Selbst wirksam werden
Partizipation steigert die Zufriedenheit im Gemeinwesen. In Vorarlberg gibt es damit seit 2005 praktische Erfahrungen und eine Studie, die die positive Wirkung der sogenannten »Bürger-Räte« untermauert.
2013 ist offiziell zum »Europäischen Jahr der Bürgerinnen und Bürger« erklärt worden. 20 Jahre nach der Einführung der Unionsbürgerschaft wird der Fokus dieses Jahres auf den Errungenschaften für die Bürger und ihren Erwartungen für die Zukunft liegen. Im Laufe des Europäischen Jahres sollen Veranstaltungen durchgeführt werden, auf denen den Bürgern erklärt wird, wie sie ihre EU-Rechte unmittelbar nutzen können und welche Maßnahmen und Programme existieren. Ferner soll mit den Bürgern EU-weit diskutiert werden, wie die Europäische Union in der Zukunft aussehen sollte und welche Reformen ihrer Ansicht nach erforderlich sind, um Verbesserungen in ihrem Alltag zu erwirken.
Bürgerschaftliches Engagement und Selbsthilfe sind dabei wichtige Bausteine direkter demokratischer Kultur. Die Verbindung von Eigeninitiative und sozialer Verantwortung eröffnet kreative und gemeinschaftliche Lösungen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Bürger, die sich an partizipativen Verfahren beteiligen, profitieren, weil ihre Bedürfnisse und Interessen effektiver berücksichtigt werden können. Die Möglichkeit, an Planungen mitzuwirken, fördert außerdem das Gefühl der Mitverantwortung für kommunale Angelegenheiten und den Ausgleich unter verschiedenen Interessen.
Selbstwirksamkeit
Das Vorarlberger Büro für Zukunftsfragen führte 2006 in Bregenz einen Bürger-Rat zu einem lange bestehenden städtebaulichen Problem durch: Die zwölf per Zufallsauswahl ausgewählten Stadtbewohner entwickelten eine neue kreative Lösung, deren Qualität die Planer und Politiker bei der Präsentation in Erstaunen versetzte. Mittlerweile wurden in Vorarlberg, aber auch darüber hinaus, viele Bürger-Räte in verschiedenen Orten und für viele verschiedene Themen durchgeführt. Ein »Bürger-Rat« bietet eine einfache, kostengünstige und rasche Möglichkeit, Selbstorganisation und Eigenverantwortung von Bürgern zu stärken. Die Beteiligungsmethode wird seit 2005 in Österreich auf kommunaler, regionaler und landesweiter Ebene angewendet. Das Themenspektrum reicht dabei von Planungs- und Leitbildprozessen, über Bauvorhaben, Belebung des Ortes bis hin zur Anwendung mit Jugendlichen oder Müttern. Bei einer 2012 erschienenen Evaluation über fünf österreichische Bürger-Räte wurde sie als eine vielversprechende, gemeinwohlorientierte Beteiligungsmethode zur Überwindung der Kluft zwischen Bürgern und Entscheidern eingestuft.
Lernprozess
Der Bürger-Rat (»Wisdom Council«) ist ein vom US-amerikanischen Organisationsberater und Sozial-Innovator Jim Rough entwickeltes Partizipationsverfahren. Per Zufall werden zwölf Personen aus einem Bezirk, einer Stadt oder einer Region ausgewählt, um 1–2 Tage an einer möglichst offen formulierten Themenstellung zu diskutieren. Dabei wird die Moderationsmethode »Dynamic Facilitation« angewandt, welche ein assoziatives und kreatives Finden von Handlungsoptionen ermöglicht. Ein speziell geschulter Moderator hilft den Beteiligten herauszufinden, was sie wollen und wie sie auf kreative Weise gemeinschaftliche Lösungen zu scheinbar unlösbaren Problemen entwickeln können. Zugleich wird der Prozess so geführt, dass Dialogqualität mit einem hohen Grad an Zuhören entsteht. Mithilfe dieses Empowerment-Ansatzes werden bessere, schnellere und stärker konsensuale Resultate erzielt als in anderen Moderationsverfahren.
Transparenz
Die Ergebnisse des Bürger-Rats werden in einem Statement festgehalten, das öffentlich präsentiert wird. Anwesend sind neben den Teilnehmern und Moderatoren, Entscheidungsträger der Verwaltung und Vertreter aller Parteien sowie interessierte Bürger, die nicht am Workshop teilgenommen haben. Das Statement des Bürger-Rates wird präsentiert und mit den Anwesenden diskutiert und ergänzt. Danach wird der Bürger-Rat aufgelöst und eine Resonanzgruppe gebildet. Diese ist geschlossen und setzt sich aus Bezirkspolitik, Stadtverwaltung und Bürgern zusammen. Sie findet alle ein bis zwei Monate statt und bespricht die Umsetzung der Ergebnisse vom Bürger-Rat, welche reinen Vorschlagcharakter haben und für die Politik nicht bindend sind. Am Ende des Bürger-Rates steht ein neuerlicher Bürger-Rat mit anderen Teilnehmern. Somit ist es für die Bürger möglich, sich auch nur kurzfristig zu beteiligen und trotzdem gehört zu werden.
Repräsentativität
Bisherige Anwendungsbeispiele in Vorarlberg sind z.B. der regelmäßige Bürger-Rat in der Landeshauptstadt Bregenz (Seestadt-Areal) und verschiedene landesweite Bürger-Räte (z.B. im November 2012 in Kombination mit einer Landtagsenquete zum Thema Lebensqualität und Wachstum). Es ist aber auch möglich, zur Bearbeitung von speziellen Fragestellungen ganz spezifisch Zielgruppen zur Beteiligung einzuladen (z.B. Bregenzerwald, Montafon). Es hat auch schon spezielle Jugendräte (Wie geht es Jugendlichen?) oder Mütterräte (Was brauchen Mütter aus kinderreichen Familien?) gegeben. »Wenn sich die Teilnehmenden erst einmal bereit erklärt haben, bei einem Bürger-Rat mitzuwirken, dann ist anschließend die Begeisterung oft sehr hoch. Vielfach wird der Wunsch geäußert, mehr Zeit für das Projekt zu investieren und dranzubleiben. Die Erfahrung zeigt, dass die Teilnehmenden die Erfahrung machen, selbst etwas bewirken zu können. Dies ist für uns die größte Motivation, auch weiterhin in Bürger-Räte zu investieren und sie nicht nur als Möglichkeit der Bürgerbeteiligung einzusetzen, sondern allgemein als Instrument zur Aktivierung und Engagementförderung«, erklärt Michael Lederer vom Büro für Zukunftsfragen der Vorarlberger Landesregierung, das als Koordinator für die Bürger-Räte fungiert. Auch das Lebensministerium fördert die Weiterentwicklung und Durchführung von Bürger und anderen Partizipationsprojekten.
Es gibt bereits zahlreiche Instrumente und Methoden für Teilhabe und Teilnahme der Bevölkerung an Entscheidungsprozessen. Fraglich bleibt, ob die Fähigkeiten und der Wille in der Gesellschaft vorhanden sind, tatsächlich an diesen Prozessen beteiligt zu werden. Die Methode des Bürger-Rats zeigt ihre Stärken im Prozess, im Vertrauen in die Weisheit der Vielen und in der Erkenntnis, dass zufällig ausgewählte Menschen, die gemeinsam an großen Herausforderungen arbeiten, zu einem gemeinsamen Nenner kommen, der meist ganzheitlich, durchdacht und innovativ ist.
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