club panamur Retrospektive
An vier Wochenenden gab es im Rahmen des Festivals steirischer herbst im eigens kreierten club panamur im Grazer Orpheum den besten temporären Club Österreichs zu bestaunen und betanzen. BIORAMA Sound Sustain war bei vier Konzerten dabei, die Fotografin Clara Wildberger dokumentierte die Künstlerinnen und Künstler backstage und onstage.
Wie schon die letzten beiden Jahre wurde die Musikschiene des Kunstfestivals steirischer herbst von Norman Palm meisterhaft kuratiert. Wir mischten uns im club panamur und ausnahmsweise an einem musikprotokoll-Abend unter das Publikum.
Punk Poetry existiert, zumindest wenn es nach Moddi geht. Er bringt neue Versionen von verbotenen Songs auf seine Art, wie in diesem Fall Pussy Riots „Punk Prayer“, auf die Bühne. Er war ein naiver Singer/Songwriter, der über Liebe und Häuser am See sang, mit dem Zusammentreffen mit Eli Geva und dessen Geschichte änderte sich das. Israel, China, Russland oder die Drug Ballads aus Mexiko, überall gibt es verbotene Songs. Am gelungensten interpretiert war der Polka Beat über Narcos: „Parrot, goat and rooster“. „Army Dreamers“, im Original von Kate Bush, ist dennoch das Highlight des Abends, der Song ist während des Golfkrieges auf die BBC Blacklist gerutscht und wird noch immer weitaus weniger oft gespielt als noch 1980 als es ein Top 20 Hit war. „A Matter Of Habit“ von Alona Kimhi und dem Musiker Izhar Ashdot: Töten lernen ist eine Sache der Gewohnheit, aber auch Mensch zu sein ist eine Sache der Gewohnheit. Es lohnt sich die von Moddi adaptierten Lyrics aller Songs dieses Abends zu Gemüte zu führen, sie sind alle, neben den Entstehungsgeschichten, auf Websiten zu lesen und zu hören. Als Abschlussnummer rezitierte Moddi vom Tablet – da in Graz keine Bibel aufzutreiben war – die Geschichte von Josef und seinen Brüdern. Schauplatz Palästina, Josef/Moddi, der Geschichtenerzähler, Zauberer, aber auch der verrückte Hutmacher. Die Songs verändern sich ständig, sagt Moddi selbst am Tag darauf bei unserem kurzen Fotoshooting, die Set-List, ein ständig changierendes Projekt. Der Narcos-Song funktionierte für ihn am Vorabend schon, die anderen werden noch weiter reifen. Katrina, die das Cello und Backing Vocals inne hat, und Moddi arbeiten seit 2008 musikalisch zusammen, sie gab dem Konzert seine nötige Würze, um nicht zu eintönig zu werden.
Aus dem Gutter kamen Group A, Atompilze kamen zum Vorschein, Düsternis, Soundschwaden, ein industrieller Vorhang, eine Violine, Synths, „Come To The Sabbat!“ Beschwörerisch eingängig hören wir Suicide- und Throbbing Gristle-Anleihen: eine Bewegung aus den unteren inneren Körperregionen, Vokalistin Tommy Tokio balanciert schamanistisch am Sounddeck. Ein Mad Max Soundtrack, ja das wäre er! Ein Science Fiction, der direkt aus dem Untergrund der Schwärze unseres Seins geboren wurde, wird uns mit passenden schwarz/weiß Visuals geboten. Ein Tafelmesser und die Cowbell, Aggression, Liebe und Hass, Repetition und der Underboob: die Outfits plus Sound plus Performance ergibt eine synthetische Gewalt, die ihres Gleichen sucht. Group A machen ein betoniertes Korsett der Großstadt und den Ausbruch aus diesem hörbar. Und schon blinzeln DAF um die Ecke, heraus aus dem Dancefloor-Dark-Room.
Blixa Bargeld ist der bösartige Golem aus meiner hinteren Hirnrinde, es gibt gelooptes Gekreische mithilfe von 2 Loop-Geräten. Und ein maßstabgetreues Modell des Sonnensystems auf der Bühne, 32 Sekunden ist das Fassungsvermögen des Schlaufengerätes, das Publikum ist in Chor 1 und Chor 2 geteilt, alles ist in d, der Toningenieur ist Mephisto, Unendlichkeit, Asteroiden. Blixa Bargeld ist der Kater, der über’s Universum sinniert und gelegentlich seine Krallen blitzen lässt. Wie ein Boomerang ist manchmal die Struktur irgendeines Neubauten-Songs zu hören. Er ist ein kapriziöser Kater, dieser Blixa.
Wohingegen die Flamingods im club panamur ein Funk-Monster aus Samt und tropischen Früchten sein könnten, fünf junge Männer aus den verschiedensten Orten, sie lieben es Instrumente zu verstärken, die eigentlich akustisch gespielt werden. Das Saxofon klingt sexy und knackig, wie es klingen sollte, will man das Publikum zum Tanzen bringen. Sie sind Tame Impalas wilde Neffen und haben das zustimmende Nicken von Syd Barrett eingeholt. Wieder einmal Repetition, die Freude macht, „Come together!“ – Sehr gern!
Aisha Devi beschließt unsere Retrospektive als dunkle, beschwörerische Raverin mit Engels-Januskopf. Wir schließen die Augen und lassen es fließen.
Der steirische herbst 2017 findet von 22/09 bis 15/10 statt.