Allmende: Wem gehört die Welt von morgen?
Gemeingüter sind der gedankliche Rahmen für eine Gesellschaft, die – jenseits von Markt und Staat – bessere Lebensqualität für alle bietet. Doch sie werden sich erst dann entfalten, wenn es uns gelingt, die Welt mit anderen Augen zu sehen – nämlich radikal dezentral.
Dass Schafe und Kühe auf den Weiden nur hinter den Zäunen ihrer Besitzer grasen dürfen, ist keineswegs so logisch, wie wir das heute finden. Jahrhundertelang haben Bauern das Land um ihre Dörfer gemeinsam als Allmendewiesen genutzt, als Gemeingut also. Allerdings wecken Gemeingüter auch wirtschaftliche Interessen und laden zur Übernutzung ein. Die US-amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom beschäftigt sich seit vier Jahrzehnten mit dem Problem gemeinschaftlich genutzter, aber knapper Ressourcen. In ihrem aktuellen Buch »Was mehr wird, wenn wir teilen« geht sie dieser Entwicklung an drei Beispielen – Wälder, Meere und Atmosphäre – nach und erklärt, wie es gelingen kann, dass Gemeinschaften wieder Verantwortung für ihre Ressourcen übernehmen und sie miteinander nutzen, ohne sie zu zerstören. Für Elinor Ostrom liegt der Schlüssel dabei in der Selbstverwaltung: »Die Menschen vor Ort müssen wieder an der Lösung ihrer ureigenen Probleme beteiligt werden und lernen, miteinander zu kooperieren.« Markt und Staat sind an dieser komplexen Aufgabe gescheitert, jetzt gerät etwas Drittes wieder in den Fokus: die Allmende (Gemeingüter, Commons).
Weder Staat, noch privat
Als Commons gelten gemeinsam genutzte Güter aus der Natur, dem sozialen Leben (öffentlicher Raum), in der Kultur (Wissen) und im digitalen Raum (Open Access). Sie sind nicht »herrenlos«, sondern werden von Nutzergruppen gestaltet, bewahrt und auch entwickelt. So hat Elinor Olstrom u.a. am Beispiel von Schweizer Almbauern und dem Bewässerungssystem der Reisbauern in Nepal aufgezeigt, dass sich Nutzer von Gemeinschaftsgütern eigene Regeln setzen, die einen vernünftigen und nachhaltigen Umgang mit diesen Gütern gewährleisten. Ihre Beobachtungen wiederlegen das Argument, eine produktive Ökonomie erfordere staatliche Regulierung oder privatwirtschaftliches Unternehmertum. Daraus folgt die Erkenntnis: Können die Menschen die Nutzungsregeln selbst bestimmen, dann sind diese meist sehr gut an die spezifischen lokalen Bedingungen angepasst. Sie spiegeln die Bedürfnisse der Beteiligten wider, zu denen gehört, die Ressourcen langfristig zu erhalten, weil sie Teil ihrer Lebensgrundlage sind. Sei es Fischbestand, sauberes Wasser oder die Aufnahmekapazität der Atmosphäre an Kohlendioxid – es gilt, diese Gemeingüter auf Dauer gerecht zu verteilen.
Der neue Commonismus
Was bedeutet es nun, die Idee der Gemeingüter in der eigenen Nachbarschaft oder Region umzusetzen? Allerorts in Europa ergreifen Bürger die Initiative für öffentliche Infrastrukturdienstleistungen und zeigen Unzufriedenheit mit ihren Regierungen. Staatliche Programme zur kommunalen Bürgerbeteiligung bestehen meist aus langweiligen Sitzungen und zielen kaum darauf ab, die Verantwortung wirklich an die Betroffenen zu übertragen. Erfolgreiche Commons-Projekte sind hingegen unternehmungslustig und kreativ, mit dem gemeinsamen Ziel, öffentliche Räume zu beleben, Sozialbeziehungen aufzubauen, Bedürfnisse festzustellen und Bewusstsein zu schaffen. Es gibt nicht die eine Lösung zur Rettung der Welt, sondern viele dezentrale, die jeweils unterschiedlich ausgestaltet werden müssen – und das kann gemeinsam richtig Spaß machen.
Stadt-Acker
Das Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld in Berlin ist vermutlich die größte Hochbeetanlage der Welt: 5.000 qm mitten in der Hauptstadt, ohne Wasseranschluss und sonstige Infrastruktur auf einem ehemaligen Flugfeld, und trotzdem voller Leben. Auf Böden, die für Obst- und Gemüseanbau noch nicht freigegeben sind, wurden bisher 280 selbstgezimmerte Hochbeete errichtet – zum Teil wahre Kunstwerke. Geplant ist, einen Ressourcenpool und einen Saatgutspeicher anzulegen.
Freies Obst für freie Bürger
Jedes Jahr verderben herrliche Früchte an tausenden von herrenlosen oder vergessenen Obstbäumen. Mundraub ist eine Plattform für Obst-Allmende, die Fundstellen können auf einer interaktiven Karte im Internet eingetragen und abgerufen werden. Das Hasetal in Niedersachsen ist nun die erste offizielle Mundraubregion Deutschlands: Vor 15 Jahren wurden dort entlang von Rad- und Wanderwegen 7.000 Obstbäume gepflanzt. Das Mundraub-Team entwickelte jetzt einen Plan für deren nachhaltige Nutzung und Erhaltung.
Landfreikauf
Land sollte niemandes Besitz sein, dachte sich ein Freundeskreis in Mecklenburg-Vorpommern vor zehn Jahren und gründete einen Allmende-Verein, um ein Waldhaus mit angrenzender Lichtung zu kaufen. Außer für Zusammenkünfte und nicht-kommerzielles Camping ist das Gemeingut keiner besonderen Nutzung zugedacht. Inzwischen wurden dem Verein weitere Grundstücke angeboten, die niemand gehören sollen – Hauptsache, sie werden ökologisch verwaltet.
Bodenrente statt Grundbesitz
Boden ist kein Produktionsgut und nicht vermehrbar. Nun, da die Landschaften zugebaut sind, stellt man fest, dass diese Siedlungsstruktur nicht nachhaltig ist. In einer Restrukturierung des Bodenzugangs liegen zentrale Herausforderungen der Biodiversität, der Ernährung, aber auch der Stadtentwicklung und des Wohnens. Die Stiftung Trias nutzt für gemeinschaftlich organisierte, ökologische Wohnprojekte die Bodenrente als Finanzierungswerkzeug, um Grundstücke in Gemeinschaftsgut umzuwandeln.
Wasser gehört uns allen
Der Berliner Wassertisch ist ein lokales Netzwerk unterschiedlicher Gruppen und Initiativen, die sich unter dem gemeinsamen Thema »Wasser gehört uns allen – Wasser ist ein Menschenrecht« zusammengefunden haben. Als lokales Netzwerk konzentriert man sich auf das Ziel, die Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe aufzuheben. Bei einem Volksentscheid im Vorjahr stimmten 666.000 Bürger dafür, die rechtswidrigen Verträge für nichtig zu erklären.
Wir machen die Energiewende klar!
Eine Initiative des Bund für Umwelt und Naturschutz kämpft dafür, die Hamburger Verteilernetze für Strom, Gas und Fernwärme der Kontrolle der Kohle- und Atomkonzerne Vattenfall und E.on zu entziehen und diese wichtige Infrastruktur wieder selbst zu betreiben. Ziel ist eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien. 116.000 Stimmen wurden im Vorjahr zur Abhaltung eines Volksentscheids für die ökologische Energiewende gesammelt.
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