Lebensmodell Ökodorf
Individualleben, Wohngemeinschaft, Ökosiedlung (Co-housing) oder Ökodorf? Nicht jede Lebensform bietet ein Leben in Gemeinschaft oder umweltverträgliche Lebensgestaltung. Ökodörfer versuchen beiden Aspekten gerecht zu werden.
Sie sprießen nicht gerade wie die Pilze aus dem Erdboden, aber es gibt sie bereits – und zwar häufiger als man denkt. Aber: Was ist eigentlich ein Ökodorf?
Der globale Dachverband der Ökodörfer (GEN) definiert ein Ökodorf als eine bewusst und durch partizipative Prozesse gestaltete Gemeinschaft, die durch lokale Besitzstrukturen geprägt ist und zur Wiederherstellung der sozialen und natürlichen Umwelt beiträgt. In den ganzheitlichen Ansatz sind die vier Dimensionen der Nachhaltigkeit (Ökologie, Ökonomie, Soziales und Kulturelles) integriert.
Es ist unklar wie viele Ökodörfer es weltweit gibt. Auch für Gemeinschaften gibt es nur Schätzwerte: Sie reichen von 3.700 bis 25.000, je nach Quelle. Im Jahr 2005 recherchierte der Kultur- und Religionswissenschaftler und Herausgeber der „Encyclopedia of Large Intentional Communities“ Ralf Gering 208 Netzwerke und Dachorganisationen, in denen über 3.700 Gemeinschaften aufgelistet waren, inkl. Religionsgemeinschaften. So lebten im Jahr 2005 etwa 367.000 Menschen in solchen Gemeinschaften.
Die Erwartungen an das Leben in Gemeinschaft sind oft groß. Dieter Halbach, Gemeinschaftsberater, Ökodorfgründer und Oya-Redakteur beschreibt im Interview mit Eurotopia, welche Fehler beim Gemeinschaftsaufbau häufig auftreten: Strukturlosigkeit, zu viel Gemeinschaft, Abspaltungen v. a. in Gruppen mit „Guru“ oder Führungsgruppe, zu kleine oder zu große Gruppen und zu unterschiedliche Erwartungen. Oft fehlt es an der professionellen Begleitung bei der Gemeinschaftsbildung. Dennoch: Viele Menschen haben den Schritt in ein neues Lebensmodell gewagt und leben es – samt aller Hürden.
„Leben in Gemeinschaft erweitert den Horizont.“ Michael Würfel
Für Michael Würfel, Herausgeber des Eurotopia-Verzeichnisses und Bewohner des Ökodorfs Sieben Linden, ist die Gemeinschaft „Teil eines tragfähigen gesellschaftlichen Konzeptes, nach dem ich in der Privat-Gesellschaft lange suchen kann.“ Jedes Ökodorf ist anders, hat seine eigenen Schwerpunkte und Grundprinzipien. Die meisten erachten Naturnähe, einen hohen Selbstversorgungsgrad, Energieautarkie, Müllvermeidung, ökologisches Bauen, respektvollen Umgang miteinander und der Umwelt und Experimentierfreudigkeit für neue Lebensmodelle als wichtige Bestandteile.
Sechs Ökodörfer und was dort passiert
Auroville – Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft
Auroville befindet sich im südindischen Staat Tamil Nadu und wurde am 28. Februar 1968 feierlich eingeweiht. Die Vision einer Stadt für 50.000 Menschen stammt von der Französin Mirra Alfassa. Es soll eine Stadt frei von religiösen, politischen und hierarchischen Barrieren werden. Derzeit leben über 100 Gemeinschaften (2.000 Menschen), bestehend aus Architekten, Umweltaktivisten, Aussteigern u.a. aus 45 Ländern in Auroville. In einer Vier-Punkte-Charta halten sie ihre Grundprinzipien fest.
www.auroville.org
Filme über Auroville gibt es hier (englisch) und hier (englisch und französisch).
Tamera – Zentrum für Friedensforschung
Im Süden Portugals liegt das Friedensforschungsdorf Tamera. Gegründet wurde es 1995 von dem Soziologen und Psychoanalytiker Dieter Duhm, der Theologin Sabine Lichtenfels und dem Physiker und Musiker Rainer Ehrenpreis. Im Zentrum des Projekts stand von Anfang an die Frage, wie Menschen aller Kulturen und Religionen so zusammenleben können, dass zwischen ihnen Frieden entsteht. Es entstand ein Modelldorf, in dem gewaltfreies Zusammenleben zwischen Menschen, Natur und Tieren praktiziert wird. Derzeit leben etwa 170 Menschen in Tamera. Das „Solarvillage“ ist Forschungsplattform für erneuerbare Energien.
Findhorn –bewusst leben
Etwa 300 Menschen wohnen dauerhaft in Findhorn. Zusätzlich beleben zahlreiche Besucherinnen und Besucher das Dorf. „The Park“ ist das Zentrum der Findhorn Foundation. 90 ökologische Gebäude, das Findhorn College oder die erste „Lebende Maschine“, eine Pflanzenkläranlage für das gesamte Abwasser des Dorfes, sowie dorfeigene Windturbinen sind hier zu finden.
Ökopolis – eine Lebensform, die Krisen aller Art besteht
Ökopolis ist eine Gemeinschaft von 35 Dörfern mitten in der russischen Taiga in denen insgesamt 6.000 Menschen wohnen, die es sich zum Ziel gemacht haben einfach, naturnah und selbstversorgend zu leben.
Sieben Linden – das Dorf im Wald
Gegründet wurde Sieben Linden im Jahr 1993. Seither hat sich viel getan: Das Dorf verfügt über eine eigene Pflanzenkläranlage, ein Trockentoilettsystem, dem ersten offiziell genehmigten mehrstöckigen Haus in Strohballenbauweise, einem Gemeinschaftshaus mit Gemeinschaftsküche, einem Waldkindergarten und eine eigene Landwirtschaft. Geraucht wird nur in der Raucherecke, Handys und Autos werden nur außerhalb des Dorfes benutzt. Derzeit leben 140 Menschen in Sieben Linden, das irgendwann einmal Lebensraum für 300 Menschen sein soll.
Der Lebensraum – ein österreichisches Co-housing Projekt
Neben Pomali und dem Wohnprojekt Wien ist der Lebensraum eines der wenigen existierenden Co-housing-Projekte in Österreich. Ökodorf gibt es in Österreich keines, wenngleich sich viele Gemeinden bemühen, ökologische Ansätze umzusetzen. 20 Kilometer von Wien verbindet das Projekt Lebensraum das Wohnen in Niedrig-Energie-Wohnungen mit gelebter Nachbarschaft. Das Partycipation-Festival, von dem wir vor kurzem berichtet haben, fand am Gelände des Lebensraumes statt.
Im Film „Ein neues Wir. Ökodörfer und ökologische Gemeinschaften in Europa“, produziert vom österreichischen Dokumentarfilmer Stefan Wolf, finden alle Interessierten einen Einblick in das Leben von zehn Gemeinschaften in acht Ländern.
Lust auf Leben in der Kommune? „Wie gründe ich eine Kommune“ – ein BIORAMA-Leitfaden: www.biorama.eu/wie-grunde-ich-eine-kommune