Die Hummel: Verkanntes Bestäubungsgenie

Hummel

ILLUSTRATION Hatchepsut Huss

Tief drinnen in Lippenblütlern sammeln langrüsselige Hummeln Pollen und Nektar. Was die wilden Bienenschwestern noch so alles drauf haben, wissen meist nur Eingeweihte.

Es ist März. Noch liegt Schnee auf Wiesen und Feldern. Doch die ersten Sonnenstrahlen erwärmen bereits Luft und Boden. Mit den ansteigenden Plusgraden beginnt der Schnee langsam zu schmelzen. Etwas regt sich da unten im ausgedienten Mäuseloch und brummt schlaftrunken vor sich hin. Eine junge Erdhummel-Königin erwacht aus ihrem sechsmonatigen Winterschlaf. Sie hat überlebt, ihr Volk ist im vergangenen Herbst zugrunde gegangen. Noch etwas träge, fliegt das schwarz-gelbe, pelzige Wildbienenexemplar nach draußen und geht, entkräftet und hungrig, auf die Suche nach Blüten mit energiereichem Nektar. Den braucht die Königin jetzt, denn sie muss ein geeignetes Nest finden und ein neues Volk gründen. Der einjährige Hummel-Zyklus hat begonnen. Nach der Eierablage und dem Schlüpfen der Larven steht deren Fütterung mit Pollen an. Auch dafür muss die Hummelkönigin wieder von Blüte zu Blüte trudeln, damit die Brut möglichst zahlreich zu helfenden Arbeiterinnen und paarungsbereiten Drohnen und Jungköniginnen heranwachsen kann. Schließlich, nachdem das Volk auf bis zu 500 Hummeln angewachsen ist, wird das Jahr im frühen Herbst zu Ende gehen – mit dem Sterben von Arbeiterinnen und Drohnen und der Vorbereitung der ausgeflogenen und begatteten Jungköniginnen auf die Winterruhe.

Bestäuber-Qualitäten

Bumblebee oder Bombus, der englische bzw. lateinische Name der Gattung Hummel, passen gut zu ihrer putzigen, rundlichen Gestalt, verraten aber nichts über ihre reiche Artenvielfalt, ihre unschlagbaren Fähigkeiten – beispielsweise ihre Anpassung an große Höhen und niedrige Temperaturen – und vor allem ihre wirtschaftliche Bedeutung. Denn womit die weltweit rund 250 und 45 einheimischen Hummelarten die meiste Zeit verbringen, ist neben der Aufnahme von Nektar vor allem das Sammeln von Pollen bzw. Blütenstaub. Das darin enthaltene pflanzliche Erbgut wird während des Flugs von einer Blütentankstelle zur nächsten verteilt, die Pflanzen »bestäubt« und ihre Vermehrung gesichert. Zwar ist die vom Menschen domestizierte Honigbiene – als wichtiger Bestäuber für rund 80 Prozent unserer heimischen Nutz- und Wildpflanzen – schon lange in aller Munde. Wenige wissen allerdings, dass auch Hummeln als Nutztiere vor den Karren gespannt werden. Laut der Weltnaturschutzunion IUCN wird ihr wirtschaftlicher Wert für die Landwirtschaft in Europa auf 22 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Hummeln bilden zwar wesentlich kleinere Völker als etwa Honigbienen, ein einzelnes Tier bestäubt aber nicht nur bis zu fünfmal mehr Blüten täglich, sondern tut das auch noch gleichmäßiger und effektiver.

Womit wir wieder bei der Erdhummel wären. In den vergangenen 30 Jahren leistete sie als Bestäuber für Tomaten in Glashäusern unschätzbare Dienste. Weil die Pollenkörner bei den Nachtschattengewächsen relativ fest verpackt in Kapseln sitzen, können sie nur durch eine spezielle Technik daraus befreit werden – und diese beherrschen Erdhummeln ganz famos: Sie beißen sich am Blütenstempel fest und erzeugen mit Hilfe ihrer Brustmuskulatur Vibrationen, um den Pollen herauszuschütteln. Der verfängt sich im Hummel‘schen Haarkleid, wird ordentlich herausgebürstet und in eigens dafür ausgestatteten Bein-»Höschen« ins Nest abtransportiert. So ganz nebenbei erfolgt beim Vibrieren auch gleich die Bestäubung.

