Teil einer Bewegung sein
Im Weinbau gibt es ungebrochenes Interesse von Betrieben, sich Demeter anzuschließen. Jörg Hütter über Demeter-Weinbau in Deutschland.
Im Jahr 2024 werden 100 Jahre Demeter-Anbauweise gefeiert. Wo steht der Demeter-Weinbau in Deutschland?
Jörg Hütter: Wir haben beim Wein ein großes Umstellungsinteresse – diese Nachfrage ist in der Landwirtschaft aktuell etwas zurückgegangen, so gibt es derzeit etwas weniger Umstellungen auf Bio. Beim Wein hingegen freuen wir uns über viele Anfragen. Demeter Deutschland hat derzeit über 120 WinzerInnen als Mitglieder und diese haben ganz unterschiedliche Betriebsgrößen. Viele Familienbetriebe und auch einige wenige sehr große Betriebe – und alle Anbaugebiete Deutschlands sind vertreten.
Was motiviert die WinzerInnen zum Umstieg?
Das können wir dank Mitgliederbefragungen relativ genau sagen. Den meisten geht es vor allem um die Methode des biodynamischen Weinbaus und die Demeter-Gemeinschaft. Die WinzerInnen schätzen die kollegiale Beratung, die Treffen untereinander, die wir organisieren, Beratungspakete und gemeinsame Veranstaltungen und Messeauftritte. Es gibt Interesse daran, Teil der Bewegung zu sein. Zudem ist die Demeter-Marke entscheidend, um etwa in gewisse Handelskanäle zu kommen. Und dann gibt es die Präparate. Der größte Magnet für uns ist, dass WinzerInnen in Fachzeitschriften überzeugend davon erzählen, dass der biodynamische Anbau einen Unterschied für den Boden und die Weinqualität macht, dies kann bis hin zu geänderten Blattstellungen im biodynamischen Weinberg beobachtet werden. Die WinzerInnen berichten über die positiven Effekte der Präparate – mit ihrem praktischen Erfahrungswissen.
Wer umsteigen will, muss die Demeterregeln annehmen und deren Einhaltung kontrollieren lassen. Was sind die Grundzüge und wichtigsten Punkte dieses Regelwerks?
Für Demeter gelten die Regeln der Ökoverordnung, über die wir hinausgehen, indem wir in wenigen Punkten noch strenger sind. So schränken wir etwa bei den erlaubten Düngemitteln noch weiter ein, vor allem bei organischen Handelsdüngern. Diese müssen, bevor sie innerhalb des Demeterweinbaus angewandt werden dürfen, vom Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (Fibl) begutachtet und mit Anwendungshinweisen versehen werden, auch ist die Ausbringungsmenge begrenzt. Beim Kupfer z. B. sind bei uns nur geringere Mengen erlaubt. Die Fahrgassen müssen schon immer überwiegend begrünt sein – auch wenn das mittlerweile auch für viele nicht Demeter-Betriebe zum Standard geworden ist. Die Saatgutmischungen dafür wurden speziell von Öko-Weinbauberatern entwickelt und, wo verfügbar, muss es sich um Bio-Saatgut handeln. Und dann gibt es die biodynamischen Präparate, die anzuwenden sind – das macht Demeter eben aus. Es ist gerade in Diskussion, ob es eine eigene Kompostherstellung auf jedem Betrieb geben muss, das machen zwar schon sehr viele Betriebe, ist aber noch nicht Bestandteil der Richtlinie geworden. Auch eine vorgeschriebene Handlese ist immer wieder in Diskussion, manche größere Betriebe würde dies allerdings vor Probleme stellen. Und es lohnt sich auch ein Blick in die Demeter-Kellerrichtlinie: Diese lässt deutlich weniger Hilfsmittel zu, als bei Bio erlaubt sind, getreu dem Motto, dass das Erntegut vor allem aus sich heraus alles mitbringt, was der spätere Wein braucht. Reinzuchthefen werden dementsprechend nur bei Gärstockungen verwendet. Die Einhaltung der Demeter-Richtlinien wird wie die der Biorichtlinien von unabhängigen Kontrollstellen geprüft. Demeter-Kontrollstellen brauchen eine Extrazulassung und die Kontrolleure werden speziell auf die Demeter-Richtlinie geschult.
»Für Demeter gelten die Regeln der Ökoverordnung, von denen wir vereinzelt abweichen, indem wir in wenigen Punkten noch strenger sind.«
Jörg Hütter, Demeter Deutschland
Viele verbinden mit Demeter wohl weniger die Richtlinien in ihrer Gesamtheit als in erster Linie den Einsatz der angesprochenen Präparate oder die Spiritualität und Esoterik aus den Lehren Rudolf Steiners. Wie geht der Verband damit um?
