Nachhaltig war gestern
»Weniger schädlich reicht nicht.« Solche und viele andere Denkanreize bot der Kongress Cradle to Cradle, der am letzten Januar-Wochenende in der Berliner Urania stattfand.
»Warum denn nur klimaneutral sein?«, wettert Michael Braungart, Chemieprofessor und Vordenker von Cradle to Cradle (C2C). »Wir müssen klimapositiv werden! Es kann doch nicht sein, dass der Mensch dümmer ist als ein Baum.« Es sei noch lange kein Umweltschutz, weniger zu zerstören, betont Braungart.
Verzicht und Sparsamkeit bestimmen die Diskussion über den CO2-Fußabdruck. »Quatsch«, meint Braungart. Es gehe vielmehr um intelligente Verschwendung. Denke man bei der Entwicklung von Produkten wie Kunststoff und Textilien von Beginn an mit, wie sie in einen sinnvollen Nutzungskreislauf gebracht werden können, dann entstünden erst gar keine Müllberge an Plastikflaschen. Es würden nur noch Produkte produziert, die keine Giftstoffe enthalten, die man quasi endlos weiterverwerten kann und nicht mit großem Energieaufwand entsorgt werden müssen. Heutiges Recycling sei eine fadenscheinige Lösung, weil chemischer Sondermüll sorglos in Produkte gepackt, nie wieder sauber wiederverwendet werden kann.
»Nachhaltig« reicht Braungart, dem Ex-Greenpeace-Aktivisten und leidenschaftlichen Naturwissenschaftler nicht aus. Cradle to cradle sei mehr als nur nachhaltig. »Nachhaltig war gestern. Es geht um eine umfassendes Qualitätsverständnis.« Die Privatisierung der Klimafrage hält er für blöd, die Minimierung des CO2-Fußabdrucks auch. Denn man könne CO2 als kreislauffähigen Rohstoff begreifen, mit dem heute schlicht falsch umgegangen wird. Baut man z.B. ausgelaugte Böden mit Humus wieder auf, bindet man damit zugleich jede Menge CO2. Um das zu fördern, bedürfe es entsprechender politischer Rahmenbedingungen: Landwirtschaft darf für eine möglichst großflächige Vergiftung des Bodens nicht mehr mit Subventionen belohnt werden. Unterstützung verdient jene Form der Landwirtschaft, die Garten- und Landschaftspflege betreibt, die Biodiversität auf ihren Flächen fördert und das Grundwasser schützt.
Landwirtschaft war einmal Kreislaufwirtschaft
»Dafür brauchen wir ein neues Verständnis von Landwirtschaft als Gemeinwohlgut«, meint Hartmut Vogtmann, Wegbereiter des ökologischen Landbaus. Er fordert, dass die Landwirtschaft wieder zu ihrer ursprünglichen Kreislaufwirtschaft zurückkehrt. Das lineare Wachstumsmodell der Ökonomen ließe sich nicht auf die Landwirtschaft übertragen und hätte hier versagt. Vogtmann fordert einen Abbau schädlicher Subventionen weltweit und die Reduktion von Flächenverbrauch, einen Stopp des Artenverlusts und der Trockenlegung von Mooren. Eine Renaturierung von Mooren könne CO2 binden, rund 40 Millionen Tonnen Treibhausgase würden jährlich allein in Deutschland aufgrund der Übernutzung von Grünland und Niedermooren freigesetzt.
Tobias Bandel, Gründer von Soil & More, sieht Licht am Horizont. Neue Impulse für die Ökologisierung der Landwirtschaft kämen ausgerechnet vom Finanzmarkt. Nicht, weil die Branche plötzlich von Ökos gelenkt, sondern weil der Klimawandel zunehmend auch von großen Versicherungsgesellschaften und Unternehmensberatungen als Naturkapital Risiko angesehen wird. Und Risiko bedeutet Wertminderung. Wenn sich der Wert des Bodens mit Humusaufbau steigern lässt und dadurch Risiken minimiert werden, dann begreift das jeder Investmentbanker. Um Nachhaltigkeitsrisiken einschätzen und monetarisieren zu können, gilt es also die Anzahl der Regenwürmer pro Kubikmeter Boden in Finanzmarktzahlen umzusetzen, fordert Bandel. Biodiversität sei schwieriger zu quantifizieren als die Qualität des Bodens. Bestes Rating erhalte von ihm aber ein »Null-Schaden bei Biodiversität«. Der Agrarwissenschaftler Bandel bekommt in letzter Zeit viele Anfragen von Banken, Versicherungen und Unternehmensberatern, um die langfristige Rentabilität von landwirtschaftlichen Projekten zu bewerten.
