Die ungeliebte Gelse
Nach dem Donau-Hochwasser im vorigen Frühjahr gingen auch die medialen Wogen hoch. Der Grund: Die drohende Gelsenplage aus der wilden Au. Aber wer ist die »Gelse« und wie können wir uns schützen? BIORAMA hat nachgeforscht.
Libellen schätzen sie, Fische mögen sie, Fledermäuse und Vögel haben sie zum Fressen gern. Auch Wasserinsekten und Amphibien sind ihrem zierlichen Wesen zugetan. Außerdem säubert sie das Wasser, wenn sie noch ganz jung ist. Und die männliche Ausführung saugt Nektar, bestäubt also Blütenpflanzen. Die Rede ist nicht von der guten Fee, sondern von der Mücke. Der Stechmücke. Hierzulande auch weniger vornehm als »Gelse« bekannt.
Die vielen Namen der Gelse
In Deutschland ruft man sie »Schnake«, in Italien »Zanzara«, in Schweden »Mygga«, in Kroatien »Komarac«, in Frankreich »Moustique« und bei den Briten wie den Spaniern schlicht »Mosquito«. Wir Menschen, vor allem wir Städter, mögen sie weniger. In unserer Sehnsucht nach friedvollem Genuss von Speis und Trank unter freiem Sommernachtshimmel kreuzen sich nämlich unsere Wege. Und das geht meist nicht ohne Blutvergießen ab. Denn die Weibchen unter diesen kleinen Geschöpfen – allein in Österreich gibt es 43 verschiedene Arten aus sieben verschiedenen Gattungen – pflegen vorzugsweise an lauen Sommerabenden auszuschwärmen, um unser Blut zu trinken. Am liebsten in der Dämmerung. Ausgerechnet dann, wenn wir auf der Terrasse unseres (vielleicht neu erstandenen) Häuschens im Grünen den Griller anwerfen und in aller Ruhe ein Bier schlürfen wollen. Die Gelsen-Mamis sind auch durstig. Sie wollen Blut. Nicht für sie selbst, sondern für den Nachwuchs. Unsere Proteine und das Eisen in unserem Körpersaft sind nämlich für die Produktion der Gelsen-Eier essentiell. Und über den Gelsen-Nachwuchs freuen sich dann wieder Jung-Fisch, Libelle, Schwalbe, Fledermaus und Co. Wir betrachten das Gelsen-Familienleben eher unsentimental. Wenn wir es endlich ins Grüne geschafft haben, müssen wir entdecken, dass wir die vermeintliche Idylle mit diesen rücksichtslosen Mini-Monstern teilen. Besonders, wenn es länger geregnet hat und wir uns auf einen schönen Abend draußen freuen. Zerstochen und gequält treten wir alsbald die Flucht nach drinnen an und sinnen nach Vergeltung: Kampf der Mückenplage!
Steckmücken-Bekämpfung ist aber ein vertracktes Unterfangen: Der Einsatz synthetischer Gifte ist bequem, aber teuer und ungesund. Das Entfernen von Wasser-Ansammlungen (Pfützen, verstopfte Dachrinnen, wassergefüllte Eimer, Regenwassertonnen usw.) ist aufwendig und hilft nur, wenn auch alle Nachbarn mitmachen. Wasserbauliche Maßnahmen (Gräben, Verbindungen von Überschwemmungsbereichen mit Fließgewässern) können es den natürlichen Fressfeinden der Gelsen – Fischen – ermöglichen, ein- bzw. wieder auszuwandern: Sinnvoll, aber ein großer Aufwand. Auch in Mückenbrutgewässern gezielt Fische anzusiedeln, die Gelsenlarven fressen, ist eine Möglichkeit, bislang aber wenig erprobt.
