Die Bauern aus dem So Rich Valley

In einem kleinen Tal bei Chulute in Äthiopien gleichen die Grundstücke der Bauern einem kleinen Paradies. (Bild: Thomas Stollenwerk)

In einem äthiopischen Tal kann man besichtigen, wie Bauern den Aufstieg in die Mittelschicht schaffen: mit neuen Gemüsesorten und verbesserten Anbaumethoden. 

In einem entlegenen Winkel Äthiopiens liegt die Region Ginde Beret. Das bedeutet so viel wie „eingezäunte Sackgasse“. Chulute ist einer der größeren Orte der Gegend. Jeden Dienstag ist hier Markttag. Dann kommen die Bauern der umliegenden Dörfer nach Chulute, um ihre Waren anzubieten und um auf Händler zu treffen, die hier mit allerhand Dingen des täglichen Gebrauchs handeln. Vieles davon ist Importware aus Asien. Haushaltsartikel und Kleidung aus China, indonesisches Palmöl, Batterien aus Taiwan. Die Bauern bieten an, was auf Ihren überschaubaren Flächen gedeiht. Zwiebeln, Knoblauch, Gemüse und ein wenig Obst. Unter einem großen Baum werden Esel verkauft. Unter einem anderen Baum gibt es Teff, äthiopische Zwerghirse. Das Getreide wird mit bloßen Händen in Säcke geschaufelt und auf LKW verladen, um auf die Märkte der Hauptstadt Addis Abeba gebracht zu werden.

Dienstags ist Markttag in der Kleinstadt Chulute. (Bild: Thomas Stollenwerk)

Abdisha Tujaba trägt Gemüse zum Markt. (Bild: Thomas Stollenwerk)

Im Getümmel des Marktes treffen wir Abdisha Tujaba. Sie hat Rote Rüben dabei, riesige Knollen. Irgendwo breitet sie ein Tuch auf dem sandigen Markplatz aus, um ihr Gemüse zu verkaufen. Abdisha Tujaba war zwei Mal verheiratet. Mit ihrem ersten Mann wurde sie verheiratet, da war sie erst 12 Jahre alt. Von ihm ließ sie sich scheiden, als sie schon drei Kinder hatte. Ihr zweiter Ehemann starb, nachdem sie noch zwei weitere Kinder bekommen hatte. Um ihre Familie zu ernähren, musste Abdisha als Tagelöhnerin arbeiten. Kein leichtes Schicksal. Und in Äthiopien kein untypisches. Abdisha ist eine von Dutzenden Marktfrauen. Trotzdem ist sie in einer Sonderrolle. Denn sie ist eine sogenannte Model Farmerin.

Ein Mikrokredit brachte finanziellen Spielraum

Vor sechs Jahren hat sich für Abdisha Tujaba vieles verändert. Damals kam eine Hilfsorganisation in die Region Ginde Beret: Menschen für Menschen. Der Plan der Organisation: Den Bauern dabei helfen, effizienter Landwirtschaft zu betreiben. Abdisha hat sich von Anfang an darauf eingelassen und sich an den Maßnahmen von Menschen für Menschen beteiligt. Seit 2011 betreibt sie Gemüseanbau mit Sorten, die erst die Hilfsorganisation in der Region bekannt machte. Auf ihrem Grundstück wachsen heute Mangold, Kaffee, Karotten, rote Rüben, Bananen und Äpfel. Vor 2011 war die Vielfalt deutlich kleiner. Eine lokale Rübenart wurde angebaut, dazu Karotten und Zwiebeln. Auf 3,75 Hektar baut Abdisha Tujaba heute zusätzlich Mais und Teff an. Zur Erntezeit beschäftigt sie inzwischen selbst Tagelöhner, denen sie zwischen 25 und 50 Birr pro Tag zahlt – zwischen einem und zwei Euro. Zum Vergleich: Ein geliehener Transportesel kostet ungefähr 20 Birr pro Tag.

Die deutlich verbesserte Situation der Familie Tujaba hängt nicht allein von neuen Gemüsesorten ab. Der Brunnen im Ort wurde von MfM instandgesetzt, um die Wasserversorgung zu verbessern. Und: Es wurde ein Mikrokreditprogramm initiiert, das Bäuerinnen wie Abdisha zu ein wenig finanziellem Spielraum verhalf. Sie würde sich heute als Bäuerin mit mittlerem Einkommen bezeichnen. Ein Aufstieg, den auch andere Bauern aus ihrer Nachbarschaft geschafft haben. Rund um das Grundstück von Abdisha Tuhaba gedeihen Obst und Gemüse inzwischen so gut, dass die äthiopischen Mitarbeiter von MfM einen Spitznamen für die Talsenke gefunden haben: So Rich Valley.

