„Die Ära der Ökologie – Eine Weltgeschichte von Joachim Radkau”, rezensiert von Peter Drössler.
Hat die Öko-Ära längst begonnen? Ein neues Standardwerk gegen die Geschichtslosigkeit des Grünen.
Atomkraftwerke und Golfplätze sind gleich umweltrelevant? In der umweltpolitischen Geschichte Japans offenbar. Das Standardwerk „Environmental Politics in Japan“ widmet beiden Themen gerade einen Satz. Gemeinsam. Im Sinne von: kein Thema.
Erst in der globalen Zusammenschau fällt auf, dass umweltpolitische Themen in verschiedenen Ländern sehr unterschiedliche „Karrieren“ erfahren. Joachim Radkau leistet mit seinem Buch „Die Ära der Ökologie – Eine Weltgeschichte“ diesbezüglich erstaunliche Pionierarbeit.
Oft ist es nicht einfach zu verstehen, warum ein Thema in einem Land zum bestimmenden Leitthema wird, während es in einem anderen Land – bei grundsätzlich gleicher Problemkonstellation – nicht einmal die Wahrnehmungsschwelle überschreitet. Radkau geht dieser Frage nach und zeichnet in seinem gut recherchierten, faktenreichen Werk die Entwicklungs- und Themengeschichte der Ökologiebewegung seit ihren Anfängen im 18. und 19. Jahrhundert nach. Besonderes Gewicht legt er auf die Zeit um 1970, aus seiner Sicht eine besonders ereignisreiche Wendephase der Ökologiegeschichte, und die letzten vier Jahrzehnte.
Dabei deckt er grenz- und themenüberschreitend viele Zusammenhänge und Wendungen, Fehler und Irrtümer auf und er schildert natürlich auch viele Erfolge. Ein Buch voller Fakten und Geschichten, viele davon längst vergessen, bisher übersehen oder vielleicht auch bewusst übergangen.
Nur ein paar Beispiele:
Große Staudämme, spätestens seit den 80ern eines der Hauptaktionsfelder der internationalen Öko- und Entwicklungspolitikszene, wurden beispielsweise ursprünglich in den USA als anfangs durchaus erfolgreiche Lösung für das damals dringlichste Umweltproblem ersonnen – die Bodenerosion (Dust Bowl). Die vom optimistischen Geist Franklin D. Roosevelts geprägte Lösung wurde begeistert als Patentrezept an alle möglichen und unmöglichen Orte exportiert, das Problem der Übernutzung des Grundwassers erkannte man erst viel später (baute aber trotzdem weiter an Großdämmen in aller Welt).
Die 1948 gegründete Vorläuferorganisation der UN-Umweltorganisation UNEP, die IUPN (International Union for the Protection of the Nature) hatte zwar so gut wie kein Budget, schaffte es aber dennoch oder gerade deswegen eines der bis heute erfolgreichsten Instrumente des Artenschutzes zu etablieren: die „Rote Liste“. Verantwortlich für diese Großtat statistischer Kleinarbeit war der erste Vorsitzende der IUPN: Julian Huxley, der Bruder des „Brave New World“-Autors Aldous.
Gorbatschow zitiert Radkau mit dem Satz: „Der Reaktorunfall von Tschernobyl … war vielleicht noch mehr als die von mir begonnene Perestrojka die wirkliche Ursache für den Zusammenbruch der Sowjetunion fünf Jahre später.“ Und er erklärt auch die Gründe dafür: die Erschütterung des Technikmythos und das auch für die Eliten sichtbare, offensichtliche Scheitern der hierarchischen Strukturen und die daraus resultierende, offenbar selbst vom Politbüro empfundene Ohnmacht in dieser Situation, lassen diese These durchaus plausibel erscheinen.
