Das kleine Ich bin Ich – Eine Bio-Typologie

Welcher Bio-Typ bin ich? Konsequenter Moralist, gut situierter Lifestyler oder doch eher Zweifler und Bedenkenträger? Wer heute aus welchen Gründen Bio kauft – und was die unterschiedlichen Konsum-Typen so voneinander halten. Außerdem: Marktforscher Michael Grunwald über das Comeback der Moralisten, »Bio-Nazis« und Gefahren für die Bio-Bewegung.


Der Moralist

Kauft: 100 % Bio – vorzugsweise Demeter-Marken; regional, im Reformhaus, beim Bauern oder im Bioladen – Fair Trade ist wichtig.

Trägt: Naturtextilien, Wolle, Cord, Waldviertler-Lederschuhe.

Trinkt: Wasser, Wein und Sirupsäfte.

Liest: taz, Falter, Frankfurter Rundschau oder Der Standard.

Hört: Deutschland-Radio und Ö1.

Sieht: wenig TV und wenn, dann Arte oder 3sat.

Fährt: ein Mountain-Bike der 1. Generation und einen uralten Mercedes Benz, weil – immer noch besser ein alter Spritfresser als ein teurer Neuwagen …

Raucht: gar nicht (mehr) oder selbst gedrehte Tschick, für die er den Tabak vielleicht auch selbst anbaut.

Verzichtet: gern auf Überfluss und findet es okay, nicht immer alles zu haben.

Hasst: Ronald McDonald – der verkörpert das ultimativ Böse und macht sich sogar an Kinder ran. Schlimmer wär’s nur noch, wenn McDonald’s jetzt auch noch auf Bio macht!

Spendet: gar nicht (Geld abgeben heißt, es sich zu einfach machen). Wird selbst aktiv – pflanzt Bäume.

Und das sagen die anderen:

Respekt für die Konsequenz! Man weiß ja auch, dass es Bio ohne diesen Typus nicht gäbe. Die ganzheitliche Lebensphilosophie und sein Oberlehrer-Gehabe sind dann aber doch die Spur zu radikal. Wird belächelt aber respektiert.

 

Der Lifestyler

Kauft: 50 % Bio – vor allem Brot, Säfte, Wurst, Käse und Fleisch – und fühlt sich mit der Produktvielfalt, die ihm einen erfolgreichen Lebensstil ermöglicht, sehr wohl. Hat kein Problem, auch beim Diskonter, bei Billa oder Merkur einzukaufen, frequentiert aber auch Bioläden.

Trägt: hochwertige Outdoor-Klamotten von Jack Wolfskin oder Patagonia.

Trinkt: Bionade oder Makava; stilles Mineralwasser.

Verzichtet: kaum einmal, genießt mit gutem Gewissen.

Liest: Süddeutsche, Der Standard oder Die Presse – seit Kurzem auch auf dem iPad.

Hört: nur im Auto Radio, in der U-Bahn mit dem iPhone Musik und Podcasts.

Sieht: amerikanische Serien auf DVD, Arthouse, aber auch Blockbuster. ARD, ZDF, Arte, 3sat.

Fährt: ein Trekking-Fahrrad, trägt vorbildlich Helm und kutschiert den Nachwuchs hinten dran im Chariot-Anhänger.

Hasst: den erhobenen Zeigefinger – und deshalb nichts dogmatisch. Steht McDonald’s aber kritisch gegenüber.

Spendet: für WWF, SOS Mitmensch oder auch kleine, regionale Verbände

Engagiert: in den Elterngremien von Schule und Kindergarten.

Und das sagen die anderen:

Typisch für diese zusammengezimmerte Weltsicht der, wie hieß das noch mal schnell?, ach ja, dieser Lohas. Typisch /Lifestyle of Health and Sustainability/! Die sind doch nur auf den Trend aufgesprungen, weil’s gerade modern ist, sich für die Umwelt zu engagieren. Den teuren Lebensstil und die private Kita-Gruppe kann sich das Styler-Pärchen sowieso nur leisten, weil beide gut verdienen.

 

Der Bedenkenträger*

* hat keine Bedenken an Bio, sondern findet die Gesamtsituation bedenklich – und konsumiert deshalb Bio-Produkte. Könnte also auch heißen: Der Bio-Normalo, weil Bio für ihn was ganz Alltägliches geworden ist.