Manche WinzerInnen befassen sich tiefgreifend mit der Anthroposophie, andere sehen es wiederum sehr pragmatisch und wenden in der weinbaulichen Praxis vor allem die Methoden an. Es gibt keine Gesinnungsprüfung: Die Präparate und ihre Anwendung sind vorgeschrieben, aber niemand muss Rudolf Steiner lesen. Wir lassen hier als Verband viel Freiraum, sehen aber, dass es durchaus sehr fundierte Auseinandersetzung unter den Mitgliedern gibt und für viele macht die Beschäftigung mit den Hintergründen auch die Anwendung einfacher.
Einige Themen, die aktuell diskutiert werden, berühren die ganzheitliche Philosophie des Biodynamischen. So sind viele Weine als vegan ausgezeichnet. Solange nicht etwa mit Gelatine geschönt wird – was bei Demeter nicht erlaubt ist – kommen die Produkte ohne tierische Zutaten oder Hilfsmittel aus – und sind damit per Definition vegan. Wir BiodynamikerInnen sind aber überzeugt davon, dass Tiere zur Landwirtschaft dazugehören, auch wenn man im Weinberg nicht explizit Tiere halten muss. Aber wenigstens über die Präparate gelangen gewisse tierische Komponenten in den Weinberg. Das erzeugt ein gewisses Spannungsfeld: Im Anbau sind wir von der wichtigen Rolle der Tiere überzeugt, dennoch können unsere Endprodukte vegan sein, weil sie nichts Tierisches enthalten. Das sind Themen, die wir im Verband bewegen.
»Die biodynamischen Präparate und ihre Anwendung sind vorgeschrieben, aber niemand muss Rudolf Steiner lesen.«
Jörg Hütter
Wann wurde im Weinbau mit biodynamischer Arbeitsweise begonnen?
Das ist erst relativ spät passiert. Die ersten WinzerInnen in Deutschland haben in den 1970er-Jahren begonnen, biodynamisch zu arbeiten, es gab damals aber noch gar keine Regularien für den Demeter-Weinbau, weil die Nachfrage noch gering war und es offen gesagt auch eine Skepsis von Demeter gegenüber Alkohol gab. Es gab aber eben auch eine starke Gruppe, die das Thema durchdringen wollte und Pionierarbeit geleistet hat, weil sie überzeugt war, die Qualität im Weinberg und im Wein steigern zu können. Die erste Wein-Erzeugungsrichtlinie von Demeter gab es dann ca. 1980 und die Wein-Verarbeitungsrichtlinie in den 2000er-Jahren.
Wie gut verstehen sich Bio, biodynamisch und Demeter?
Es gibt nur sehr wenige Reibepunkte. Die Öko-Anbauverbände arbeiten in Deutschland gut zusammen. Wir bringen uns ein, wenn es etwa darum geht, ob ein neues Pflanzenschutzmittel im Biobereich zugelassen werden soll. Da sind wir mitunter wohl konservativer und vorsichtiger und wollen prüfen, ob es das wirklich braucht. In unserem Verständnis sollen die Weinreben so gestärkt werden, dass sie aus sich heraus gesund wachsen können und wenig lenkend eingegriffen werden muss. Das ist beim Wein allerdings eine sehr große Herausforderung. Über solche Herausforderungen gibt es einen sehr guten Austausch unter den Bioverbänden.
Apropos wenig Eingriff: Low Intervention beziehungsweise Naturwein sind aktuell ein Thema. Auch für Demeter?
Ja, sehr sogar. Wir überlassen das aber den einzelnen Betrieben und haben hier eine große Bandbreite. Wir haben sowohl Mitglieder, die etwa einen Riesling ganz klassisch ausbauen wollen, als auch solche, die ganz vorne mit dabei sind, wenn es darum geht, mittels low intervention ganz neue Stilistiken zu kreieren. Hier gibt es gegenseitige Weinproben und einen offenen Austausch über die Methoden und Ergebnisse. Bei der Definition von Naturwein ist uns aber wichtig, dass Naturwein zumindest auf Grundlage der EU-Biorichtlinie produziert sein muss (das ist derzeit nicht der Fall, Anm.). Hier vertreten wir klar Interessen – und der Prozess der Definition läuft noch.
Laut neuer Bioverordnung für Wein können alkoholfreie Weine nicht biozertifiziert werden. Betrifft das auch Demeter?