Oder: Tierfilmer Bernhard Gzrimek, der wohl mehrere Generationen Jugendlicher mit seinen Filmen („Die Seringeti darf nicht sterben“) und TV-Sendungen aus Afrika („Ein Platz für Tiere“, wöchentlich auf Sendung von 1956-1980) ökologisch sozialisierte, leistete damit einerseits einen unschätzbaren Beitrag zum Naturschutz und einem entstehenden ökologischen Bewusstsein sowie ganz konkret für die Etablierung der Idee von Nationalparks. Ihm selbst ging es jedoch weniger um eine fundierte ökologische Betrachtung als um das Spektakel, das große Wildtiere bieten. Fast logischerweise fand Gzrimek daher in der Tourismusindustrie seinen wichtigsten strategischen Partner, geriet mit seiner Arbeit in scharfen Gegensatz zu Albert Schweitzer – und er entwickelte aus heutiger Sicht auch eher skurille Ideen, wie einen riesigen Seringeti-like-Safaripark im Taunus, mit riesigen Wildtierherden, für den er große Waldflächen roden lassen wollte, damit man die Tiere besser sehen könne. Eine Idee, mit der er allerdings am Widerstand deutscher Naturschützer sowie der Wald- und Grundbesitzer scheiterte.
Oder noch einmal zum Thema Atom: die erste umfassende deutschsprachige Brandschrift gegen die Kerntechnik 1968 kam beispielsweise von einem österreichischen Forstmann: Günther Schwab, Gründer des (Anm.: in Deutschland wegen rechtsradikaler Aktivitäten verbotenen) „Weltbund zum Schutz des Lebens“, einem ehemaligen NSDAP-Mitglied und SA-Offizier.
Bewegung ohne Bewusstsein
Der Vorwurf mangelnden Bewusstseins für die eigene Geschichte ist ein Ausgangspunkt der Arbeit Radkaus. Die „Geschichtslosigkeit der Grünen“ erlaube, dass „die Gegner der Umweltaktivisten geradezu absurde Geschichten über die Genese der Umweltbewegung verbreiten“ und in schrillen Pamphleten das Schreckbild einer Ökodiktatur zeichnen könnten. Vaclav Klaus‘ Buch „Blauer Planet in Grünen Fesseln“ sei nur ein Beispiel dafür.
Radkau setzt dem ein umfangreiches historisches Werk entgegen, spannend inszeniert, indem er nicht auf eine chronologische oder geographische Schematik der Darstellung setzt, sondern in seiner Analyse nüchtern, fundiert und kenntnisreich den Schlüsseldramen der Ökologiegeschichte folgt.
Radkau sieht uns bereits mitten im ökologischen Zeitalter im Sinne einer „neuen, wahren Aufklärung“ und versucht dies sowohl ideengeschichtlich als auch aus der Genese der Umweltbewegung aus ihren Traditionen zu untermauern. Rund um die zwei Hauptaspekte Ressourcen und Gesundheit kreisend, destilliert Radkau acht Haupttraditionen, die für ihn die Wurzeln modernen ökologischen Wissens bilden: Waldschutz, Wasserschutz, Luftreinhaltung, Tierschutz (ursprünglich vor allem Vogelschutz), Naturschutz, Arbeitsmedizin, Verbraucherschutz und die Naturheillehre. Jeweils für sich genommen reichen diese Traditionen teilweise Jahrhunderte zurück und ihre Geschichte ist natürlich auch eng mit der Geschichte der industriellen Revolution verknüpft.
Im Versuch, diese Traditionen in ein homogenes Ganzes zu verbinden, zeigen sich jedoch auch die Grenzen in Radkaus ehrgeizigem Projekt einer Neudefinition unserer Ära im Geiste der Ökologie. Muss er doch mit Luhmann eingestehen, dass bis heute die Ökologie(bewegung) „in eine Vielzahl von Subsystemen mit beschränktem Horizont und eigenem Code“ zerfällt. Und: „Die ökonomische Logik war stets eine der besten Waffen der Umweltbewegung“.
Gerade letzteres bleibt in dem neuen Standardwerk über die Ökobewegung aber doch einigermaßen unterbelichtet. Radkau wirft im Abschnitt Ökologie und Ökonomie zwar seinen historisch-kritischen Blick auch durchaus erhellend auf Instrumente wie Ökosteuern, Emissionsbonds, Zertifikate und Dept-for-Nature-Swaps und er analysiert die Symbiose von Naturschutz und Tourismus, bleibt dann aber doch in einer beschreibenden und historischen Sicht auf wirtschaftlich-technische Instrumente hängen, die in ökonomischer Sicht ebenso eine End-of-Pipe-Technologie sind wie es die hohen Schornsteine der Industrie waren, bevor Aktivisten von Greenpeace begannen, genau diese zum Symbol ihrer Arbeit zu machen und mit Transparenten bewaffnet zu erklettern.
