CSR-Brille #23: Würdest du gründen? Eine Start-up Perspektive zum Bedingungslosen Grundeinkommen
Wenn für den Lebensunterhalt gesorgt wäre, würden dann mehr Menschen gründen? Annemarie Harant hat sich Gedanken zum Grundeinkommen aus Start-up Perspektive gemacht.
Hast du schon einmal geglaubt, so eine richtig gute Idee zu haben? Eine alles überragende zündende Idee, die eine ganze Branche revolutionieren könnte und im besten Falle gleichzeitig positiv auf unsere Klima- und Umweltsituation wirkt? Hättest du es durchgezogen und deinen Job gekündigt, wenn jemand deine Miete bezahlt hätte und du gerade am Anfang keine Angst vor einem Leben unter dem Existenzminimum fürchten müsstest? Wenn du diese Zeilen mit „ja“ beantworten kannst, dann sind wir schon mitten in der Debatte um ein Bedingungsloses Grundeinkommen.
Pro bedingungsloses Grundeinkommen: das Silicon Valley
Ein kontrovers diskutiertes Thema mit 1000 offenen Fragen, nach wie vor. In Deutschland setzt sich dm-Gründer und Anthroposoph Götz Werner (siehe CSR-Brille #23) dafür ein, eine eigene Partei versuchte im deutschen Wahlkampf mit dem Thema ihr Glück (und erreichte fast 100.000 Stimmen) und wann immer international über das Thema diskutiert wird, kommen schnell Unternehmen oder Risikokapitalgeber aus dem Silicon Valley auf das Diskussions-Tableau. Das Interessante? Bekannte Vertreter aus dem kalifornischen Gründerparadies sprechen sich klar dafür aus. Das Hauptargument dieser Befürworter/innen und ist die Erkenntnis aus diversen Studien, dass die Digitalisierung bis 2030 rund 50 Prozent der Jobs abschaffen wird. Klar, gab es den Ersatz von Mensch durch Maschine schon die letzten Jahrzehnte, aber das Argument der zunehmenden Geschwindigkeit dieser Entwicklung wird hier als Trumpf geführt. Ein Weg, der die damit verbundenen Auswirkungen auffangen sollte, wäre ein Bedingungsloses Grundeinkommen.
Messias Zuckerberg?
Aber warum setzen sich Unternehmer wie Facebook-Gründer Zuckerberg oder Tesla Gründer Elon Musk für ein Bedingungsloses Grundeinkommen ein? Kalkül? Sicher! Aber welches? Oder ist es doch vielleicht tatsächlich das einzig vernünftige Resümee der rasanten Digitalisierungsentwicklungen, für die genau diese Personen mitverantwortlich sind? Ist das ihre Form der Unternehmensverantwortung, sich genau diesen gesellschaftlichen Auswirkungen zu stellen? Oder besteht im Falle von Facebook einfach die Erwartung, dass dann alle mehr bei Facebook rumhängen?
Wie glaubwürdig ist das Engagement von Unternehmen für das Bedingungslose Grundeinkommen?
Bisher wollten ja solche Konzerne auch nicht unbedingt, dass der Staat eine größere Verantwortung übernimmt. So nimmt man das gerade Facebook nicht ab, wenn hier Milliarden an Steuern am Fiskus vorbeigeschleust werden (siehe CSR-Brille #15) und das in der Unternehmensleitung wohl alle in Ordnung finden. Könnte ja mal jemand dem Herrn Zuckerberg ausrechnen, wie vielen Menschen die Steuerhinterziehungen seines Unternehmens ein Grundeinkommen von sagen wir mal 1000 Euro finanzieren würden?
Von einem in der Medienwelt bekannten „Kritiker der digitalen Revolution“ kommt noch ein ganz anderer Gesichtspunkt ins Spiel: Das Bedingungslose Grundeinkommen soll die Menschen „ruhig“ halten, sollten sie ihre Jobs verlieren, und mögliche Aufstände und Proteste verhindern, wie sie im Laufe der Industrialisierungsgeschichte immer wieder vorkamen und nach wie vor vorkommen.
Was würde das Bedingungslose Grundeinkommen für Start-ups bedeuten?
Warum das Thema für mich und Start-ups interessant ist: Neulich habe ich einen erfahrenen Vollblutunternehmer getroffen, der sich komplett gegen das Bedingungslose Grundeinkommen ausgesprochen hat. Aber ist es nicht er, der davon profitieren würde? Er, der eine gewisse Absicherung hätte? Ein paar Gedanken dazu:
Mehr Start-ups? Hätte ich mich mit der Absicherung über ein Grundeinkommen schon früher für ein Leben als Unternehmerin entschieden (ja, es ist eine Entscheidung für ein anderes Leben)? Es gibt ja nicht mal eine Arbeitslosenversicherung für Gründende in diesem Land! Oder ist Geld(not) auch ein Treiber für Innovationen? Wieviel Druck braucht man als Unternehmen in Sachen Geld, damit was weitergeht und Projekte wirklich durchgezogen werden? Würde es z.B. der Gefahr von Burn-outs vorbeugen, die in der Szene ja mittlerweile bekannt sind, weil in Krisenzeiten zumindest die Miete bezahlt werden kann?
Mehr Gleichstellung? Könnte ein Grundeinkommen dazu beitragen, dass sich mehr Frauen mit ihren guten Ideen trauen, ein eigenes Business aufzuziehen? Oder würde es die Gegenentwicklung fördern, dass sich mehr Frauen mit diesem Budget der angedachten ca. 1000 Euro zufrieden geben und das Feld weiter dem „Boys Club“ der Start-up-Szene überlassen wird? Zur Erinnerung: Nur 10-12% der Start-ups in Österreich und Deutschland werden aktuell von Frauen gegründet.
Mehr Wirtschaft, Wohlstand und Freude an der Arbeit für alle? Vor Kurzem bin ich auf eine Online-Diskussion in einer Start-up-Gruppe gestoßen, bei der folgende Argumente angeführt wurden: Würde ein Bedingungsloses Grundeinkommen einfach billige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Start-ups ermöglichen, (da Arbeiten für Geld nicht notwendig ist)? Erhöht sich die Fluktuation dadurch, weil bei unangenehmen Aufgaben schneller das Handtuch geworfen wird? Werden miese Unternehmen schneller vom Markt geworfen, weil sich Leute noch mehr aussuchen können, wo sie mitarbeiten wollen und z.B. nicht für einen Hungerlohn Essen oder Leute herumfahren müssten (Beispiele siehe CSR-Brille #16)? Oder würden gute Ideen von Start-ups nur so sprießen, weil sich mehr Leute den Luxus leisten könnten, bei einem Start-up für wenig Geld mitzuarbeiten oder eben selbst eines zu gründen?
Das Gedankenexperiment könnte jetzt noch abertausende Zeilen weitergeführt werden. Es bleibt – die Finanzierungsdiskussion an dieser Stelle ausgespart – wenig anderes übrig, als dieses Modell auszuprobieren. Finnland ist in der Pilotphase und in Deutschland gibt es sogar ein Projekt, initiiert von einer Bank, das im Kleinen den Versuch startet, Absicherung zu schaffen und schon 112 Menschen für ein Jahr lang ein Bedingungsloses Grundeinkommen in der Summe von 1000 Euro pro Monat finanziert hat. Völlig utopisch ist das also nicht mehr. Vielleicht bewerbe ich mich ja mal!