Europa“.

Die almwirtschaftlichen Organisationen des Alpenraums sehen ihre Arbeit bedroht und fordern eine "großraubtierfreie Zone" Alpen. Auf Seite 3 haben die Petition Vertreter aus der Schweiz, dem Allgäu, Oberbayern, Slowenien, Kärnten, Oberösterreich, Niederösterreich, Tirol, Vorarlberg, Steiermark, Salzburg unterzeichnet.

Die almwirtschaftlichen Organisationen des Alpenraums sehen ihre Arbeit bedroht und fordern eine „großraubtierfreie Zone“ Alpen. Auf Seite 3 haben die Petition Vertreter aus der Schweiz, dem Allgäu, Oberbayern, Slowenien, Kärnten, Oberösterreich, Niederösterreich, Tirol, Vorarlberg, Steiermark, Salzburg unterzeichnet.

Auch Christian Pichler weist diese Forderung zurück. Diese Tiere sollen als selbstverständlicher Teil in der heimischen Natur wieder ihren Platz finden können. Da Wölfe keine natürlichen Feinde haben, hätten sie im Laufe der Evolution ohnedies einen Selbstregulierungs-Mechanismus entwickelt. Aber es sollten aktiv mit der neuen Situation umgegangen, Budgetmittel bereitgestellt und Herdenschutzmaßnahmen dürfen nicht boykottiert werden. Die Ausbildung von Herdenschutzhunden dauert Jahre und Hirten gibt es hierzulande kaum mehr. Pichler verweist auf bewährte Projekte in der Schweiz, Frankreich und Italien. In Österreich fehle jedoch im Moment der politische Wille zur flächendeckenden Umsetzung und Finanzierung des Herdenschutzes.

Schaf, Ziege, Wolf
Georg Höllbacher ist Obmann des Österreichischen Bundesverbandes für Schafe und Ziegen und leitet die Nationale Beratungsstelle für Herdenschutz. Er wirbt um eine differenzierte Herangehensweise: „Ich hab gar nichts gegen die Rückkehr des Wolfs. Aber die Gesellschaft muss sich mit der Situation auseinandersetzen und entsprechende Entscheidungen treffen. Das gilt neben der Landwirtschaft auch für die Wirtschaft und den Tourismus.“ Wenn die Gesellschaft die Wolf zurück haben will, dann müsse sie sich das auch was kosten lassen. Mittel für Herdenschutz sollten aber nicht nur aus Landwirtschaftsbudgets kommen, sondern gemeinsam mit dem Naturschutz gestemmt werden.

Die Rückkehr des Hirten
Höllbacher führt seit drei Jahren ein Testprojekt zum Herdenschutz in Kals am Großglockner durch (Osttirol). 1200 Schafe sind da auf der Alm. Und es gab Rückschläge, erst kürzlich hat der Hirte gekündigt. Im Grenzgebiet Kärnten–Slowenien wurde 2015 ein erfolgreicher Test mit Zäunen (Nachtpferch), Herdenschutzhunden und Hirten durchgeführt. Es kam in diesem Jahr zu keinen Rissen durch Bären und Wölfe. Das Projekt war allerdings eine schwierige Geburt – und wurde 2016 nicht weitergeführt: Die Bundesforste hatten zunächst – wegen der Jagd – eine Einzäunung der Almen abgelehnt und die Landwirte mußten das Projekt vorfinanzieren. „Herdenschutz muss in Österreich erst wieder erlernt und geprobt werden,“ sagt er. Es gäbe derzeit auch kaum geeignete Hunde. Daher wäre es gut, in Österreich eine Zucht aufzubauen – in Koordination mit dem Naturschutz.

Blindtext. (Foto: Matthias Schickhofer)

Das Waldviertel (im Bild: Bernschlag, am Rande des Truppenübungsplatz Allentsteig), vor allem aber die Politik könnte einiges aus Ländern und Landstrichen lernen, aus denen der Wolf und andere Großraubtiere erst gar nie verschwunden waren. (Foto: Matthias Schickhofer)

Vorbild Schweiz?
In der ebenfalls von der Rückkehr der Wölfe ebenso betroffenen Schweiz wurde vom Bundesamt für Umweltschutz (BAFU) das Programm „Herdenschutz Schweiz“ gestartet. Das BAFU unterstützt die Nutztierhalter mit individueller Beratung und Ausbildung sowie durch Finanzmittel für den Kauf und Unterhalt der Herdenschutzhunde (laut Website mit 850 000 CHF pro Jahr). Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) gibt außerdem finanzielle Anreize für Umtriebsweiden und ständige Behirtung auf der Alm. Außerdem werden „den Nutztierhaltern sämtliche nachweislich durch Großraubtiere gerissenen Nutztiere vergütet“.

Das Programm besteht aus drei Komponenten: Hirten mit Hundeteams, die in neu betroffenen Gebieten nach ersten Nutztier-Rissen für rasche Hilfe vor Ort sorgen. Ein Netzwerk von Hundezüchtern und Herdenschutzexperten, die Nutztierhalter bei der Umsetzung von Herdenschutzmaßnahmen beraten und unterstützen. Und Bundesbeiträge für den Einsatz der Herdenschutzhunde.

In Österreich ist derzeit nichts Vergleichbares in Sicht.

Boykottiert die Politik die Rückkehr des Wolfs?
Aber vielleicht soll ein Miteinander ja gar nicht erst entstehen.Vielleicht ist diese offizielle „Untätigkeit“ ja eine Art unausgesprochener Wolfs-Boykott? Wenn Herdenschutz nicht gefördert wird und die Betroffenen im Regen stehen gelassen werden, dann ist es eine sich selbst vollziehende Prophezeiung, dass der Protest gegen die Rückkehr des Wolfes eines Tages sehr laut wird.

Sind wir drauf und dran, die Rückkehr des Wolfes in Österreich zu vermurksen?

 


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Georg Höllbacher von der österreichischen Herdenschutz-Beratungsstelle im Interview.

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