Durch Wissen zu mehr Ertrag

Ein anderer Bewohner des Tals ist Begi Lata. Er hat das Land hier vor einigen Jahren geerbt. Wobei erben es nicht genau trifft, denn wirklichen Landbesitz gibt es im ehemals sozialistischen Äthiopien nicht. Als Begi Lata den Grund übernahm, war der Boden unfruchtbar und schlecht bewässert. Begi verließ das Tal, um woanders sein Glück zu versuchen. Glücklich wurden er und seine junge Familie auch woanders nicht. Und so kamen sie zurück, als MfM gerade begonnen hatte, in den Dörfern rund um Chulute zu arbeiten. Heute fließt entlang von Begi Latas Grundstück ein kleiner Bach, der viele Haushalte mit Wasser versorgt. Die glückliche Lage macht auch Begi Lata zu einem erfolgreichen Bauern. Das hat allerdings nicht nur mit Glück zu tun, sondern auch mit Experimentierfreude. Begis neuster Plan: Rizinusöl-Bäume anbauen. Begi Latas Interesse an neuen Methoden und Kulturpflanzen stammt aus regelmäßigen Fortbildungen.

Begi Lata ist einer der Bauern, deren Grundstücke das Tal zum „So Rich Valley“ machen. (Bild: Thomas Stollenwerk)

Ein paar Tage, nachdem wir ihn zuhause besucht haben, treffen wir Begi Lata in einem dunklen Klassenzimmer in der Provinzhauptstadt Kachisi wieder. Gemeinsam mit rund vierzig anderen Bauern kommt er an drei aufeinanderfolgenden Tagen hierher, um sich neue Bewässerungsmethoden erklären zu lassen. Das bedeutet für ihn: morgens zu Fuß hin, abends zurück. Drei mal nacheinander. Eine Hotelübernachtung in Kachisi ist für die meisten Bauern utopisch. Als Aufwandsentschädigung zahlt MfM den Teilnehmern 100 Birr pro Tag.

Begi Lata möchte hier lernen, wie er die Bewässerung seines Grundstücks so verbessern kann, dass er dort auch Guaven und Pfirsiche anbauen kann. Die meisten der Bauern, die hier ihr Wissen auffrischen und erweitern, haben in den vergangenen Jahren ihre Anbaumethoden verbessert. Das schlägt sich deutlich in ihrem Einkommen nieder. Tefaye Gurmesa aus Sogodo berichtet, dass er inzwischen – vor allem durch neu eingeführten Mangold und Rote Rüben – sein Einkommen auf 20.000 Birr pro Jahr, rund 800 Euro, verbessern konnte. Früher sei er nicht über 5.000 bis 6.000 Birr gekommen. Chala Chibsa aus Dire Faji erzählt, dass er allein mit Tomaten inzwischen rund 20.000 Birr pro Jahr verdient. Auf derselben Fläche hatte er zuvor Mais angebaut, mit deutlich geringerem Gewinn.

Abdisha Tujaba hat in ein Haus investiert, indem ihre Töchter wohnen, um sich auf ihre Schulbildung konzentrieren zu können. (Bild: Thomas Stollenwerk)

Gewinn, der bleibt

Abdisha Tujaba und Begi Lata sind Model Farmer. Unrepräsentative Ausnahmen oder Glückspilze sind sie deshalb nicht. Die Bewohner des „So Rich Valley“ arbeiten hart dafür, die Landwirtschaft in diesem entlegenen Winkel Äthiopiens zu professionalisieren und sie so effizient zu gestalten, wie möglich. Die verbesserten Anbaumethoden kommen einer ausgewogenen Ernährung zugute. Und die gesteigerten Einnahmen fließen auch in Bildung.

Zurück in Chulute zeigt Abdisha Tujaba ihr neues Stadthaus in der Nähe des Marktplatzes. Hier wohnen ihre Töchter, um in der Kleinstadt zur Schule zu gehen. So sparen Sie sich den allmorgendlichen Fußweg aus dem „So Rich Valley“. Der Standard ist gehoben, deutlich besser als in Abdishas eigenem Wohnhaus. Der bescheidene Aufstieg, den Abdisha Tujaba und ihre Familie geschafft haben, ist ganz offensichtlich, und er kommt der Bildung der Töchter zugute. So schaffen neue Gemüsesorten nachhaltig bleibende Gewinne für eine ganze Region.


Die Recherche in Äthiopien erfolgte während einer Pressereise auf Einladung von Menschen für Menschen.

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