Ozean des Lebens

Versenkt: Vor der Küste Floridas sollten in den 1970er-Jahren auf Autoreifen »künstliche Riffe« wachsen. Mission failed. © SeaWeb Marine Photobank/Steve Spring

Versenkt: Vor der Küste Floridas sollten in den 1970er-Jahren auf Autoreifen »künstliche Riffe« wachsen. Mission failed. © SeaWeb Marine Photobank/Steve Spring

Menschen als Wasseraffen und Fischfang als Todesursache: BIORAMA im Gespräch mit dem Meeresbiologen Callum Roberts.

 

BIORAMA: Mister Roberts, können Sie sich erinnern, was Ihre erste Erinnerung oder Emotion in Bezug auf das Meer war?

Callum Roberts: Wie die meisten Kinder habe ich das Meer vom ersten Augenblick an geliebt. Ich habe dort viele glückliche Sommertage – aber auch sehr kalte Tage – verbracht. Damals habe ich nicht ahnen können, dass ich einmal Meeresbiologe werden würde. Erst mit ungefähr 20, als ich in einem Korallenriff schnorcheln war, hat es mich endgültig erwischt. Ich hatte plötzlich die ganze Schönheit und Vielfalt der Ozeane vor Augen. Von da an wusste ich – ich will mein Leben dem Meer widmen.

Mit Ihrem Buch »Der Mensch und das Meer« klagen Sie den rücksichtslosen Umgang der Menschen mit dem Meer an, rufen aber auch zum Handeln auf. Was waren Ihre Beweggründe, so ein Buch zu schreiben?

Ich glaube, dass nur ganz wenige Menschen erkennen, wie ernsthaft und schwerwiegend die menschlichen Auswirkungen auf das Meer sind. Selbst Experten sehen das oft nicht. Viele Wissenschaftler verstehen immer nur den kleinen Teil, den sie selbst erforschen und nicht das große Ganze. Diesen Zusammenhang wieder herzustellen – darin habe ich meine Aufgabe gesehen. Ich habe versucht, einen interdisziplinären Blick auf das Meer und seine Wandlungsprozesse aus globaler Sicht zu werfen.

Callum Roberts © Julie Hawkins

Callum Roberts © Julie Hawkins

Das Meer als Lebensraum ist eng mit den Anfängen der Menschheit verknüpft. Sie zeichnen in diesem Kontext das Bild vom Menschen als »Wasseraffen«. Was meinen Sie damit?

Die Menschen haben so viele Fähigkeiten entwickelt, die rückschauend nur dann Sinn machen, wenn man von den ersten Menschen als »Wasseraffen« ausgeht. Unser Körperfett beispielsweise ist dem eines Finnwals ähnlicher als dem eines am Land lebenden Säugetiers. Wir haben einen »Tauchreflex« – das heißt, wir halten automatisch die Luft an und unser Herz schlägt langsamer, wenn wir unter Wasser tauchen. Der aufrechte Gang kann damit erklärt werden, dass unsere Vorfahren im flachen Wasser nach Nahrung gesucht haben. Das scheint zumindest mir plausibler als die Entstehung des aufrechten Ganges durch Primaten, die sich in der Savanne von Baum zu Baum geschwungen haben. Für mich ist das einfach ein faszinierender Gedanke – dennoch bleibt es natürlich eine Theorie, die wahrscheinlich nie endgültig bewiesen werden kann.

Unerwünschter Beifang eines Krabbenfischers. Die kleinen Fische und wirbellosen Tiere werden meist tot ins Meer zurückgeworfen. © SeaWeb Marine Photobank/Stephen McGowan

Unerwünschter Beifang eines Krabbenfischers. Die kleinen Fische und wirbellosen Tiere werden meist tot ins Meer zurückgeworfen. © SeaWeb Marine Photobank/Stephen McGowan

Obwohl Wasser also so eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Menschheit gespielt hat, sind wir heutzutage dabei, die Meere mit Überfischung, Verschmutzung, Lärm und Ausbeutung zu zerstören. Könnten wir überhaupt ohne Meere leben?

Die Meere machen über 95 Prozent des Lebensraumes auf diesem Planeten aus – natürlich spielen sie alleine deshalb eine unersetzlich wichtige Rolle. Sie tragen dazu bei, dass die Erde überhaupt bewohnbar bleibt. Wenn wir das Leben in den Meeren zerstören, zerstören wir schlussendlich auch uns selbst.

Zehn Prozent der Menschen leben weniger als zehn Meter über dem Meeresspiegel. Man kann sich ausrechnen, was dies bei Tsunamis und Überflutungen bedeutet, die durch den Klimawandel noch zunehmen werden …

Leider lehrt uns die Geschichte, dass es oft erst eine große Katastrophe braucht, damit die Menschen aufwachen. Obwohl es immer mehr Naturkatastrophen gibt, die menschlich und finanziell extreme Schäden anrichten, wird trotzdem der große Zusammenhang nicht gesehen. Wahrscheinlich liegt das daran, dass es schon immer Naturkatastrophen gegeben hat und dass viele Menschen behaupten, dass das doch gar nichts Neues sei. Aber die Wissenschaft zeigt, dass hier eine Entwicklung passiert, die mit Entwicklungen der Vergangenheit absolut nichts mehr zu tun hat. Und der Mensch spielt dabei leider eine tragische Rolle.