Ein echter auch ökonomischer Paradigmenwechsel, wie er sich im Geiste einer umfassend gedachten Ökologie ja durchaus bereits abzuzeichnen beginnt – Stichworte wie solare Dividende, Social Entrepreneurs u.ä. – werden von Radkau bestenfalls am Rande gestreift. Wichtige Namen in diesem Zusammenhang fehlen entweder ganz (Muhammad Yunnus) oder sind nur im sehr engen, konkreten historischen Kontext erwähnt (Elinor Ostrom). Die Entstehung einer Ökonomie, die bereits an sich ihrem Wesen nach ökologisch agiert und damit die von Radkau postulierte Ära der Ökologie tatsächlich einläuten würde, ist wohl noch zu frisch, um sie einer historischen Betrachtung zu unterziehen. Sie liegt noch vor uns und es ist zweifellos eine Aufgabe der heutigen Ökologiebewegung, dieser neuen Ökonomie zum Durchbruch zu verhelfen.
Die Lektüre Radkaus kann dabei helfen.
Rein technisch – als Verbesserungsvorschlag für eine zweite Auflage – wäre neben den umfangreichen Fußnoten und dem Personenregister auch ein Themenregister hilfreich bei der Lektüre. Jedenfalls ist es sicher von Vorteil, bei der Lektüre einen Bleistift und – sofern man nicht zu den Menschen gehört, die lustvoll in Bücher hineinkritzeln – einen dicken Notizblock bei der Hand zu haben. Das erleichtert jedenfalls das Wieder-Auffinden der vielen, vielen in unterschiedlichen Zusammenhängen interessanten Fakten in dem Buch – und beim Re-Konstruieren der jeweils vom eigenen Erkenntnisinteresse geprägten Öko-Geschichte.
Joachim Radklau: „Die Ära der Ökologie – Eine Weltgeschichte“
Verlag C.H. Beck, München, 2011. 782 S.
ISBN 978 3 406 61372 2
PS: Der eingangs zitierte Satz lautet konkret: „Atomkraftwerke sowie Schi- und Golfressorts waren gering in der Zahl und hatten geringere unmittelbare, offensichtliche Auswirkungen auf Gesundheit und die Existenzgrundlagen der Menschen als die Projekte der Schwerindustrie der 60er-Jahre. Deswegen riefen sie landesweit nicht viele Proteste hevor.“ („Environmental Politics in Japan“ von Jeffrey Broadbent, Cambridge 1998). In Radkaus Buch – wie viele interessante Geschichten – als Fußnote zitiert.
Ausführlicher behandelt Radkau die Geschichte der Antiatom- und Ökologiebewegung in Japan. Denn Japan hatte 1998, als Broadbent Buch veröffentlichte, zwar nicht nur Hiroshima und Nagasaki hinter sich, sondern auch zwei schwere Störfälle in zivilen Nuklearanlagen: im Schnellen Brüter Monju 1995 und in der Wiederaufbereitungsanlage Tokaimura 1997. Der dabei „gerade in Japan nicht erwartete Dilettantismus … löste eine Welle der Empörung aus.“ De großen umweltpolitischen Themen in Japan waren dennoch stets andere. Prägend für die japanische Umweltbewegung waren zum Beispiel hochgradige toxische Verseuchungen in den 1960er-Jahren (Minimata-Tragödie) durch die chemische Industrie. In Folge entwickelte sich Japan in vielen Bereichen ab 1970 zu einem ökologischen Musterland. Das Thema Atomenergie blieb dabei eigenartig ausgeblendet. Ein Grund könnte sein, weil der Schock der Bomben, wie der Historiker Arnold Toynbee vermutet, zu groß war, so „dass sie von vielen Japanern nicht mehr kreativ verarbeitet, sondern nur noch verdrängt werden konnten.“
TEXT Peter Drössler
ZUR PERSON
Peter Drössler studierte Kommunikationswissenschaft in Wien und ist seit 1995 – nach einigen Jahren als Pressesprecher der Umweltorganisation Global 2000 – selbständiger PR-Berater in Wien. Neben seiner Beratungstätigkeit war er bis 2010 als Vorsitzender der Grünen Wirtschaft und Obmann des Fachverbandes Werbung und Marktkommunikation in der WKO auch intensiv interessenpolitisch engagiert. Ab Juni 2011 zeichnet er als geschäftsführender Gesellschafter für die Geschicke der Poool Filmverleih GmbH verantwortlich.