Neuerdings geistert auch der Einsatz der biologischen Chemie-Keule durch die Gelsen-Gebiete und Medien: »Bti« heißt das vermeintliche Zaubermittel, an dem sich im Flutjahr 2013 die Geister schieden. Bti steht für »Bacillus thuringiensis israelensis«. Damit ist die Unterart eines Bodenbakteriums gemeint, dessen giftige Absonderungen die Gedärme der Gelsen-Larven angreifen. Und sie töten. Das »Bio«-Gift gelangt über das Wasser in die Jung-Mücken. Am besten funktioniert das in sauberem Wasser. In trüben Au-Gewässern, in denen es vor Leben nur so wimmelt, wirkt Bti hingegen weniger effektiv: Die Mücken-Larven filtrieren viele verschiedene Stoffe aus dem Wasser und nehmen dadurch weniger Bti in ihren Körper auf. Das Gift wird verdünnt. Bt-Toxine werden auch im Biolandbau gegen Pflanzen-Schädlinge eingesetzt. Aber sie errangen zweifelhafte Berühmtheit durch gentechnisch veränderte Feld-Pflanzen, deren Zellen permanent Bt-Toxine produzieren, um lästigen Schädlingen den Garaus zu machen. Wenn das Bti-Gift über einen längere Zeitspanne eingesetzt wird, wie dies bei Gentech-Pflanzen der Fall ist, kann das nämlich Resistenzbildung bei Insekten fördern. Beim Gentech-Mais ist das bereits ein Riesenproblem. Das Bti-Gift ist zwar biologisch abbaubar und wird auf »biologischem« Weg gewonnen. Aber es ist und bleibt ein Umwelt-Gift. 2013 wurde es von den meisten Gemeinden entlang der March erstmals großflächig in den Auen ausgebracht, um die Gelsen zu reduzieren. Der Giftstoff wurde in alle Gewässer verteilt, in denen mehr als 20 Gelsenlarven pro Liter festgestellt wurden. Bei einer Larven-Entwicklungsdauer von wenigen Tagen gibt es dafür nur ein enges Zeitfenster. Deshalb wurde ein Hubschrauber eingesetzt und das Gift wurde im Überflug ausgestreut. Gebracht hat das aber wenig. Gerhard Egger, Naturschutzexperte vom WWF, erklärt: »Bti tötet auch zahlreiche andere Wassertiere, die eine wichtige ökologische Funktion haben. Gelsen sind Nahrung für viele andere Tierarten, reinigen das Wasser in der Au und bestäuben Blütenpflanzen. Ohne Gelsen könnte sich die Wasserqualität verschlechtern, mit bösen Folgen«, betont er.
Erika Dorn ist Mitarbeiterin des Bereichs Besucher & Kommunikation im Nationalpark Donau-Auen. Wie geht der Nationalpark mit den Plagegeistern um?
»Wir schützen ein international anerkanntes Nationalpark-Gebiet mit seinem gesamten Artengefüge. Gelsen-Bekämpfung ist daher nicht denkbar«, sagt sie. Wir Menschen würden dazu tendieren, den Nutzen für uns in den Mittelpunkt zu stellen. »Dabei übersehen wir, dass alle Lebewesen im Ökosystem-Gefüge eine Funktion haben«, so Erika Dorn. »Wir versuchen die Lebensräume so zu gestalten, dass die Artenvielfalt hoch ist und sich die Populationen so gegenseitig regulieren.« Wie sinnvoll ist der Ruf nach der biologischen Kriegsführung gegen das Vampir-Heer in der Au wirklich? Bti tötet die Larven der Gelsen, nicht aber die erwachsenen Mücken. Es muss also punktgenau ausgebracht werden: Am richtigen Ort und zum richtigen Zeitpunkt. Aber: Gelse ist nicht gleich Gelse. Es gibt verschiedene Arten und Gattungen, die in verschiedenen Lebensräumen leben und saisonal unterschiedlich auftreten.
Stechmücken-Steckbrief
In den Wohngebieten plagen uns vor allem die Haus-Gelsen. Deren Weibchen überwintern in frostfreien Bereichen der Gebäude und legen ihre Eier das ganze Jahr über an den nächstmöglichen Plätzen ab: In Regenwassertonnen, Pfützen, Blumentopf-Untersetzern, Gartenteichen. Sie treten vom Frühjahr bis in den Herbst auf. Der Einsatz des Gelsen-Giftes Bti wirkt bei den Hausgelsen-Larven am effektivsten.
