Das Potenzial der Nahrungsvernichtung

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Jedes achte Lebensmittel, das wir kaufen, werfen wir weg. Das ist eine unvorstellbare Menge von 82 Kilogramm oder 235 Euro pro Person und Jahr im Fall des Durchschnittsdeutschen. Das ist Geldvernichtung und trägt gleich viel zum Klimawandel bei, wie der gesamte Autoverkehr. Preisdumping, Aktionsangebote und überzogene Erwartungen haben es soweit gebracht: Überfluss ist Standard. Zu viel wird eingekauft, zu viel wird weggeworfen. Ein tragisches aber logisches Phänomen unserer Wegwerfgesellschaft.

 

Vor einigen Jahrzehnten, als noch ein Großteil des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben werden musste, hatte Essen einen ganz anderen Stellenwert – es wurde als wertvoll und knapp angesehen. Inzwischen sind die Ausgaben der durchschnittlichen Haushalte für Lebensmittel dramatisch gesunken. Der erbitterte Konkurrenzkampf am Lebensmittelmarkt mittels Preisdumping, die angepassten Erwartungen der Konsumenten und die unwürdigen Praktiken, die mittlerweile zum Normalzustand in der Lebensmittelindustrie geworden sind, haben das ermöglicht. Ausbeutung von Zeitarbeitern, hochgezüchtete Masttiere sowie ungebremster Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden stehen an der Tagesordnung. Das Konzept geht auf: Der durchschnittliche Haushalt gibt nur mehr ca. 10% seines Einkommens für Lebensmittel aus. Es wird gespart was geht, die Qualität ist zweitrangig, die Ausgaben sinken weiter. Die Anbieter passen sich an, der Druck im Preiskampf und zur Kostensenkung wächst enorm.

 

Die Logik der Dumping-Spirale

Die Folgen dieser Abwärtsspirale der Preise sind vielfältig. Am Arbeitsmarkt gelten härtere Bedingungen, die Marktmacht konzentriert sich auf Großkonzerne und natürlich sinkt die Qualität der angebotenen Waren, denn sie passt sich nach der Logik des Marktmechanismus dem Preis an. Konsumenten sehen oft nur die Auswirkungen im Supermarkt: Sie bemerken, wie die Summe am Kassenzettel schrumpft, vielleicht auch, dass die Qualität nicht mehr das ist, was sie einmal war. Die Mentalität und der Umgang mit Nahrung, die daraus resultieren, sind nicht verwunderlich. Essen wird als minderwertig und günstig – eben billig – betrachtet. Sich mit exakter Mengenplanung beim Einkauf oder Resteverwertung bei der Zubereitung auseinanderzusetzen, lohnt sich nicht. Es steht nicht dafür, lange zu überlegen, zu rechnen, etwas zu essen, worauf man vielleicht gar keine Lust hat, um ein paar Cent einzusparen. Wegwerfen ist alltäglich.

Dass diese Verhaltensweisen wiederum dem wechselweisen Sinken von Qualität und Preis in die Hände spielen, ist offensichtlich. Wer bewusst konsumieren will, denkt darüber nach, was er kauft und warum sie einen bestimmten Preis dafür zahlt. Es gibt Möglichkeiten, sich über die Herkunft und Produktionsbedingungen von Lebensmitteln zu informieren – der Markt ist transparenter als man vermutet, man muss sich nur interessieren.

 

Geldvernichtung und verlorenes Potenzial

In Deutschland wird jährlich die gleiche Summe Geld in Form von Lebensmitteln entsorgt, die Aldi (das deutsche Pendant zum österreichischen Diskonter Hofer) bundesweit verdient. Würde man allein das weggeworfene Brot verheizen, könnte man das ganze Bundesland Niedersachsen mit Energie versorgen. In Österreich belaufen sich die weggeworfenen Lebensmittel pro Haushalt laut dem Lebensministerium auf 300 Euro pro Jahr. Die wenigsten weggeworfenen Nahrungsmittel gehören allerdings in den Müll. Wer den Film „Taste the Waste“ gesehen hat, weiß über das Ausmaß der Verschwendung Bescheid. Die FAO (Food and Agriculture Organisation of the United Nations) hat zu dieser Thematik kürzlich auch einige anschauliche Fakten veröffentlicht.

