Braune Monokultur in Jamel

Foto: Oliver Weber, Flickr, CC BY-SA 2.0

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Im norddeutschen Jamel steht ein Wegweiser. Darauf zu lesen: „Braunau a. Inn 855 km“. Als „Nazi-Dorf“ ist Jamel zu zweifelhaftem Ruhm gelangt. Hier lebt auch das Ehepaar Loymeyer, das sich seit Jahren vehement gegen die Gesinnung ihrer Nachbarschaft auflehnt. Diesen Sommer ist ihre Scheune abgebrannt.

Im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, zwischen Hamburg und Rostock, liegt das 40- Seelen-Dorf Jamel. Auf den ersten Blick ein gänzlich unspektakulärer Ort, umgeben von weiten Wiesen und Wäldern. Wäre da nicht der Wegweiser, der Richtung Braunau am Inn zeigt. Oder das ebenso zentral platzierte Wandgemälde, das eine weiße Familie abbildet. Daneben der Schriftzug: Dorfgemeinschaft Jamel. Frei. Sozial. National.

Bereits im Jahr 2004 sind Birgit und Horst Lohmeyer von Hamburg hierher gezogen, in ein idyllisches Forsthaus an der Mecklenburger Ostseeküste. „Wenn man ein halbes Leben lang in der Großstadt lebt, aber ein naturverbundener Mensch ist, dann beginnt man früher oder später, den Blick auf’s Land schweifen zu lassen“, erklärt Birgit Lohmeyer, studierte Erziehungswissenschafterin und Thriller-Autorin, die Entscheidung für den Lebenswandel.

Seit ihrem Einzug hat sich die Nachbarschaft in Jamel allerdings drastisch verändert. Es habe zwar schon damals einen bekennenden Neonazi im Dorf gegeben, aber dadurch wollte sich das Ehepaar nicht aufhalten lassen, so Lohmeyer. Der besagte Bewohner, Eigentümer eines Abbruchunternehmens, stamme aus der Freien Kameradschaftsszene und sei später auch in die NPD eingetreten. In den Folgejahren seien immer mehr Gesinnungsgenossen nachgezogen, nachdem er begonnen habe, die Immobilien im Dorf mehr und mehr aufzukaufen. „Wir vermuten auch, dass die Finanzmittel dafür nicht aus seinem Unternehmen stammen, sondern parteienfinanziert sind“, sagt Birgit Lohmeyer. Die Stimmung im Dorf ist seit jeher angespannt.

Foto: Oliver Weber, Flickr, CC BY-SA 2.0

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„Wir werden also weggewunken, sozusagen.“

Begegnungszonen zwischen dem Ehepaar Lohmeyer und der übrigen Nachbarschaft existieren im Prinzip nicht. Das Dorf besteht aus 10 Häusern, öffentliche Stellen gibt es hier nicht. Im Grunde fährt man nur mit dem Auto aneinander vorbei. Gestisch kommentiert werden die Lohmeyers dabei allerdings schon. „Seit ein oder zwei Jahren haben die Nazis die Taktik entwickelt, immer zu winken, wenn sie uns sehen“, schildert Birgit Lohmeyer, „wir werten das aber nicht als freundliche Geste sondern als Signal, dass sie uns wahrnehmen und dass wir verschwinden sollen. Wir werden also weggewunken sozusagen.“

Im letzten August ist dann die Scheune der Lohmeyers bis auf den Grund abgebrannt. Das Ehepaar steht seither unter Polizeischutz. Die Behörden ermitteln wegen vorsätzlicher Brandstiftung, bislang wurde kein Täter ausfindig gemacht. Der Konflikt in Jamel hat einen neuen Höhepunkt erlangt. Im Dorf selbst ist es seit dem Brand aber ruhiger geworden. „Der Brandanschlag auf unsere Scheune hat auch das Dorf in einen Zustand der Schockstarre versetzt“, sagt Birgit Lohmeyer, „die halten momentan sehr still, beziehungsweise, wenn sie was machen, dann fahren sie zu den Aufmärschen hier im Lande und demonstrieren für ihre Sache.“ Und solche Aufmärsche gibt es gerade auch jetzt zuhauf. In größeren Städten, wie etwa dem nahegelegenen Rostock, merkt man seit Beginn der sogenannten Flüchtlingskrise eine spürbare Verschärfung im Ton. Nicht nur verbal. Im „Nazi-Dorf“ Jamel allerdings, wo man – beinahe – unter sich ist, scheint plötzlich wieder eine schaurige Friedlichkeit eingekehrt zu sein.

