Wie ein Adler durch die Höhenluft
Hohe Berge, tiefe Täler und Gewässer – die Alpen bieten eine artenreiche Fauna und Flora. Deshalb gab es auch schon unzählige Filme über sie. Jetzt gibt es einen neuen, der anders ist, als die davor: „Die Alpen – unsere Berge von oben“ heißt das schöne Stück. Denn Regisseur Peter Bardehle hat sie erstmals mit der High-tech Kamera Cineflex gefilmt, aus dem Helikopter von oben. Die Aufnahmen sind so ruhig, dass man zuerst denkt, es handle sich um Animationen. Falsch gedacht, alles ist echt. Ab jetzt könnt ihr euch die spektakuläre Doku im Kino ansehen. Warum ihn diese Bergwelt und der Blick von oben so faszinieren, erzählt Peter Bardehle BIORAMA im Interview.
Die Berge machen uns glücklich, behauptet der deutsche Filmemacher Peter Bardehle im Gespräch, vor allem, wenn man oben ist und in seiner Dokumentation ist der Zuseher nur oben, so wie auch schon in seinem Vorgänger Die Nordsee von oben. Das „Dach Europas“ ist allerdings nicht nur von einer Luft umgeben, die die Produktion von Dopamin und Endorphin anregt, sondern es birgt historische Spuren – des Gesteins, der Tiere und des Menschen. Sie sind ein Dokument für die Fähigkeiten des Menschen die Natur nach ihren Vorstellungen zu verändern, aber auch, dass es dafür Grenzen gibt, weil die Natur mächtiger und stärker sein kann als der Mensch.
BIORAMA: In Ihrem Film „Die Alpen – unsere Berge von oben“ nennen Sie die Alpen eine Welt, „für die Menschen nicht gemacht sind.“ Warum geht der Mensch trotzdem gerne in die Berge und tun Sie das auch?
Peter Bardehle: Ich gehe gerne in die Berge. Das war schon als Kind so. Meine Eltern haben mir diese Brücke gebaut. Ich glaube, wir Menschen suchen in den Bergen das Besondere. Das kann man in verschiedenen Formen finden, der eine extremer als der andere. Aber all die, die hochgehen haben irgendein Motiv. Denn ohne Not strengen sie sich nicht an, quälen sich und schwitzen. Warum, wozu? Die Gründe liegen tiefer als der sportliche Eifer und die Herzinfartksprävention. Menschen suchen etwas, sie haben Ziele in den Bergen. So sind wir Menschen. Es macht einfach glücklich, wenn man oben ankommt.
Die Suche nach etwas Besonderem – sind Sie selbst schon in den Bergen fündig geworden?
Oh ja. Ich habe oft das Gipfelglück erlebt, weil ich immer mal wieder hochgegangen bin. Ich bin kein Bergsteiger, aber ein Bergwanderer. Ich glaube, ich spreche da jedem aus dem Herzen, der so ein Gipfelkreuz nach drei vier Stunden Aufstieg erreicht hat. Man wird mit zehn Minuten Panorama belohnt, das ist Glück.
Sie betonen im Film besonders die Gefahren, die von den Bergen ausgehen. Sind Sie selbst beim Dreh in gefährliche Situationen gekommen?
Wir haben mit dem Hubschrauber immer mal wieder in schlechten Wetter gedreht. Das nicht ohne. Wir haben zum Beispiel Hagelflieger in der Steiermark begleitet, die Jodid in die Wolken schießen und zwar in Gewittersituationen. Ein bisschen mulmig wird einem da schon. Wir hatten aber einen erfahrenen Bergpiloten Cockpit und zu keiner Zeit wirklich Angst.
Seit 2009 drehen Sie mit der High Tech Cineflex-Kamera. Was fasziniert Sie an der Sicht von oben, der Vogelperspektive?
Man sieht die Welt neu – nicht aus abgehobener Position, sondern mit einem Abstand, durch den man Strukturen unseres Zusammenlebens neu sieht. Da bilden sich Muster. Man bekommt einen Überblick und sieht Dinge, die man sonst übersieht. Ich sehe Geschichte von oben, schlimme Spuren wie Umweltzerstörung, zugeknallte Täler in Tirol, die Narben des Ersten Weltkriegs. Der ist in den Bergen viel präsenter als der Zweite Weltkrieg. Vor allem dort, wo 800 000 Österreicher gegen 900 000 Italiener gekämpft haben. Die Spuren sind noch da. Nicht nur in den Dolomiten, dort habe ich es erwartet. Wir haben welche an der Schweizer Grenze bei Bormio entdeckt. Da zieht sich das über dutzende Kilometer auf den Graden oben. Ich glaube, nach dem Krieg ist dort kein Mensch gewesen. Man bekommt dort den Eindruck, der Krieg wäre erst vor zehn Jahren zu Ende gegangen.
