Der Kwas am Morgen
Russland ist hart, aber herzlich und hat weit mehr zu bieten als Putin auf Pferd, Vodka auf Ex und die wohl beste Art zu hocken – den Squat. Wir schauen in den rohen Osten, der, abseits von Youtube-Fail-Compilations, nicht nur eine unverkennbar tiefe Seele an den Tag und in die Nacht legt, sondern auch richtig geile Gerichte auf den Tisch zaubert.
квас aka Kwas – aus Brot werde Bier!
Kalinka, Kalinka, Kalinka, moya. Neben Vodka wird auch dem Kwas als russisches Nationalgetränk gehuldigt. Kwas am Morgen, Vodka am Abend, so das Sprichwort. Mit sowjetischer Geschichte im Nacken wird alles verwertet, was geht – und uns taugt das ganz besonders.
Altes Brot dient als Basis für den »sauren Trank«, der seit seiner ersten Erwähnung im Jahr 989 gemeinsam mit Hefe, Zucker und Gewürzen angesetzt wird. Lang bevor Upcycling den ersten Atemzug genommen hat, wusste man in Russland schon die vielen Vorzüge von Kwas zu schätzen. Das wundervoll gegorene Gesöff ist zwar weniger fortgehtauglich, mit seinen 0,5–1,44% Alkohol lässt sich aber dafür der Tag gut einläuten – Milchsäurebakterien kurbeln die Verdauung und den Stoffwechsel an, Mineralstoffe, Aminosäuren und Enzyme geben den Rest dazu.
Pantscht, was das Zeug hält.
Die Rezepturen wurden über Generationen weitergetragen und -entwickelt – da es nur wenige Übersetzungen aus der kyrillischen Schrift gibt, haben wir zu experimentieren begonnen. Viel falsch machen kann man nicht, so lange man sich an die Spielregeln hält. Russisches Roulette sieht anders aus.
Das Rezept:
Nehmt euch:
- ca. 500 Gramm altes Roggenbrot
- 2 Liter Wasser
- 20 Gramm frischer Germ/Hefe bzw. 1 Packerl Trockengerm
- 80 Gramm Zucker (Plus-Minus-Spiel erlaubt, nur ja nicht aussparen, sonst kann die Germ nicht abgehen)
- Gewürze (wir versuchen es mit: Minze, Zitronenschale, Frühlingskräutern, Ingwer)
- 1 Teelöffel Rosinen
Tool-Kit:
Ein feines Sieb, ein Mulltuch oder Kaffeefilter und Flaschen zum Befüllen.
Und nun ans Werk:
Zerkleinere das Roggenbrot und lass es im Rohr bei ca. 180 Grad dunkelbraun werden. Bei sehr trockenem Brot dauert das rund 15 Minuten, bei noch etwas frischerem ums G’fühl länger – der resch-herbe Röstgrad ist wichtig! Spann den Spagat zwischen beim Aufweichen zu weich und zu verkohlt im Geschmack. Lässt sich machen, keine Sorge! Am Zenit der perfekten Bräune 2 Liter kochendes Wasser darübergießen. Kurz umrühren, Deckel drauf und 3 Stunden an einem warmen Ort platzieren.
Sieh dich vor, danach noch einmal drin rumzustochern, denn je mehr sich das Brot im Wasser zerteilt, umso schwerer wird es, die Flüssigkeit daraus zu extrahieren. Denn genau das steht danach am Programm. Wir haben auf zwei Etappen gefiltert. Dazu zuerst das angesaugte Brot durch ein relativ feines Sieb gut ausdrücken, um möglichst wenig Flüssigkeit zu verlieren, danach die aufgefangene Flüssigkeit noch einmal durch ein Mulltuch bzw. einen Kaffeefilter abseihen. Am Ende bleiben in etwa 1,5 Liter gefilterte, nach Brot duftende Kwas-Basis, die du in ein sauberes Gefäß abfüllst.
Let the magic happen.
Weiter geht’s mit dem Germ, aka Hefe, den du in ein paar Löffeln lauwarmem Wasser auflöst und gemeinsam mit dem Zucker und den Gewürzen deiner Wahl in die Brotbasis rührst. Und ab jetzt beginnt der Zauber ganz von selbst. Versiegle dein Gefäß mit einem Tuch – nur nicht die Luft absperren, der Kwas will atmen – und lass ihn wieder 10 Stunden ruhen. Jetzt beginnt der Gärprozess und das Getränk verwandelt sich. Füll du den Kwas in saubere Flaschen. Schau an, er schäumt und prickelt bereits! In jede Flasche kommen noch paar Rosinen. Stell den Kwas zu finalen Reifung noch für 2–3 Tage – bzw. wenn die Rosinen oben auf schwimmen – in den Kühlschrank.
Aufgespritzt mit Mineral und frischem Zitronensaft taugt’s uns besonders gut.
Und ganz im Style unserer Maxime: »Du hast den Brei selbst gekocht, löffle ihn auch selbst aus.
Сам заварил кашу – сам её и расхлёбывай.«
Na zdorov’ye!
BIORAMA Deutschlandausgabe #55