Keine Daten, keine Marktzulassung?

In der EU entscheidet seit zehn Jahren die Verordnung REACH, welche Chemikalien in der Herstellung von Textilien erlaubt sind. Sie wird demnächst überarbeitet. Wie groß ist ihr Potenzial, international neue Maßstäbe für eine umweltfreundlichere Textilproduktion zu setzen?

©UE/Alain Schroeder

Es gibt viele Gütesiegel, die dem Konsumenten helfen sollen, zu beurteilen, wie umweltfreundlich ein Kleidungsstück produziert worden ist. Wenn alleine der Gesetzgeber die ökologischen Standards in der Textilindustrie prägen würde, wie grün wäre die Modewelt dann? Ein Kriterium, an dem die Erfüllung von Nachhaltigkeitsstandards ersichtlich ist, ist der Einsatz von Chemikalien. Sie machen bis zu 30 Prozent des Gewichts eines Kleidungsstücks aus. In dessen Produktion kommen Chemikalien zur Verarbeitung, Veredelung, Formgebung und als Farbe zum Einsatz und werden somit zu einem zentralen Thema, wenn es um Konsumentenschutz und Eco-Fashion geht.

2008 ist in der Europäische Union mit der Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) ein Verordnung in Kraft getreten, die in der EU produzierende Unternehmen zwingt, offen zu legen, welche Chemikalien sie einsetzen. Im entsprechenden zentralen Register wurden bisher Informationen zu mehr als 17.000 Stoffen gesammelt.

Was bedeuten 10 Jahre REACH?

Einerseits dürfen die oft in Färbemitteln enthaltenen Schwermetalle Chrom, Nickel und Blei in der EU nicht mehr für Verbraucherprodukte verwendet werden. Ebenso ist das beim Waschen von Kleidungsstücken eingesetzte und Gewässer vergiftende Nonylphenol seither verboten. Außerdem wurden 181 Chemikalien als besonders besorgniserregend und somit registrierungspflichtig klassifiziert. Alle anderen Chemikalien müssen erst registriert werden, wenn sie innerhalb eines Jahres in einer Menge von mehr als einer Tonne hergestellt werden.

»Es gibt 1400 bis 2000 Stoffe, die ebenso schädlich sind. Der Gesetzgeber handelt jedoch nicht präventiv, sondern erst, wenn ein Schaden schon entstanden ist«, sagt Manuel Fernández, Chemie-Experte der Umweltschutzorganisation BUND. 43 weitere Chemikalien brauchen eine Zulassung für ihre Verwendung und die EU möchte ihre Herstellung und Verbreitung schrittweise ganz einstellen. Auch hier sieht Fernández Handlungsbedarf auf Seiten der EU: Derzeit würden die Zulassungsanträge der meisten Firmen genehmigt, in Zukunft müsse es eine strengere Bewertung geben.

Andererseits ist es auch REACH zu verdanken, dass wir in Europa nun erstmals einen Überblick darüber haben, welche Chemikalien in welchem Ausmaß eingesetzt werden. Denn: Seit der Einführung der REACH-Verordnung müssen Produzenten und Importeure die Risiken ihrer Stoffe für Mensch und Umwelt bei der Registrierung selbstständig angeben. Die europäische Chemikalienagentur ECHA, verantwortlich für die Bewertung der Stoffe, bekommt trotzdem noch regelmäßig unvollständige Registrierungsunterlagen.

Noch gilt in der EU nicht die Regel »Keine Daten, keine Marktzulassung!«. Daher gelangen auch Chemikalien auf den Markt, die nicht ausreichend untersucht worden sind oder bei denen notwendige Informationen fehlen. »Das Potenzial von REACH wurde bislang nicht gänzlich ausgeschöpft. Unternehmen kommen ihrer Auskunftspflicht bisher mehrheitlich nicht nach«, sagt Fernández. Laut der Chemikalienverordnung hat der Verbraucher ein Auskunftsrecht, welches bislang auch zu wenig wahrgenommen wurde.

EU-weit kann man mit der App »Scan4Chem« den Barcode auf einem Produkt scannen, um Auskunft über die darin enthaltenen Schadstoffe zu erhalten. Hat der Hersteller diese noch nicht selbst veröffentlicht, lässt sich über die App eine Anfrage schicken, woraufhin innerhalb der nächsten 45 Tage Informationen bereitgestellt werden müssen.

Wackeln sogar Mindeststandards?

Im Juni 2018 will die Europäische Kommission gemeinsam mit Parlament und Interessenvertretungen die bisherige Funktionsweise von REACH evaluieren – und entsprechend nachbessern. Zur Diskussion steht eine Vereinfachung des Registrierungsprozesses zur Entlastung der Industrie. Gleichzeitig soll die Anzahl an Datenlücken bei der Registrierung gesenkt werden.

»Anfänglich ist es eine Belastung für eine Firma, in ein nachhaltiges Produktdesign zu investieren. Aber im Nachhinein ist es auch ein Marktvorteil. Gerade in Mitteleuropa ist das ein wachsender Markt, denn Verbraucher entwickeln zunehmend ein Nachhaltigkeitsbewusstsein«, meint Fernández über die Klagen der Industrie über zu hohe REACH-Auflagen. Er glaubt auch daran, dass die EU mit ihrem Handeln international eine Veränderung bewirkt: »Es haben sich verschiedene Länder, darunter auch China, das europäische Chemikalienrecht zum Vorbild genommen, und diese Staaten sind dabei, in ihrer Gesetzgebung entsprechende Änderungen vorzunehmen.«

Es wird sich zeigen, ob die Neuauflage von REACH eher von Industrieinteressen geleitet sein wird oder ob der Fokus auf Konsumenten- und Umweltschutz liegt – und ob sie damit global neue Maßstäbe für den Umweltschutz setzt. Bis ein »Made in Europe«-Label aber das gleiche Konsumentenvertrauen genießt wie etwa GOTS oder IVN Best wird sich politisch noch einiges tun müssen.

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