Kauft: im Supermarkt ca. 1/3 seines Wocheneinkaufs Bio – vor allem, wenn’s um Fleisch, Eier, Wurst, Gemüse oder Fisch geht.

Hält: konventionell produzierte Lebensmittel für schlechter (Dioxineier! Gammelfleisch!), hat aber Schwierigkeiten, Qualität über klassische Marken zu identifizieren.

Vertraut: deshalb Gütesiegeln, aber durchaus auch alteingesessenen Traditionsunternehmen und Marken, zum Beispiel Felix Ketchup, Iglu, Manner.

Trinkt: nach dem Sport am liebsten Wasser oder isotonische Getränke.

Liest: Die Welt, Kurier oder regionale Tageszeitungen.

Hört: gern Oldies, findet aber auch jetzt in den Charts nicht alles schlecht.

Fährt: mit dem Rad (gesund), mit dem Auto (seltener) und mit der Bahn (immer öfter).

Hasst: es, sich über einen längeren Zeitraum ungesund ernähren zu müssen.

Spendet: dem WWF.

Und das sagen die anderen:

Normalo! Stiftung-Warentest-Gläubiger! Seltsam inkonsequent, wenn mal Bio-Salami und dann konventionelle ungarische Salami gekauft wird.

 

Der Zögerliche / Der Zweifler

Kauft: punktuell Bio-Produkte (ca. 5-10 %), manchmal Bananen, Milch, eher seltener Fleisch und Fisch – kauft bedenkenlos auch beim Diskonter.

Fühlt: sich verführbar, aber verunsichert.

Trinkt: hin und wieder Fair-Trade-Kaffee, überlegt aber die Anschaffung so einer Kapsel-Kaffeemaschine.

Verzichtet: monatlich auf zwei Hunderter – beim Bausparen. Gönnt sich zu Weihnachten schon mal was Besonderes, z.B. Bio-Wurst.

Liest: regionale Tageszeitungen, Bild oder Kronen-Zeitung.

Hört: volkstümliche Musik.

Fährt: Opel oder VW, seit ein paar Jahren vielleicht auch einen Japaner

Hasst: »übertriebenes Marketing«.

Spendet: nicht, weil er glaubt, dass eh alles irgendwo versandet. Wenn doch, dann am ehesten der Kirche, UNICEF oder für Kinder in Not.

Und das sagen die anderen:

Absoluter Durchschnitt. Paradoxerweise legitimieren seine Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Bio auch seinen Bio-Einkauf. Hat sich bloß noch nicht durchgerungen, das Bio-Ding konsequent durchzuziehen. Wird schon noch!

 

Der Ursprüngliche

Kauft: am liebsten Lebensmittel wie sie eigentlich sein sollten – Bio, bodenständig und mit Vorliebe beim Bauern.

Kultiviert: vielleicht auch selbst Erdäpfel, Salat, Obst und Gemüse im Garten bzw. zumindest Kräuter auf der Fensterbank.

Trinkt: Wasser, Kräutertee oder spritzt sich selbst angesetzten Sirup zum Saft auf.

Fühlt: sich am Bauernmarkt sehr wohl.

Betreibt: ganz sicher keinen Markenkult. Marken hält er für zweitrangig. Am wichtigsten sind ihm hochwertige, unverarbeitete Bioprodukte (Fleisch, Obst, Gemüse, Milch).

Sammelt: Kräuter am Wegesrand.

Liest: GEO, Universum Magazin, Lebensart, LandLust oder auch Servus in Stadt und Land.

Hat: ein prinzipielles Problem mit konventioneller Landwirtschaft und deshalb ein Bio-Kistl-Abo. Denn: Je industrieller Lebensmittel produziert werden, desto minderwertiger.

Versteht: die Faszination für Tommy Hilfiger, Boss oder Dolce & Gabbana ganz und gar nicht.

Weiß: es zu schätzen, wenn Marken oder Unternehmen sich verantwortungsvoll engagieren. Ein dm-Typ.

Spendet: dem WWF, der Arche Noah oder für Regenwaldprojekte.

Und das sagen die anderen:

Ein Natur-, Garten- und Qualitätsfetischist. Da schwingt schon auch ein wenig Nostalgie mit. Aber er/sie weiß halt auch noch, wie’s früher einmal war.