Nein, denn es gibt gar keine entalkoholisierten Demeterweine, das würde nicht unseren Richtlinien entsprechen, daher sind wir von dem Verbot auch nicht betroffen. Es ist Demeter-zertifizierten Betrieben jedoch freigestellt, nicht alle Weine auch als Demeter zu zertifizieren, sondern Weine auch unter der EU-Biorichtlinie auf den Markt zu bringen. Auch wenn das derzeit eben in diesem Fall nicht möglich ist. Wir wissen, dass junge Menschen weniger Alkohol trinken, alkoholfreie Weine sind ein wachsender Markt und Stand heute wird die Entalkoholisierung auch wieder in die Bioverordnung aufgenommen werden. In ganz Europa ist der Weinkonsum rückgängig bei gleichzeitig steigenden Hektarzahlen – wir werden also auch bei Demeter sehen müssen, ob wir uns hier neuen Themen öffnen wollen und wie das ggfs. gelingen kann.
Wie sieht die internationale Zusammenarbeit bei Demeter aus?
Vor einigen Jahren wurde die internationale »Demeter Wein-Taskforce« gegründet, um die internationale Harmonisierung – eben beispielsweise bei den Themen Pflanzenschutz, Aspekten der Kellerrichtlinie oder Handlese – voranzubringen. Hier waren weltweit alle Demeter-Weinbaubetriebe eingeladen, sich zu beteiligen und die Gruppe bestehend aus 20 oder 30 WinzerInnen aus vielen Ländern und hat sehr erfolgreich gearbeitet. Diese Initiative ruht zurzeit, soll aber wieder neu aufgelegt werden. Auf Verbandsebene gibt es einen internationalen Austausch und wir treffen uns einmal im Jahr. Mit Österreich gibt es z. B. einen sehr guten Kontakt, mit einigen anderen Ländern ebenso. Das liegt auch immer an den einzelnen Personen. Anders als in der Demeter-Landwirtschaft, die in Deutschland ihre größte Verbreitung gefunden hat, hat Deutschland beim Wein aber keine Sonderrolle; es gibt andere Länder wie Frankreich, Spanien, Italien, Schweiz und Österreich, die hier genauso den Ton angeben.
Welche Herausforderungen gibt es für den Verband und den Demeter-Weinbau gerade?
Da ist natürlich der Klimawandel und hier etwa Starkregenereignisse, aber auch Hitze- und Trockenstress als erstes zu nennen. Wir suchen als Verband die Nähe zur Politik, wenn es um den Pflanzenschutz geht und reden natürlich ganz vorne mit, welche ökotauglichen Pflanzenschutzmittel zugelassen werden. Denn ohne Pflanzenschutzmittel gibt es in Europa keinen Wein – auch keinen Biowein oder biodynamischen Wein, auch wenn es sehr vielversprechende Ansätze einzelner Betriebe gibt, Pflanzenschutzmittel zu ersetzen. Es ist hier für uns etwa wichtig, dass Kupfer als natürliches Mineral weiter zugelassen bleibt und nicht nur chemisch-synthetische Mittel. Wir setzen uns für einen verantwortungsvollen Umgang mit Kupfer ein und monitoren seit 2014 die ausgetragenen Mengen. Ein anderer Punkt ist die Diskussion um die Wiederzulassung von Kaliumphosphonat, das helfen würde, mehr Kupfer einzusparen. In solchen Fragen gibt es viel Für und Wider, die sorgsam abzuwägen sind.
»Ohne Pflanzenschutzmittel gibt es in Mitteleuropa keinen Wein – auch keinen Biowein oder biodynamischen Wein.«
Jörg Hütter
Und auch im Weinbau ist das Thema Hofnachfolge wichtig. In einem landwirtschaftlichen Familienbetrieb zu arbeiten bedeutet, sehr viel Arbeitseinsatz das ganze Jahr über zu leisten und viel Bindung an den eigenen Betrieb zu haben. Viele junge Menschen suchen hier nach neuen Wegen.
Das bedeutet, es braucht auch QuereinsteigerInnen?
Ja – und die haben überdurchschnittlich oft Interesse, nach einem sehr hohen Standard zu arbeiten und interessieren sich daher oft für Demeter.
Jörg Hütter
Leitet die Richtlinien- und Qualitätsentwicklung sowie die politische Arbeit bei Demeter Deutschland. Er arbeitet insbesondere zu den Themen Pflanzenschutz und Düngung in Landwirtschaft und Weinbau. Er ist Mitglied des Fachausschusses Wein der Bio-Verbände in Deutschland.