Die Bäckerei: Kultur statt Brot
Die Bäckerei – Kulturbackstube in Innsbruck ist keine herkömmliche Bäckerei. Anstatt Brötchen, Croissants und Striezel zu produzieren, geht es in dieser Bäckerei um kulturelle Vernetzung.
Die Bäckerei will eine Plattform für künstlerischen und sozialen Anstoß sein und durch einen kostengünstigen Ausstellungsplatz, einen Ort für Wissensaustausch, Präsentationen, eine Experimentierfläche bieten. Um mehr über diesen Ort des Austauschs zu erfahren, hat hat BIORAMA die Organisatorinnen des Backstuben-Teams, Christina Mölk und Julia Scherzer, getroffen.
BIORAMA: Eure Idee ist es, die Präsentation, Produktion und Kommunikation von Kunstprojekten zu vereinen. Wie genau funktioniert das in der Bäckerei?
Christina Mölk und Julia Scherzer: Priorität für uns ist, dass wir nicht lediglich ein fertiges Programm, sondern vielmehr die Möglichkeit bieten, selber aktiv zu werden. Ein wesentlicher Teil der Bäckerei sind Veranstaltungen, also die Präsentationsebene. Darüber hinaus passiert jedoch noch wesentlich mehr. In der Bäckerei sitzen viele Menschen, die nicht nur konsumieren, sondern produzieren. So beherbergen wir beispielsweise eine Radwerkstatt, Strick- und Nähateliers, eine Kinder- und Pensionisten-Kunstschule, ein Architekturkollektiv, einen Co-Working-Space und extern eine Gemeinschaftswerkstatt. Diese beiden Ebenen agieren nebeneinander – also finden tatsächlich in den gleichen Räumlichkeiten statt. Zum Beispiel wenn man ein Klassikkonzert besucht, reparieren nebenan Menschen ihre Fahrräder. Wenn man Sonntags auf Kaffee und Kuchen geht, nähen gleichzeitig Leute an ihren Outfits oder reparieren ihre alte Lampe. Auch Präsentationsveranstaltungen werden bewusst gleichzeitig organisiert, damit sich unterschiedliche Gruppen mischen, austauschen, vernetzen und neue Interessen generieren.
Könnt ihr das Konzept und die Idee dahinter genau erklären?
Absichtliche Kollisionen unterschiedlicher Veranstaltungen erzeugen Reibungspunkte, welche Interessens- und Altersgruppen zusammenführen, die andernorts unbemerkt nebeneinander agieren. Ideen müssen jene erreichen, die sie noch nicht kennen. Nur so können innovative Ansätze eine breite Wirkung entfalten, sich entwickeln und korrigieren. Aus diesem Prinzip heraus, programmiert die Bäckerei Veranstaltungen. Das Ziel ist nicht Unterhaltung, sondern die Vernetzung und Aktivierung von Ideen, Gruppen, Projekten und Individuen. Aus dieser Vermischung entsteht wiederum die Ebene der Kommunikation. Die Bäckerei erzeugt durch alle Beteiligten ein kulturelles Geflecht, das regional und international agiert. Verbindungen zwischen Institutionen, Gruppierungen, Städten und kreativen Kräften sollen mobilisiert werden und nicht nur zu neuen Projekten, sondern zu einer neuen kulturellen Aufmerksamkeit überleiten. Die Bäckerei tritt als Vermittlerin und Initiatorin neuer kultureller Konzepte, Projekte und Möglichkeiten auf, nicht nur in einer kleinen Gemeinschaft, sondern inzwischen auf breiter gesellschaftlicher Ebene.
Wann und wie kam euch die Idee zur Bäckerei? Gab es einen bestimmten Anstoß, diesen kostengünstigen Ausstellungsraum zu schaffen?
Die Idee ist in den Köpfen von den GründerInnen schon länger, auf ganz unterschiedliche Weise gewachsen. Wirklich manifestiert und konkretisiert haben sich die Vorstellungen allerdings dann erst mit der Möglichkeit der Nutzung der Räume, die sich uns 2009 eröffnet hat. Durch die Beschaffenheit des Hauses und die vielen Gespräche mit Kulturschaffenden hat sich dann aus den einzelnen Träumereinen eine gemeinsame Idee entwickelt. Von Anfang an war es uns ein Anliegen auf die Bedürfnisse der NutzerInnen und BesucherInnen einzugehen, weshalb die Bäckerei anfänglich nur passiv von außen programmiert wurde und auch dadurch erst Gestalt angenommen hat. Ein fertiges Konzept hat es nie gegeben – wichtig war es uns eine Infrastruktur zu schaffen in der möglichst viel unterschiedlichstes ausprobiert werden kann. Dass das Haus von Anfang an völlig ausgebucht war, hat uns in unserer Annahme bestätigt, dass es ein großes Bedürfnis an Räumen gibt, die so niederschwellig, flexibel und vorbehaltlos von der Bevölkerung bespielt werden können wie die der Bäckerei.
