Gar nicht enzyckend
Bier wird oft als flüssiges Brot tituliert. Dem Brot als Grundnahrungsmittel täte so etwas wie das Reinheitsgebot allerdings auch gut: Eine Reise durch die unergründliche Liste der Backzutaten.
Vor wenigen Wochen besuchte ich anlässlich des Tages des Brotes den Biovollkornbäcker Waldherr im Burgenland. In seiner Backstube durfte ich miterleben, wie natürliches Brot gebacken wird. Welchen Einsatz und welcher Rohstoffe es heute noch bedarf, eine gute Mischung herzustellen und warum gutes Brot heute einfach teurer sein muss als industriell gefertigte Aufbackware. Diese beherrscht in Europa bereits den Markt.
Immer wieder betonte Clemens Waldherr, dass er gänzlich ohne zugesetzte Enzyme arbeite. Das war mir schon klar, er ist ja Biobäcker – und da haben Chemie und künstliche Zusatzstoffe nichts zu suchen in seinem Betrieb. Aber umso genauer habe ich mir fortan die Zutatenlisten oder Packungstexte der konventionellen Massenware angeschaut. Oh, und ich war positiv überrascht: Nirgendwo waren Enzyme angeführt. Wenn Bier als flüssiges Brot gilt, dann ist Brot wohl so etwas wie bissfestes Bier und dürfte auch dem Reinheitsgebot unterliegen: Mehl, Wasser, Salz und Hefe oder Sauerteig. Das braucht ein Brot und mehr nicht. Mittlerweile sind aber an die 100 Zusatzstoffe für Brote zugelassen, rund 30 davon werden üblicherweise eingesetzt: Ascorbinsäure, Säuerungsmittel, Konservierungsstoffe, Emulgatoren, Färbemittel und sogar Gips (macht Mehlmischungen rieselfreudiger) finden sich auf den Packungstexten.
Billige Brötchen mit blindem Passagier
Als zukunftsweisend in der Backindustrie gelten aber die Enzyme. Ihr Markt wird mittlerweile auf weltweit fast fünf Milliarden Euro geschätzt. Aber wozu benötigt unser Brot denn überhaupt Enzyme, Proteine, die von der chemischen Industrie zumeist aus Mikroorganismen gewonnen werden? Die Erzeuger versprechen bessere mechanische Toleranz und einfachere Verarbeitung der Mehle sowie bessere Verarbeitungseigenschaften der Teige. Für den Industriebetrieb bedeutet das schnellere maschinelle Fertigung, längere Haltbarkeiten oder auch bessere Färbung. Auf den Punkt gebracht: mehr Geld für weniger Arbeit.
Vom Einsatz der Enzyme erfährt der Konsument allerdings nichts. Diese müssen, ähnlich wie Mono- oder Diglyceride sowie Emulgatoren, nicht deklariert werden, weil die Stoffe nach dem Backen keine technologische Wirksamkeit mehr aufweisen oder Rückstände nicht mehr nachweisbar sind. Zudem müssen Zusatzstoffe bei loser, unverpackter Ware – und so wird Gebäck ja zumeist in den Backstuben, Bahnhofshops oder Tankstellen verkauft – überhaupt nicht angeführt werden.
Nun ist die Wirkung der Enzyme in diesen Anwendungen noch nicht gänzlich erforscht. Wahr ist zumindest, dass jede Eiweißverbindung allergische Reaktionen nach sich ziehen kann. »Besonders bei Bäckern sind Enzymallergien schon gefunden worden«, sagt Clemens Waldherr und ist stolz, dass er seinen Broten statt Zusatzstoffen einfach nur natürliche Zutaten, handwerkliches Geschick und viel Zeit gibt. Und mehr will ich in meinem täglichen Brot auch nicht haben.