Nach Hochwasser schwärmen vor allem die Überschwemmungs-Gelsen bzw. Au-Gelsen aus. Die legen ihre Eier zumeist in trockenliegende Überschwemmungsgebiete, wo sie jahrelang überdauern. Werden diese Gebiete überflutet, dann schlüpfen kurz nach dem Abklingen des Hochwassers unzählige Mücken. Sie leben nur kurz und bleiben meist nahe ihrer Brutstätten. Die Weibchen sind bei der Suche nach Blut daher besonders aggressiv. Au-Gelsen dringen eher selten in Gebäude ein. Ihre Larven filtrieren (und reinigen) große Mengen Wasser und sie sind eine wichtige Nahrungsquelle für Jung-Fische, Amphibien, andere Insekten, Vögel und Fledermäuse.
Um herauszufinden, welche Gelsen-Varietäten im Bereich des Nationalparks Donau-Auen ihr Unwesen treiben, werden zwischen Wien und Bratislava seit mehreren Jahren Gelsen-Fallen aufgestellt. Carina Zittra, Gelsen-Expertin am Institut für Parasitologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien, betreut die Fang-Aktion: »Im Siedlungsgebiet haben wir hauptsächlich Haus-Gelsen gefunden. In der Dämmerung können theoretisch zwar auch Au-Gelsen mit dem Wind verdriften. In die Fallen in den Wohngebieten sind uns aber kaum welche gegangen.«
In den Wohngegenden stechen also vor allem die ortsansässigen Gelsen. Die Bekämpfung wirkt demnach am besten, wenn sie direkt bei diesen Biestern ansetzt. Das heißt: Tümpel, Pfützen und Wasser im Regenwassertonen, Blumentöpfen, Altreifen usw. entfernen, Gartenteiche naturnah ausgestalten, um auch den Gelsen-Essern wie die Libellen ein Heimat-Biotop zu bieten. Und: Der allfällige Bti-Einsatz sollte auf die Gelsen-Populationen im Bereich der Siedlungsgebiete ausgerichtet werden.
Ein Groß-Versuch in der französischen Camargue hat Unterschiede zwischen Gebieten mit Bti-Bekämpfung und ohne untersucht. Das Ergebnis: Die Erfolge des Bti-Einsatzes hielten sich in Grenzen.
Insektizide sind freilich niemals frei von Nebenwirkungen, auch wenn sie als »Bio« vermarktet werden. Nun scheint es aber einen ökologisch weit verträglicheren Hoffnungsschimmer am Mücken-Horizint zu geben: CO2-Gelsenfallen. Stechmücken werden vom Kohlendioxid (CO2) in unserer Atemluft, vom Hautgeruch und von Hell-Dunkel-Kontrasten angezogen. »Mit den neuartigen CO2-Fallen können die erwachsenen Stechmücken gezielt angelockt und eingefangen werden«, weiß Gelsen-Spezialistin Carina Zittra. »Es kommt kein Gift zum Einsatz. Man erwischt die Gelsen, wo sie leben und stechen. Der Einsatz erfolgt nicht in der Au, wo auch andere Arten geschädigt werden.« Die neuartigen Mückenfallen basieren auf 16 Jahren Forschung an der Universität Regensburg und werden von der Firma Biogens hergestellt. Die Technik befindet sich noch in der Erprobungsphase. Die bisherigen Resultate sind aber vielversprechend.
Fazit: »Die durch Gelsen verursachten Konflikte könnten durch Aufklärung der Bevölkerung und umweltschonende Bekämpfungsstrategien wie CO2-Fallen reduziert werden«, so Carina Zittra. In Naturschutzgebieten sollte man mit der Ausbringung von Bti Vorsicht walten lassen, da es keine Langzeitstudien über die Auswirkungen des Bti gibt. Und: Die Plage muss zielgerichtet in den Wohngegenden bekämpft werden. Bleibt abzuwarten, ob dieser Rat auch noch Gehör findet, wenn die Nerven angesichts einer Gelsen-Plage wieder blank liegen.