Weggeworfen werden im Endeffekt Unsummen an Geld. Viel von dem, was im Müll landet, ist noch genießbar. Allein die Hälfte des weggeworfenen Essens in Europa könnte alle Hungersnöte der Welt stillen. Einiges könnte auch als Tierfutter oder Brennmaterial mit unglaublichem Potenzial eingesetzt werden. In der EU ist es verboten, Speisereste und Supermarktabfälle als Tierfutter zu nutzen. Daher müssen fünf Millionen Tonnen Getreide zusätzlich angebaut werden – das entspricht der Ernte von ganz Österreich.

Ein anderer Punkt ist das Potenzial, den Klimawandel aufzuhalten. Bei der Entsorgung von organischem Abfall in Mülldeponien entsteht Methan, ein Treibhausgas, das um ein Vielfaches schädlicher für die Atmosphäre ist, als das verrufene CO2. Ungefähr 15 Prozent der globalen Methan-Emission stammen aus dem Lebensmittel-Müll. Nahrungsentsorgung ist somit gleich schädlich wie der weltweite Autoverkehr bezüglich der Klimagase. Alleine durch Kompostierung könnten diese Emissionen reduziert werden, in Biogasanlagen könnte sogar noch Energie gewonnen werden.

 

Gegen das Wegwerfen

Auch die Politik sowie viele Organisationen wissen heute mehr über die bedenklichen Systematiken, die hinter dem nach unten geschraubten Preis-Leistungs-Verhältnis im Einkaufswagen stehen. Einige Initiativen wurden nun gestartet, um Bewusstsein zu schaffen und die Verschwendung einzudämmen. BIORAMA setzt diesen Sommer ebenfalls einen Schwerpunkt auf das Thema – immer wieder werden spannende Ideen mit Zukunftsvision vorgestellt, die sich mit der Wertschätzung von Nahrungsmitteln befassen.

 

Mitmachen leicht gemacht: Teile dein Essen

Die erste Initiative befasst sich mit dem Teilen von Lebensmitteln. Nach deutschem Vorbild gibt es nun auch in Österreich eine Internet-Plattform, die Privatpersonen, Händlern und Produzenten die Möglichkeit gibt, überschüssige Lebensmittel kostenlos anzubieten oder abzuholen. Über Foodsharing kann man (noch geniessbare) Lebensmittel loswerden oder suchen oder sich zum gemeinsamen Kochen verabreden, um überschüssige Lebensmittel zu teilen, statt sie wegzuwerfen. Die Plattform ist in Österreich erst seit kurzer Zeit online, hat aber schon über 1.500 aktive Nutzer. Unterstützer, die bei der Verteilung und Koordination helfen sowie Mitglieder werden natürlich laufend gesucht. Wer sich dafür interessiert oder dazu neigt, zu großzügig einzukaufen, kann sich online registrieren und mitmachen. Genaueres über die Initiative kann man auch im BIORAMA-Interview lesen.

 

Der BIORAMA Lebensmittel-Fokus
Im Sommer setzen wir einen thematischen Schwerpunkt und stellen Ideen und Initiativen vor, die sich mit der Wertschätzung von Nahrungsmitteln und ‪#‎Lebensmittelverschwendung‬ befassen. Der zweite Teil des BIORAMA Lebensmittel-Fokus ist ein Interview mit Martin Haiderer von der Wiener Tafel, die Verteilungsinitiative für übrig gebliebene Lebensmittel. Er spricht über Bewusstseinsbildung und Entsorgungsgebühren als Mittel gegen die Wegwerfmentalität.

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