Das Büro, deine Höhle

Schneller, vernetzter, komplexer! Die Arbeitswelt hat eine enorme Evolution durchgemacht. Wir Homo sapiens dagegen stecken noch in der Steinzeit fest – und brauchen dringend ein artgerechtes Büro. 

Mozart hatte es gut. Er blieb jeden Tag bis zehn Uhr in den Federn. Er zog es vor, morgens gemütlich in seinem eigenen Kuschelbett zu arbeiten. Und auch wenn die eine oder andere Bettwanze den Schöpfungsprozess ab und zu gestört haben mag, war Mozart wahrscheinlich in den paar Morgenstunden im Bett produktiver, als mancher moderne Arbeitnehmer, der acht Stunden aufrecht sitzend im Großraumbüro zubringt, umtost von ins Telefon brüllenden Kollegen. Denn: Der Mensch braucht eine Höhle für sich, wo er sich wohlfühlt und wo er dann, auf diesem emotionalen Humus, seine kognitiven Fähigkeiten entfalten kann. So Michael Kastner vom Institut für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin Herdecke. Wir nachgeborenen Normalsterblichen ohne geniale Begabung schleppen uns aber Tag für Tag in Büroräume, die uns meist weder Inspiration noch Geborgenheit geben, ja die uns manchmal sogar krank machen.

Menschliches Bedürfnis Nr. 1: Nasenbohren

Dabei unterscheidet sich die Arbeit eines modernen Firmenangestellten in vielem immer weniger von der kreativer Künstler. Die Arbeitsinhalte haben sich stark in Richtung der Wissensarbeit verlagert. Es gibt immer weniger manuelle Routinearbeiten, die im Büro zu erledigen sind, erklärt Wolfgang Neubert, Vorstand Sales und Marketing des Büromöbelhersteller Bene. Als »Knowledge Worker«, als »Wissensarbeiter« bezeichnet Bene auf seiner Website den modernen Firmenangestellten. Büros sind inzwischen eine Art Wissensfabrik, so Neubert. Gefragt sei vor allem Kreativität, um dieses Wissen in ein Produkt umzuwandeln. Doch die immer stärker verbreiteten Großraumbüros sind nicht nur »Wissensfabriken« im übertragenen Sinn, sie sehen oft auch so aus: lieblos und laut, mit dicht gedrängten Menschen als Maschinen, aus deren überhitzten Köpfen unaufhörlich kreativer Output zu dampfen hat. Je mehr Mitarbeiter in ein Büro passen, desto billiger. Eine Rechnung, die auf Dauer nicht aufgeht, wie Michael Kastner weiß. Die typischen Merkmale eines Großraumbüros – hohe Lautstärke und dichtgedrängtes Arbeiten – sind völlig konträr zu den natürlichen Bedürfnissen des Menschen. Der Mensch hat typischerweise eine Abgrenzungstendenz, er will seinen eigenen Raum haben. Das ist evolutionäres Programm. Egal wie abgestumpft wir heute durch ständige Reizüberflutung sind: im Grunde haben wir alle Sehnsucht nach unserer Steinzeithöhle, wo wir uns in Ruhe komplexen Problemen wie dem Feuermachen zuwenden und unsere Privatsphäre genießen konnten. Der Mensch habe nun mal das Bedürfnis, für sich zu sein und in der Nase zu bohren, ohne dass andere gleich zuschauen können, so Kästner.

Menschliches Bedürfnis Nr. 2: Terrain abstecken

Die Büromöbelhersteller Bene und Vitra versuchen, dieses menschliche Bedürfnis nach Rückzug mit den modernen Arbeitsstrukturen, die viel Kommunikation unter den Mitarbeitern verlangen, zu verbinden. »Network« und »Nesting«, kurz »Net’n’Nest«, heißt das Prinzip bei Vitra. Vitra-CEO Hans-Peter Cohn erklärt: »In unserem Network-Office arbeiten alle Mitarbeiter in einem Raum zusammen, das ist das Network. Möchte sich jemand einmal zurückziehen, kann er sich in die Bibliothek, die Cafeteria oder in einen separaten Raum im Raum setzen. Diese Rückzugsmöglichkeit ist das Nesting.« Doch auch für das Network scheint ein definierter Raum essenziell zu sein, wie die österreichische Firma Bene laut Wolfgang Neubert bei der Entwicklung des Bürokonzepts PARCS mit dem englischen Designbüro Pearson Lloyd herausfand. »Wir haben uns gefragt: Was definiert einen Kommunikationsplatz für Menschen? Wir sind in einen britischen Park gegangen und haben Familien beim Picknick beobachtet. Und was machen sie zuerst, wenn sie ihren Picknick-Korb auspacken? Sie legen sich eine Decke auf und zwar egal, ob sie diese brauchen oder nicht. Die Decke definiert ihr Terrain.« Herausgekommen ist dabei die »Toguna«, eine Art Raum im Raum, in den man sich zur Besprechung zurückziehen kann.

Menschliches Bedürfnis Nr. 3: Höhlenmalerei und andere Verschönerungen

Firmen wie Vitra und Bene bieten ihren Kunden nicht nur intelligente Großraumlösungen, sondern auch exklusives  Design. Doch nach arbeitspsychologischen Gesichtspunkten ist das für die Mitarbeitermotivation weniger wichtig. Entscheidend dagegen: die Möglichkeit, den eigenen Arbeitsplatz selbst gestalten zu können. Doch Familienfotos und eine Miniaturkaktuskolonie auf dem Schreibtisch – lenkt das nicht eher ab? Michael Kastner sagt dazu ganz klar: »Nein. Da wir unsere meiste wache Zeit im Büro verbringen, sollte dieser Ort ein persönlicher Raum sein, wo wir uns jeden Morgen freuen, wenn wir ihn betreten.« Der Traum von Michael Kastner ist ein rundes Gebäude mit einem Großraumbüro in der Mitte und zusätzlich für jeden Mitarbeiter zirka sechs Quadratmeter große Bürozellen an der Außenwand, die jeder gestalten kann, wie er will. Eine heimelige Arbeitshöhle für den immer noch steinzeitlich geprägten Menschen.

Doch das allein reicht für eine »artgerechte« Mitarbeiterunterbringung nicht aus. Trockene Augen, Asthma und Hautprobleme, ausgelöst durch Chemikalien in Möbeln oder durch von Kopierern freigesetztes Ozon, sind die gesundheitlichen Hauptbeschwerden am Arbeitsplatz. Vitra und Bene setzen bereits auf umweltverträgliche Materialien, doch wer an seinem Arbeitsplatz mit billigen Giftausdünstern vorlieb nehmen muss, dem können Pflanzen helfen. Studien beweisen, dass sie als Luftreiniger und Befeuchter wirken.

Doch wem nützen all diese Erkenntnisse, wenn für die Unternehmen doch nur die Kosten zählen? Zum Glück gibt es gute Nachrichten: Erfolge von Bürokonzepten wie PARCS und die 2009 geführte Studie Green Office des Fraunhofer Instituts zeigen einen deutlichen Trend zum ökologisch und sozial nachhaltigen Büro. Letztlich ist eben die Motivation der Mitarbeiter bzw. die Frage, ob man heiß gelaufene Dampfmaschinen beschäftigt oder kreative Knowledge Worker, die über den Firmenerfolg entscheidet.

 

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