 

INTERVIEW mit dem Kölner Markenforscher Michael Grunwald: »Bio lässt sich nicht missbrauchen«

Der Kölner Markt- und Markenforscher Michael Grunwald über Normalisierung, den mitunter radikalen Gehalt von Bio und das Comeback der Moralisten.

Michael Grunwald ist studierter Sportwissenschafter, hat aber eine Zusatzausbildung in morphologischer Psychologie absolviert. »Dabei geht es um unbewusste Gründe für die Verwendung und Nutzung von Marken.« Als Marktforscher legt er für Konzerne wie Rewe (Billa, Merkur, Bipa, ADEG, Penny) oder die Mediengruppe WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Krone, Kurier, Mediaprint) regelmäßig Marken und Produkte auf die Couch. Gemeinsam mit BIORAMA erstellte der Kölner eine Typologie der Bio-Kosumenten.

 

Biorama: Kann man den Typus des »Moralisten« als Vater beziehungsweise Mutter der Bio-Bewegung ansehen?

Michael Grunwald: Ja, das kann man durchaus so sehen und sagen.

Wie und wann haben sich denn die weiteren Bio-Typen wie der »Lifestyler«, der »Bedenkenträger« oder der »Ursprüngliche« herausgebildet?

Das ist erst in den letzten Jahren passiert, je stärker sich der Umgang mit Bio normalisiert hat. Es kam zu einer Diversifizierung durch zunehmende Akzeptanz.

Sie haben 2004 eine große Bio-Untersuchung für die Rewe-Gruppe, die in Österreich sehr erfolgreich die Eigenmarke Ja! Natürlich betreibt, durchgeführt und nehmen regelmäßig, wie sie es nennen: »Bodenproben« am Biomarkt. Welche Veränderungen zeichnen sich denn ab?

Es gibt eine sehr starke Normalisierung. Bio wird zunehmend normal!

Österreich gilt als Bio-Musterland. Wodurch unterscheiden sich denn die Bio-Konsumenten in Österreich von jenen in Deutschland oder der Schweiz?

Das ist schwer zu sagen, weil wir vor allem in Österreich geforscht haben. Ich denke, der Österreicher hat generell ein größeres Vertrauen in die heimischen Lebensmittel-Produkte. Österreichischen Lebensmitteln wird seitens der österreichischen Verbraucher generell eine hohe Qualität zugeschrieben. Weil es also ohnehin schon ein hohes Qualitäts-Niveau gibt, haben es Bio-Produkte insgesamt schwerer. Darüber hinaus ist der Österreicher ja ein Genussmensch, was man vom Deutschen nicht unbedingt sagen kann. Der Deutsche vertraut auch weniger auf die Qualität der eigenen Produkte. Wir sind halt eine Industrienation.

Kristallisieren sich aus heutiger Sicht weitere Bio-Typen heraus?

Neue Typen nicht, nein. Aber Alte gewinnen wieder an Bedeutung – beispielsweise der Moralist.

In den deutschen Medien tauchten zuletzt immer wieder rechtsradikale Biobauern auf, die im Hinterland nach völkischen Kriterien landwirtschaften und sich auf nationalsozialistische Lehren berufen. Auch ein in Österreich unlängst verhafteter führender Neonazi hat in Wien einige Jahre einen »nationalen Bioladen« betrieben. Sind diese Blut-und-Boden-Protagonisten bloß Ausnahmen oder wird es den »Bio-Nazi« vielleicht bald als eigenen Konsumententyp geben?

Den Bio-Nazi wird es wohl nicht geben, dafür stecken in Bio zu viele humanistische Qualitäten. Eine attraktive Qualität von Bio aus Sicht der »Bio-Nazis« ist gegebenenfalls der Disziplinierungsgedanke und das mitunter Radikale, das in Bio steckt. Bio lässt sich aber nicht missbrauchen.

Aus der Sicht des Marktforschers: Was könnte denn der Bio-Bewegung gefährlich werden?

Hungersnöte, Katastrophen und Ausnahmesituationen, in denen es wichtig ist, überhaupt etwas zu essen zu haben. Aber auch die Normalisierung kann langfristig gefährlich werden für die Bio-Bewegung und sie langsam aushöhlen. Und natürlich auch ein Wiedererstarken der Marken, die ja insgesamt ein wenig schwächeln – insbesondere im Hinblick auf ihre Qualitätsbotschaften.

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