Warum der Name Bäckerei für ein Kulturzentrum?
Die Bäckerei befindet sich in der ehemaligen Großbäckerei Therese Mölk – das alte Industriegebäude stand zuvor viele Jahre leer. Der Name des Kulturvereins Die Bäckerei – Kulturbackstube spiegelt die Vergangenheit und den zukünftigen Umgang mit den Räumlichkeiten wieder – die ehemalige Großbäckerei wird zur Kunst- und Kulturbäckerei. Jedoch wird nicht nur der frühere Name beibehalten, sondern auch seine Atmosphäre und Bausubstanz. Das Haus wird nach und nach renoviert und für neue Nutzungsmöglichkeiten adaptiert, dabei wird der alte Charakter und mit ihm ein Stück Geschichte beibehalten.
Wie wird das Projekt finanziert?
Die Bäckerei bekommt als gemeinnütziger Verein Förderungen von Stadt, Land und Bund. Diese sind leider noch sehr gering. Zusätzlich finanzieren wir uns über Bareinnahmen, Raumvermietungen und Spenden. Generell ist zu sagen, dass die Menschen, die in der Bäckerei tätig sind, ihre Arbeit zu einem großen Teil ehrenamtlich leisten. In Zukunft sollen auch Fördermitgliedschaften und Kooperationen mit Firmen die Bäckerei unterstützen.
Welche Ziele habt ihr für die Bäckerei?
Für die Zukunft liegt einer unserer Schwerpunkte bei partizipativen Veranstaltungsreihen, die Bewusstsein schaffen und auf möglichst niederschwellige Art und Weise Menschen zum Umdenken und in Frage stellen gesellschaftlicher Strukturen anstößt und sie an Alternative heranführt. Siehe zum Beispiel die offene Radlwerkstatt und das Nähcafé. In dieser Richtung soll noch mehr realisiert werden, da es uns ein großes Anliegen ist, Menschen zur Eigenverantwortung und Selbstorganisation zu motivieren. Auch wollen wir die Bäckerei dahin entwickelt, dass sie als Institution noch stärker Alternativen vorleben kann. Unser Augenmerk liegt dabei vor allem in den Bereichen Arbeitsmodell, Inklusion, Nachhaltigkeit, Gemeinwohl und so weiter. Ein anderes Ziel für die Zunkunft ist es unserer Erkenntnisse und Erfahrungen für alle zugänglich zu machen und zu teilen. Dies soll etwas in einem Blog und einem Bäckerei Magazin realisiert werden. Auch die internationale Vernetzung wird ein Schwerpunkt sein. Wir möchten Austauschprogramme ermöglichen und gemeinsame Projekte mit anderen europäischen Kulturvereinen forcieren. Und ein unausweichliches Ziel für die Zukunft ist sicherlich auch ein finanzielles. Um die Bäckerei die nächsten Jahre noch in dieser Art und Weise führen zu können, müssen Unterstützer gefunden und finanziell entlasteten Konzepte entwickelt werden. Dies soll mit Hilfe von Freiwilligen und Fördermitgliedschaften realisiert werden.
Für wen ist dieser Raum konzipiert? Wer darf darin ausstellen?