Jeder im Meer lebende Fisch hat eine jährliche Chance von 30-60 Prozent, gefangen zu werden. Wenn dies der Wahrscheinlichkeit für einen Menschen an einer Krankheit zu sterben entspräche, hätte man wahrscheinlich schon alles daran gesetzt, diese Krankheit zu heilen.

Diese Zahlen sind sogar zu niedrig angesetzt! In sehr stark befischten Gebieten ist die Wahrscheinlichkeit für einen Fisch, durch Fischfang zu sterben, viermal so hoch wie der Tod durch Krankheit oder Alter. Das Problem ist, dass wir nicht nachhaltig fischen. Dabei wäre es so einfach: Wir fangen nur so viel Fisch, wie wieder nachwachsen kann! Außerdem bräuchten wir weniger invasive Fischfangmethoden. Schleppnetze und Schwimmbagger wühlen den Meeresboden auf und zerstören so den Lebensraum für viele Arten. Außerdem werden Tiere gefangen und getötet, die eigentlich gar nicht Ziel der Fischer sind. Diese Methoden müssen verboten werden. Momentan sind auch nur zwei Prozent der Meere geschütztes Gebiet – im Vergleich zu über 13 Prozent geschützter Landfläche. Ein Wert von 30 Prozent an Meeresschutzgebieten wäre sinnvoll. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass dieser Wert dazu führen würde, dass sich die Fischbestände und Lebensräume wieder erholen könnten. Jetzt müssen wir nur noch die Politiker davon überzeugen, dass diese Maßnahmen auch angewendet werden. Außerdem kann auch jeder einzelne etwas tun: Am wichtigsten dabei ist immer die Herkunft der Nahrungsmittel zu kennen. Wenn Firmen diese Infos nicht geben – dann fordern Sie sie dazu auf! Das ist Ihr gutes Recht als Verbraucher. Eine gute Informationsquelle sind auch Infobroschüren von Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace.

Grüne Meeresschild- kröten, gefangen im Netz. © Callum Roberts

Grüne Meeresschild-
kröten, gefangen im Netz. © Callum Roberts

Eines der letzten Kapitel in Ihrem Buch heißt »Vorbereitung auf das Schlimmste«. Was wäre denn der schlimmste Fall, der für das Meer eintreten könnte?

Wenn wir einfach so weitermachen wie bisher, wird das Meer sterben. Der Artenreichtum, all die bunten Meeresbewohner werden verschwinden und ersetzt werden durch Armeen von Quallen, Seegras und mikrobischem Schleim. Durch die Klimaerwärmung schwindet die Zahl des Planktons – und Plankton brauchen wir zum Atmen, denn er produziert Unmengen an Sauerstoff. Durch die Verschmutzung und Überfischung der Meere wird es immer weniger Nahrung für die Menschen aus dem Meer geben. Die Küstengebiete werden immer stärker verseucht, denn irgendwann kann das Meer unseren ganzen Müll einfach nicht mehr aufnehmen – ganz zu schweigen von den Ölkatastrophen und deren Folgen für Mensch und Tier.

So informativ und lesenswert »Der Mensch und das Meer« auch sein mag – nach der Lektüre bekommt man das Gefühl, dass die maritime Apokalypse nicht mehr aufzuhalten ist. Was würden Sie sagen, um Ihre Leser wieder aufzumuntern und sie dazu zu ermutigen, selbst aktiv für das Weiterleben der Meere einzutreten?

Ich bleibe optimistisch. Selbst wenn viele Probleme weiter bestehen und sogar oft noch schlimmer werden, sehe ich doch, dass immer mehr Menschen aktiv werden. Denn wir sind ja trotz allem eine erfindungsreiche und anpassungsfähige Spezies! Wenn wir alle unsere Energie auf die bestehenden Probleme lenken, werden wir das Meer retten können. Alleine schon deshalb, weil wir eigentlich gar keine Wahl haben. Ohne Ozeane wäre unsere Welt tot. Und noch liegt die Zukunft der Menschen und des Meeres in unserer Hand.

 

Callum Roberts
»Der Mensch und das Meer – Warum der größte Lebensraum der Erde in Gefahr ist«
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel 

DVA Verlag

Callum Roberts "Der Mensch und das Meer"

»Der Mensch und das Meer – Warum der größte Lebensraum der Erde in Gefahr ist« lautet der Titel des soeben auf Deutsch erschienenen Buches des Meeresbiologen Callum Roberts. Roberts beginnt mit seiner Geschichte ganz am Anfang: mit der Entstehung des Lebens auf der Erde und der enorm wichtigen Rolle, die die Ozeane dabei gespielt haben. Er beschreibt den Wandel der Meere und die dramatischen Veränderungen, die der Mensch durch sein Handeln ausgelöst hat: Plastikmüll, Öl und Chemikalien verstopfen und verunreinigen die Meere, die Überfischung lässt Arten aussterben und der Klimawandel greift unerbittlich in das fragile marine Ökosystem ein. All das beschreibt Callum Roberts sehr fesselnd und aufrüttelnd – ohne dabei auf das Aufzeigen von Handlungsalternativen zu vergessen. Denn noch ist es nicht zu spät, das Meer als unersetzlichen Lebensraum zu retten.

 

 

 

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