Material in Kreisläufen denken – von Druckfarben bis Textilien
Einig sind sich die meisten ReferentInnen bei Steuerungsechanismen, die von der Politik kommen müssten. Für mehr Artenvielfalt und Bodenaufbau, für qualitativ überzeugende Produkte und Dienstleitungen brauchen wir neben der CO2-Steuer zudem eine Bepreisung von Naturverbrauch. Nur das garantiere dann den realen, den wahren Preis eines Produktes. Es sei nicht fair, miese Produkte, deren Herstellung Mensch und Natur ausbeuten, über einen geringeren Preis zu verkaufen. Damit würden Gewinne privatisiert, während die wahren Kosten die Gesellschaft bezahlt. Stattdessen sollten die Kosten für Raubbau an der Umwelt auf den Verkaufspreis gerechnet werden. Keiner könnte und wollte sich solche Produkte mehr leisten, sie würden vom Markt verschwinden. Zum Beispiel ist Recyclingmaterial aktuell teurer in der Herstellung als Material aus Primärstoffen. Auch hier wäre eine Besteuerung sinnvoll. Entsorgungskosten, zum Beispiel für Verpackungen müssten in den Preis mit einberechnet werden, dann würden sich Unternehmen und Verbraucher für Mehrweglösungen anstatt Einweg entscheiden.
Weitere Themen auf dem Kongress waren Kunststoffe neu zu denken, Textilien nachhaltig herzustellen, C2C-zertifizierte Druckfarben, sinnvolle Ernährungskonzepte, nachhaltige Lieferketten, Sharing-Modelle, die Rückgewinnung der überlebenswichtigen aber knappen Ressource Phosphor aus Abfällen sowie Kommunen und Immobilienentwickler, die sich beim Bau von Gebäuden dem Cradle-to-Cradle-Prinzip verpflichten.
Ein Beispiel für Urban Farming ist das Berliner Unternehmen Stadtfarm. Sie bildet mit ihrer so genannten Aquaterraponik einen geschlossenen Kreislauf ab und produziert mitten in der Stadt jährlich 50 Tonnen Fisch in Aquakultur. Das Wasser wird, gefiltert durch die Pflanzen, für den Anbau von 30 Tonnen Gemüse verwendet. Anschließend geht es wieder zurück in die Fischzucht. Das ganze funktioniert ohne Antibiotika, Kunstdünger und Pestizide. Die Sekem Farm in Ägypten macht Wüstenboden mit Humusaufbau und biodynamischer Bewirtschaftung wieder urbar und möchte der Verwüstung damit entgegenwirken.
Bei allen vorgestellten Themen und Technologien geht es darum, eine echte Kreislaufwirtschaft nach C2C zu erreichen, um unter anderem den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen. Dafür bedarf es eines kulturellen und gesellschaftlichen Wandels. Im Kern steht dabei ein Menschenbild, bei dem wir Menschen uns als Nützlinge auf der Erde begreifen. Bislang haben wir uns aber wie Schädlinge verhalten.
Der 6. Internationale Cradle to Cradle Kongress hat von 31. 1. bis 1. 2. 2020 in in Berlin stattgefunden. 1000 TeilnehmerInnen und 70 SpeakerInnen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik diskutierten in rund 30 Veranstaltungen die von der NGO Cradle to Cradle geforderte »echte Kreislaufwirtschaft«, um Mensch und Umwelt zu schützen bzw. beiden zu nützen. Es geht darum, mehr als einen positiven Fußabdruck zu hinterlassen. Dabei ist die Wirtschaft kein Feind der Umwelt, der Mensch wird durch angewandte Wissenschaft zu Partner der Natur. BIORAMA war Medienpartner.
Um eine echte Kreislaufwirtschaft in allen Branchen zu erreichen, fordert Nora Sophia Griefahn, Geschäftsführende Vorständin der C2C NGO:
– Produkte müssen von Beginn an neu und für ihre Nutzungsszenarien designed werden
– in der Produktion dürfen nur kreislauffähige und gesunde Materialien sowie Erneuerbare Energien verwendet werden
– soziale Standards müssen eingehalten werden.
Weitere Info unter www.c2c-ev.de