Also entfernen Sie sich zuerst, um dann wieder sehr nah an die Dinge heranzutreten?
Ja, natürlich. Und die Kamera kann sehr genau hinschauen. Sie hat einen unglaublichen Zoom und ist stabil, obwohl der Hubschrauber ja wackelt, zittert und vibriert. Die Cineflex ist siebenfach kreiselstabilisiert. Techniker werden wissen, was das bedeutet. Das ist eigentlich ein technisches Wunder. Dadurch werden diese ruhigen Bilder möglich, dennoch gilt: Die Kamera ist immer nur so gut, wie die oder der sie bedient. Da müssen Sie sich schon die Meister suchen.
Nicht nur durch die Cineflex haben Sie besondere Aufnahmen und Einstellungen möglich gemacht, so wie der Blick aus der Perspektive des Steinadlers. Wie sind diese Bilder entstanden?
An dem Steinandler hängt eine sehr leichte Halskamera, die er gut tragen kann, an der er auch Spaß hat. Wir haben ihn dabei gefilmt, wie er mit seinem Falkner trainiert. Warum der Vogel so irritiert nach hinten schaut war, weil gerade ein Kolkrabe im Tannheimer Tal an ihm vorbei gekommen. Die hat sich gewundert, dass ein Steinadler in seinem Revier herumfliegt und ihn sich einmal angeguckt. Es kommt nicht so oft vor, dass sich ein Steinadler beobachtet fühlt. Für uns war das ein Glück, weil das ein Überraschungsmoment für uns und dem Zuseher ist.
Die Alpen sind wahnsinnig großflächig und an dementsprechend viele Orte reist man im Film, verliert manchmal deshalb vielleicht den Überblick verliert. Sie mussten sich trotzdem beim Schnitt entscheiden und das Material reduzieren. Warum haben Sie sich für Matterhorn, Dolomiten, Mont Blanc, Erzberg usw. entschieden?
Es gibt so ein paar Ikonen, die mussten wir machen. Der Film war auch ein Leidensprozess im Schneideraum. Wir hatten 55 Stunden bestes Material und eineinhalb Stunden sind jetzt im Kino zu sehen. Das heißt, man schmeißt viel mehr weg, als man reinnehmen kann, 30 Mal mehr. Unser Motto war: Kill your Babies. Und wenn man das nicht kann, dann kann man nicht so einen Film machen. Ich habe ihn alleine gedreht als Regisseur zusammen mit dem Kameramann und mit dem Piloten, aber genau deswegen nicht alleine geschnitten. Den Schnitt hat ein anderer Regisseur, Sebastian Lindemann, gemacht, mein Partner. Das war gut so. Er ist mit frischem Blick drauf gegangen, dann bin ich wieder zu seinem Rohschnitt gestoßen und dann haben wir angefangen miteinander zu fighten, was rausfliegt und was nicht.
Gibt es unter den vielen Ikonen auch Underdogs?
Viele. Wenn man immer nur die großen Gipfel zeigt, wird es ja langweilig. Wir haben bei den Tieren Underdogs: die Hirsche, die nicht ganz so sexy sind, haben wir im Winter ganz toll aufgenommen. Wir haben auch bei den Landschaften unbekanntere oder „unbeliebtere“ ausgewählt – das Allgäu finden manche ein bisschen langweilig. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Diese grünen Wiesen, das ist eine eigene Qualität. Man muss nicht immer diese drei, vier tausend Meter hohen Steinwüsten sehen. Da wo die Natur noch Saft hat und blüht und gedeiht und das zusammen mit Bergen, das ist faszinierend. Wann immer Wasser dabei ist – Wasser, Berg und Fels – das ist einfach toll. Das gibt große Bilder.
Wasser spielt in Ihrem Film eine größere Rolle. Auch die Bilder von den Stauseen sind sehr schön, Ihr Zugang ist dennoch sehr kritisch.
Das Wasser macht sie schön. Die Ökologie der Stauseen ist ein eigenes Thema. Natürlich sind sie sinnvoll, sie erzeugen grüne Energie. Die Bäche gibt es deswegen aber nicht mehr. Die Nutzung der Alpen hat ihre Vor- und Nachteile. Allerdings müssen wir Menschen auch Leben, brauchen dazu Strom. Das muss sich verbinden. Man kann nicht aus den gesamten Alpen einen Nationalpark machen ohne dem Menschen einen Raum zu lassen. Hier gilt es eine Balance zu finden, was schwierig ist. Das können Sie gut an den Alpen beobachten. Einige Gemeinden sind wirtschaftlich sehr fit, aber ihre sind total zugebaut, wohingegen die anderen, die ein bisschen hinter dem Mond leben, noch die schönen Täler haben. Man fragt sich dann, wer on the long run der schlauere ist.