Hummel klein

ILLUSTRATION Hatchepsut Huss

Siegeszug mit Folgen

Tomatenblüten sind zwar selbstbefruchtend, das Blüten-Schütteln ist jedoch unerlässlich. Es funktioniert im garteneigenen Folientunnel auch, indem man selbst Hand anlegt. Im erwerbsmäßigen Tomatenanbau unter Glas ist man allerdings seit Langem auf die professionelle Hummelunterstützung angewiesen. Zu diesem Zweck werden die kleinen Brummer in den Niederlanden, in Belgien und Deutschland kommerziell gezüchtet und in die ganze Welt exportiert. Und damit fängt das eigentliche Unheil an, meinen manche Entomologen und Naturschützer. Während solche Tomatenpflanzen um 25 Prozent höhere Erträge liefern als manuell gerüttelte und die Tomaten-Industrie aufblüht, verbreitet sich die importierte Erdhummel in einigen Ländern ziemlich rasant – mit noch wenig erforschten Folgen. »Oft werden zur Zucht Nachfahren der türkischen Erdhummel verwendet, weil sie in Gefangenschaft am kostengünstigsten gezüchtet werden kann und die größten Völker bildet. Neben vielen generellen Positiva solch einer Hummelbestäubung wie z.B. der Vermeidung von Spritzmitteln wird diese türkische Unterart der Erdhummel aber auch in Regionen verschickt, wo die Erdhummel nicht natürlich vorkommt, zum Beispiel nach Japan, Tasmanien oder Südamerika.« Für den Salzburger Hummelspezialisten Johann Neumayer, Entomologe und Umweltbeauftragter der Diözese Salzburg, ist vor allem der globalisierte Versand problematisch. Einige Länder wie die USA haben daher auch bereits Einfuhrverbote ausgesprochen und züchten einheimische Hummeln.

Wenn etwa die fremden Jungköniginnen des importierten Hummelvolks in die freie Natur entfliegen – was sich praktisch nicht vermeiden lässt – kreuzen sie sich mit heimischen Hummeln, die genetische Struktur der jeweiligen Hummelart verändert sich. Diese sogenannte Faunenverfälschung wird auch von Naturschützern wie dem oberösterreichischen Entomologen Martin Schwarz kritisch gesehen: »Unser Anliegen ist die Wahrung der Arten- und innerartlichen Vielfalt. Letztere ist bei der Vermischung bedroht.« Wie genau sich die Faunenverfälschung auf die Überlebensfähigkeit der Hummelbestände auswirkt, ist allerdings noch gar nicht geklärt – wie übrigens auch nicht die Einschleppung potenzieller Krankheitserreger.

Partnerschaft mit Zukunft

An kühlen Apriltagen bestäuben Hummeln Apfelblüten, zu früher Morgenstunde auch die von Kürbissen. Die steirische Traditionspflanze stellt zwar besonders in landwirtschaftlich intensiv genutzten Teilen der Region eine wichtige Einnahmequelle der Bauern dar. Gerade dort werden allerdings ökologisch intakte Flächen und die Bestände von Hummeln und anderen Wildbienen weniger. Grund genug für den Bienenschutzfonds, den die Lebensmittelkette Hofer und der Naturschutzbund gegründet haben, sich der Partnerschaft von Hummel und Kürbis anzunehmen. Das Forschungsprojekt »Hummeln im Kürbisanbau« in der Ost-Steiermark will bis nächsten Herbst die große Bedeutung verschiedener Hummelarten für die Kürbisbestäubung belegen. Von den acht teilnehmenden Kürbisbauern erhielten daher sechs schon vor Wochen Nistkästen mit je zwei Völkern verschiedener Hummelarten. »Bei der Auswahl der Landwirte haben wir bewusst darauf geachtet, dass es sich um intensiv bewirtschaftete, monokulturell geführte Betriebe handelt. Gerade hier mangelt es an Bestäubern, weshalb wir ideale Bedingungen für unser Projekt vorfinden. Die Ergebnisse werden klarer und aussagekräftiger sein«, glaubt Projektleiter Bernd Strauss. Als Vergleichsfeld wurde der in ökologisch günstiger Umgebung liegende Kürbisacker von »Hummelbauer« Franz Schmidlechner unter die Lupe genommen. Er engagiert sich für Arten- und Biotopschutz und zeigt Interessierten, wie man Hummelköniginnen mit der hohlen Hand fängt. Mit der Bestäubung seiner Kürbisse hat er keine Probleme: »Wichtig sind genügend Sonnenstunden, dann gibt es Bienen und viele anderen Bestäuber, auch Wespen oder Käfer. Natürlich ist es ideal, wenn Hummeln fliegen, weil sie an bewölkten Tagen ihre Stärke ausspielen.«

Entomologen wie Neumayer und Artenschützer wie Schmidlechner sind überzeugt, dass die Bestäubung nur dann eine Gratisdienstleistung der Natur bleibt, wenn der Mensch für geeignete Bedingungen sorgt – mit einem vielfältigen Blütenangebot über die ganze Saison, auf Wiesen, in Gärten, an Weg- und Waldrändern und zwischen Ackerflächen.

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