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Foto: Oliver Weber, Flickr, CC BY-SA 2.0

Die Toten Hosen als Unterstützer

Die Symboliken im Dorf, wie der Wegweiser oder das Wandgemälde, stünden nicht in Konflikt mit dem deutschen Strafgesetzbuch (Tatbestand des § 86a StGB), da es sich nicht um Zeichen handle, die jemals von einer NS-Organisation verwendet wurden, erfahren wir auf Anfrage von der Staatsanwaltschaft Schwerin, welche für Jamel zuständig ist. Die politische Aussage dieser Kennzeichen sei zwar eindeutig, der Tatbestand richte sich aber primär nicht gegen individuelle Meinungsäußerungen, sondern diene dem Staatsschutz. Das Dorf Jamel stellt also offiziell keine Bedrohung für den Staat dar. Die Lohmeyers sind damit auf sich gestellt und müssen weiterhin mit dieser Art von Meinungsäußerung leben.

Kleinkriegen lassen sich die beiden dennoch nicht. Bereits seit 2007 veranstalten sie auf ihrem 7.500 Quadratmeter großen, parkartigen Grundstück, das von Wiesen, Feldern und Wäldern umgeben ist, ein Musikfestival gegen Rechts, das Forstrock. Was als kleines Sommerfest für Freunde begonnen hat, ist von Jahr zu Jahr gewachsen. Auch in diesem Jahr, unmittelbar nach dem Scheunenbrand, ging das Open Air-Festival über die Bühne. Zu aller großen Überraschung kamen dieses Mal sogar die Toten Hosen spontan auf einen Auftritt vorbei. „Seit Jahren haben wir uns gewünscht, dass eine Band in dieser Größe nach Jamel kommt und ihre Unterstützung kundtut“, freut sich Birgit Lohmeyer. Mit 1.200 Besuchern war das Festival 2015 erstmals ausverkauft – ein voller Erfolg. Und wichtig für die Belebung der Region.

In ganz Mecklenburg-Vorpommern ist die NPD auffallend aktiv. Birgit Lohmeyer erklärt sich das durch die sehr dünne Besiedelung des Bundeslandes, teilweise verwaiste Ortschaften. Junge Menschen werden hier bei der Arbeitssuche nicht fündig und müssen wegziehen. Zurück bleiben die Alten, die sich teils bereits von der Gesellschaft alleingelassen fühlen. „Auf diesem Nährboden kann die NPD toll andocken“, schließt Lohmeyer. Darum verfolgt das Ehepaar seit längerer Zeit die Taktik, möglichst viel Öffentlichkeit ins Dorf zu holen, um mit der Abschottung zu brechen. Dadurch wird ihr Grundstück nicht bloß einmal im Jahr Austragungsort des Forstrock Festivals. Auch in den restlichen Monaten wird es gerne zur Verfügung gestellt, ob für Kunstausstellungen oder auch als Destination für Wandergruppen. Auch eine Ferienwohnung gibt es auf dem Grundstück der Lohmeyers. Sie wird regelmäßig vermietet.

Foto: Oliver Weber, Flickr, CC BY-SA 2.0

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Der Termin für das nächste Forstrock Festival 2016 steht bereits fest. „Wir hoffen schon, dass diese Nazifamilien irgendwann keine Lust mehr haben und wegziehen und mittelfristig eine andere Ortsstruktur entsteht“, sagt Birgit Lohmeyer, „diese braune Monokultur kann sich niemand wünschen.“ Das Ehepaar hofft darauf, dass früher oder später eine öffentliche Einrichtung nach Jamel kommt, damit der Ort künftig tagtäglich von vielen Menschen von außerhalb frequentiert werde und die Nachbarschaft folglich nicht mehr ungebremst schalten und walten könne wie bisher.

Der Wiederaufbau der Scheune muss noch auf sich warten. Ein Ausbau für eine überdachte, ganzjährige Festivallocation war schon lange vor dem Brand geplant gewesen. Für die Umsetzung fehle momentan allerdings noch die finanzielle Unterstützung. Doch wenn die erst einmal gegeben ist, kann es losgehen mit der Kulturscheune gegen Rechts in Jamel.

Website: Forstrock Festival Jamel

Website Forsthof Jamel

 NDR Panorama Reportage: „Im Nazidorf“

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