Sie zeigen auch Gemeinden, die den Wintertourismus zwanghaft aufrecht erhalten in dem sie die Gletscher mit Folien schützen, um ein schnelles Abtauen zu verhindern.
Verrückt. Um irgendwo ein paar Wochen mehr Schizirkus haben. Man glaubt, man kann da irgendetwas ausrichten, aber das ist natürlich ein Trugschluss. Es war ein Zufall, dass wir das so toll einfangen konnten.
Es wird beim Dreh nicht nur Momente gegeben haben, die geplant waren. Was hat Sie am meisten überrascht?
Wir haben ungefähr 150 Ziele geplant und drei Mal so viele sind ungeplant in den Film gekommen. Es hat eigentlich täglich, stündlich Überraschungen gegeben. Vieles von dem was Menschen tun, können Sie nicht planen. Wenn irgendwo an einem Bergbach ein Reiter entlang zieht und die Sonne geht gerade unter, die Pferde einen Schatten werfen – das ist ein Bild, das man schwer planen kann. Wir haben aber auch einen Bergrutsch gefilmt. Der ist knapp an einem Hof vorbeigegangen und war ganz frisch. Oder die Schlittenhunde, am Angerberg bei Kufstein. Die Szene war zwar geplant, aber uns war nicht bewusst, dass wir dafür um 4 Uhr in der Früh aufstehen müssen. Am Vorabend hat mir meine Produktionsleiterin gesagt: “Du übrigens, morgen müssen wir um 4 Uhr aufstehen, die Hunde kriegen nämlich später einen Herzinfarkt, weil es am Tag zu heiß wird.” Das waren so ungeplante Momente im geplanten Trip.
Man hat beim Zusehen den Eindruck, der Film würde sich innerhalb eines Jahres abspielen. Wurde er geplant und gedreht, so dass dieser Eindruck entsteht?
Nein, das ist ein Trugschluss. Wir haben den Winter als Klammer genommen, weil man ihn in den Bergen erzählen muss, aber wir wollten ihn eigentlich nicht haben. Wir haben uns von Anfang an festgelegt, dass wir diesen Film überwiegend im Sommer erzählen wollen. Der Sommer ist der Lebensmonat in den Alpen. Die Tiere, die Menschen, die Stimmungen. Ich wollte auch die Menschen zeigen, die in der Area 47 ihren Spaß haben. Im Winter sind sogar noch viel mehr Menschen in den Bergen, aber das ist alles so ein bisschen ein kultivierter Zirkus. Im Sommer ist das Geschehen individueller, sie machen etwas selbst, wohingegen sie im Winter meistens den Pisten folgen. Sicher gibt es ein paar Schiwanderungen, aber im Sommer gibt es freiere Möglichkeiten zu bewegen – bei Seen, kann mountainbiken, bergwandern, bergsteigern. Die Tiere leben im Sommer auch auf.
Die Alpen sind sehr vielseitig, was Sie in Ihrem Film betonen. Gibt es noch eine andere Botschaft, die vielleicht subtiler ist?
Wir wollten keine Salatschüssel zeigen, in der man ordentlich rumrührt. Wir haben versucht die Alpen mit einem neuen Blick zu zeigen, mit einem künstlerischen Blick – Berge gegeneinander zu schieben, um neue Horizonte zu sehen, dass was sie beim Bergsteigen auch erfahren wollen: Sie wollen neu in den Horizont gucken. Wir haben immer versucht etwas mit den Horizonten zu machen. Die Botschaft machen wir am Ende noch einmal deutlich: Berge machen glücklich. Das zu sagen und das zu zeigen habe ich in so einer Deutlichkeit noch nicht gesehen. Wir trauen uns das zu tun. “Die Alpen – Berge von oben” ist kein Heimatfilm, sondern ein Entdeckungsfilm. Wir wollen uns von Kitsch fernhalten, auch wenn wir bezaubernde Seiten der Alpen zeigen, aber nicht so verkitscht. Wir wollen die Wahrheit dazu erzählen, darin hat ein gewisser Stolz und Wow-Gefühl genauso Platz. Wir haben mitten im dicht besiedelten Europa etwas ganz einmaliges. Das sollten wir uns immer mal wieder bewusst machen, auch, dass wir auf sie aufpassen müssen. Wenn wir das nicht machen, dann verbauen wir den nächsten Generationen etwas.