Der Raum ist für die Bevölkerung konzipiert – wir wollen keinen Kultur- und Veranstaltungsraum im klassischen Sinne, in dem die OrganisatorInnen ein Programm anbieten, dass passiv rezipiert wird.Wir wollen einen Ort schaffen, der von seinen Besuchern und der Bevölkerung programmiert wird. Wir stellen also die Räumlichkeiten und unsere Erfahrung zur Verfügung, um gemeinsam mit den externen VeranstalterInnen gelungene Projekte umzusetzen. Die Ideen kommen also von den Menschen und wir versuchen mit ihnen daran zu arbeiten. Das Ziel einer Veranstaltung sollte nicht die Unterhaltung, sondern die Zusammenführung unterschiedlicher Gruppen und Gedanken sein. Wir unterstützen vor allem Formate, die vom Publikum mitgestaltet werden können und neue Sichtweisen eröffnen. Veranstalter und Besucher werden Teil der Bäckerei und formen das Programm aktiv mit. Prinzipiell kann natürlich jeder und jede mit seinen und ihren Ideen an uns herantreten. Die Auswahl der Veranstaltungen und Projekte erfolgt aufgrund eines kurzen Konzeptvorschlags, beziehungsweise einem Gesprächs zwischen VeranstalterInnen und BäckerInnen. Anschließend werden die Möglichkeiten der eingereichten Konzepte intern besprochen und diskutiert. Bevorzugt werden flexible Konzepte, die sich dynamisch an den Raum anpassen können. Außerdem gibt es keine „geschlossenen“ Veranstaltungen – jede Veranstaltung muss öffentlich zugänglich sein.
Wie viele Projekte beherbergt ihr ungefähr?
Im Jahr sind es circa 370 Veranstaltungen, die in der Bäckerei – sehr oft auch parallel – statt finden. Dies sind ganz unterschiedliche Veranstaltungsformate. Zum Beispiel das Sonntags-Café, Wohnzimmerkonzerte, Poetry Slams, Präsentationsveranstaltungen, Vorträge, Lesungen und diskursive Formate, wie das philosophische Café. Aber beherbergen wir auch viele partizipative DIY-Formate, wie die Bikerei, eine offene Radlwerkstatt, das Nähatelier, die Strickfabrik und vieles mehr.
Welche Räumlichkeiten stellt ihr zu Verfügung?
Die Bäckerei dehnt sich mittlerweile über alle drei Stöcke des Gebäudes aus. Im Erdgeschoss befinden sich das Café, ein Seminarraum, das Bäckerei Büro, der Sitz der TKI (Dachverband der tiroler Kulturinitiativen) und ein großer Off-Space Raum. Im ersten Stock befindet sich die Kunschtschule für Kinder und Jugendliche, ein weiterer Seminarraum, der offene Grafik Werkraum und ein Fotolabor. Im zweiten Stock ist ein ArchitektInnen Kollektiv eingemietet und unser Co-Working Raum Stock Eins.
Inwiefern, abgesehen von Räumlichkeiten, unterstützt ihr die Künstler?
Bei uns werden weniger KünstlerInnen unterstützt, sondern vielmehr VeranstalterInnen, die ihre Projekte, darunter auch künstlerische, umsetzen. Aber von Musik über Theater, Handwerk, Architektur, bildende Kunst, Sport und so weiter, kommt bei uns eigentlich alles vor. In erster Linie helfen wir durch unser Know-How bezüglich Organisation und Planung von Veranstaltungen, wir bieten die benötigte Infrastruktur und unsere Hilfe und Unterstützung bei der Realisierung. Sehr viel Arbeit leisten dabei natürlich auch die VeranstalterInnen selbst.
Werden nach wie vor Brot oder andere Backwaren bei euch produziert?
Nein, aber wir wollen uns in Zukunft verstärkt mit Lebensmitteln, deren Produktion und Verarbeitung auseinandersetzen. Es gibt bereits einen privaten Mittagstisch in der Bäckerei, bei dem unterschiedliche Personen für eine Gruppe von angemeldeten Gästen kochen. Außerdem haben wir gerade mit Bau und Bepflanzung eines Dachgartens begonnen, der gemeinsam mit Nachbarn und Interessierten betrieben wird.
Ihr plant ja außerdem ein neues Projekt für Innsbruck: Das Food Lab. Worum handelt es sich hier genau?
Entstehen soll eine Art Plattformküche, die Menschen zurück zu einem bewussten und nachhaltigen Umgang mit Lebensmittel führt. Stichworte dabei sind beispielsweise Wastecooking, vegetarische und vegane Lebensformen, regionale Nutzung von Lebensmitteln, selbst Kochen statt Fertiggerichte konsumieren und vieles mehr. Hier soll die Möglichkeit geboten werden, selbst aktiv zu werden, zu essen und sich auszutauschen. Gleichzeitig wird aber auch ein umfangreiches Wissen über Umgang und Nutzung von Nahrungsmittel und deren Produktion vermittelt. Die Bevölkerung soll ein neues Bewusstsein für den nachhaltigen Umgang mit ihren Ressourcen generieren, in allen Bereichen.
Die Bäckerei-Kulturbackstube
Dreiheiligenstraße 21a
6020 Innsbruck
www.diebaeckerei.at
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