Dokumentation: New York entsteht auch in indischen Sweat Shops
Natasha Raheja hat eine Dokumentation über Globalisierung gedreht. Darin verfolgt sie den Weg von Kanaldeckeln von Indien nach New York.
Neulich sind wir auf die Dokumentation Cast In India gestoßen, den die Anthropologin Natasha Raheja in New York und im indischen Howrah gedreht hat. Darin verfolgt sie die Entstehung der New Yorker Kanaldeckel. Die werden nämlich in einer indischen Gießerei produziert. Mit der Filmemacherin haben wir uns über Globalisierung und das Drehen von Filmen darüber unterhalten.
BIORAMA: Als wir in ihrem Film gesehen haben, unter welchen Bedingungen die Kanalisations-Deckel für New York in Indien entstehen, waren wir ziemlich überrascht. Waren Sie genau so überrascht von den Arbeitsbedingungen in Howrah?
RAHEJA: Ich war überrascht zu sehen, dass amerikanische Gießereien ihre Produktion nach Indien outsourcen. Bestandteile der Kanalisation verschiedenster US-Städte werden so im Ausland hergestellt. Ich hatte allerdings schon vorher indische Fabriken besucht und die dort herrschenden Zustände waren für mich keine große Überraschung. Es war allerdings sonderbar, ganz alltägliche Gegenstände des New Yorker Stadtbilds so weit entfernt zu sehen. Ich denke seither darüber nach, wie unsere städtische Infrastruktur die Arbeitsbedingungen ihres eigenen Entstehens verschweigt.
Was hat überhaupt ihr Interesse an diesen Kanalisationsdeckeln geweckt? War es der „Made in India“ Schriftzug darauf?
Diese Kanalisationsdeckel sind ein ikonischer und allgegenwärtiger Bestandteil von New York City. Wenn man dort herumläuft, kann man sie einfach nicht übersehen. Sie sind die Eingänge zum Kilometerlangen unterirdischen Kanalnetz. Dass ausgerechnet diese schweren, gegossenen Stahl-Scheiben so weit entfernt gefertigt und dann nach New York gebracht werden, fand ich interessant.
Glauben sie, dass es den Konsum in westlichen Ländern beeinflusst, wenn man die Mechanismen wie in ihrem Film verdeutlicht und sichtbar macht?
Ich hoffe, der Film macht die ungleichen Bedingungen sichtbar, die die weltweite Geografie von Produktion und Konsum weltweit ausmachen. Wer den Film sieht, kann sich Gedanken darüber machen, wie sein eigener Konsum die Produktion in Indien beeinflusst. Allerdings sollte das nicht unbedingt dazu führen, dass alle ihr individuelles Verhalten ändern. Wir können natürlich alle einen kleinen Beitrag leisten. Aber die globale Arbeitsteilung, so wie sie heute besteht, bedarf größerer, systemischer Veränderungen.
Ihr Film erinnert an beobachtende Dokumentationen wie „Workingman’s Death“ von Michael Glawogger oder „We feed the World“ von Erwin Wagenhofer. Da vermengen sich filmischer und anthropologischer Blick. Was macht ihre Perspektive aus?
Das Eintauchen in eine Umgebung und Geduld machen die anthropologische Methode aus. Meine Art zu filmen hat sicher auch diese ethnografische Sensibilität, die reines Zeigen über Erklären stellt, und Gefühl über Interpretation. Es gibt eine lange visuelle Geschichte allwissender Erzähler, die für „Brown Bodies“ sprechen. Ich habe mich entschieden, einen eher beobachtenden Stil zu verwenden, ohne gesprochenen Kommentar. Ich denke, da gehen auch Kunst und Anthropologie Hand in Hand. Mein Hintergrund ist der einer Anthropologin. Als Künstlerin habe ich mich nie gesehen. Allerdings bietet mir das Filmdrehen einen Weg, die Formen und die Poesie des Visuellen zu erkunden.
Es gibt verdammt viele Alltagsgegenstände, die unter fragwürdigen Bedingungen an für uns entlegenen Orten hergestellt werden, zum Beispiel Textilien, oder Lebensmittel. Ist das etwas, das filmisch noch einmal ins Zentrum ihrer Arbeit rücken könnte?
Als Dokumentarfilmerin und Anthropologin, interessiere ich mich immer dafür, unsere Welt über den ersten Blick hinaus zu erkunden. In diesem Film ging’s um Kanaldeckel. Es gibt zig andere Güter, hinter denen verschachtelte, weltweite Austauschbeziehungen stecken. Diese Kreisläufe von Tausch und Arbeit hinter Allerweltsgegenständen sind in unserem Wirtschaftssystem immer weniger sichtbar. Ich weiß nicht, ob ich noch einmal einen Film über eine bestimmte Lieferkette mache, aber ich habe schon ein paar andere Ideen im Kopf. Im Moment kümmere ich mich allerdings darum, Cast In India möglichst vielen unterschiedlichen Leuten zu zeigen.
Natsaha Raheja ist am Department of Anthropology der New York University tätig, forscht mit Fokus auf Indien und Pakistan. Cast In India ist ihr erster Film.