Buchrezension: »Jüdisches Landleben«
Vorgelesen für Geschichtsinteressierte, die mehr über die übersehene Rolle jüdischen Lebens für Westfalens Dörfer wissen wollen.
In fast jedem Dorf Westfalens marschieren Schützenvereine einmal im Jahr zu einem Kriegerdenkmal. Die Flaggen werden gesenkt, die Trommel hält inne, und begleitet vom Soldatenlied »Ich hatt einen Kameraden« wird den Opfern der Kriege gedacht – kaum aber den Opfern der Shoah. Diese Lücke in der Erinnerungskultur macht deutlich, wie oft das jüdische Leben in ländlichen Regionen aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden ist. Mit »Jüdisches Landleben: Vergessene Welten in Westfalen« füllt Gisbert Strotdrees deshalb eine Leerstelle.
Mit großer Sorgfalt und fundierter Recherche rekonstruiert er den Alltag jüdischer Gemeinden, die abseits der großen Städte ein engmaschiges Netzwerk von Beziehungen und Bräuchen pflegten. Er beleuchtet das ländliche jüdische Leben in Westfalen und öffnet ein Fenster zu einer Kultur, die über Jahrhunderte tief in die Region verwoben war. Die Darstellung der wirtschaftlichen und sozialen Rolle der jüdischen Familien, die das ländliche Leben entscheidend prägten, ist bemerkenswert.
Das Buch zeigt, wie stark jüdische Traditionen und Lebensweisen auch außerhalb der Großstädte in die lokale Kultur und Wirtschaft eingebettet waren. »Jüdisches Landleben« ist deshalb ein wertvolles Werk, das zur Wiederentdeckung und Würdigung dieser verlorenen Welten beiträgt und die Bedeutung jüdischer Gemeinden im westfälischen Raum neu ins Bewusstsein rückt. Es lädt dazu ein, über Toleranz und kulturelle Vielfalt auch in kleineren, ländlichen Communities nachzudenken.
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Gisbert Strotdrees, »Jüdisches Landleben«, Lv. Buch, 2024. | € 24