Die Biosphäre am Wiener Stadtrand

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Seit Frühjahr 2015 ist Andrea Moser Direktorin des Biosphärenpark Wienerwald

 

Wie krank oder wie gesund ist der Wienerwald? Warum entstehen im Wiener Umland gerade 37 Urwälder? Und warum brauchte es dazu einen „Biosphärenpark Wienerwald“? Andrea Moser, seit kurzem Direktorin des vor 10 Jahren ausgerufenen Biosphärenparks im Interview.

BIORAMA: Es gibt wohl genügend Menschen, die noch nie vom Biosphärenpark Wienerwald gehört haben. Wie lässt sich denen denn in aller Kürze erklären, wofür es diese Einrichtung braucht?

Andrea Moser: Ein Biosphärenpark ist ein von der UNESCO ausgerufenes Schutzgebiet, bei dem im Gegensatz zum Nationalpark nicht nur die Natur, sondern auch der Mensch im Mittelpunkt steht. Wir haben es also mit keiner Käseglocke zu tun, sondern es soll eine wirtschaftliche, ökologische und eine soziale Entwicklung passieren. Dabei gibt es unterschiedlich klassifizierte Gebiete – Kernzonen, Pflegezonen und Entwicklungszonen. Kernzonen sind Gebiete, in denen es keinen menschlichen Eingriff gibt. Die gibt es in Nationalparks auch, wobei die dort 75 Prozent der Flächen ausmachen, im Biosphärenpark Wienerwald sind es 5 Prozent, auf denen die Natur Vorrang hat und die „Urwälder von morgen“ entstehen. Bei uns machen die Entwicklungszonen 75 Prozent aus, das sind jene Flächen, auf denen der Mensch lebt, wirtschaftet und die Landschaft prägt. Pflegezonen sind Kulturlandschaften – wie Wienerwaldwiesen oder Weingärten – die durch nachhaltige Bewirtschaftung erhalten werden. Der Wienerwald ist ja ein immens wichtiges Erholungsgebiet und gilt zu Recht als „die grüne Lunge Wiens“. Er steht aber unter einem immer höheren Nutzungsdruck. Vor mehr als zehn Jahren hat man auch überlegt, einen Nationalpark einzurichten, das hat sich aber als nicht realisierbar herausgestellt – hier leben immerhin 750.000 Menschen. Das UNESCO-Programm heißt nicht zufällig „Man and the biosphere“, es sieht den Menschen als gestaltendes Element an. Nichtsdestotrotz ist ein Biosphärenpark eine Schutzkategorie. Hätte man damals nichts unternommen, wäre der Nutzungsdruck heute noch viel stärker. Die Institution Biosphärenpark bietet ein Instrument, das dagegen hält und einen Erhalt des Wienerwalds auch für zukünftige Generationen garantiert.

Wer steckt denn hinter dem Biosphärenpark, wer sind die Träger?

Die Biosphärenpark Wienerwald GmbH wurde 2007 als gemeinnützige Gesellschaft gegründet und ist für den Betrieb und die Weiterentwicklung des Biosphärenparks verantwortlich. Gesellschafter sind die Länder Niederösterreich und Wien. Konkret Stadträtin Ulli Sima und Landesrat Stefan Pernkopf – also die jeweiligen Personen, die das Umweltressort innehaben. Daneben gibt es einen Aufsichtsrat mit jeweils zwei Vertretern aus den beiden Ländern. Der Wiener Teil des Biosphärenparks ist mit den Bezirken 13, 14, 16, 17, 18, 19 und 23 viel kleiner als der niederösterreichische. Der Biosphärenpark Wienerwald wird von den beiden Ländern aber zu gleichen Teilen finanziert.

Das erfordert eine Menge diplomatisches Gespür, nicht wahr?

Diplomatisches Gespür ist immer wichtig, klar. Wobei was den Biosphärenpark betrifft beide Länder eindeutig an einem Strang ziehen. Das belegen alle Projekte der vergangenen zehn Jahre.

Nicht nur Wien wächst, auch das Umland. Wie geht man damit um?

Das ist klar die Schwierigkeit. Wir haben keine Parteienstellung oder Behördenfunktion, die Raumordnung fällt in den Kompetenzbereich der Stadt und des Landes. Das erspart uns aber auf der anderen Seite die schwierige Rolle, die Biosphärenparkverwaltungen beispielsweise in Deutschland haben, auf der einen Seite innovativ und kooperativ zu sein und gleichzeitig von der Bevölkerung aber als die – verhindernde –Behörde wahrgenommen zu werden.

Sie müssen sich also auf die Planung und Weitsicht der beiden Länder verlassen.

Ja, es gibt aber viele Landschafts- und Naturschutzgebiete. Außerdem unterstützen wir mit unserer Monitoring-Arbeit die Experten auf beiden Seiten. Da gibt es ein gutes und permanentes Zusammenspiel. Aber wir können Bürgermeistern natürlich nicht vorschreiben, dass sie bestimmte Flächen innerhalb des Siedlungsgebiets nicht bebauen dürfen. Was wir aber beständig tun: Wir machen auf sensible und wertvolle Flächen aufmerksam.

Rund um den Johannser Kogel: eine der 37 "Kernzonen" des Biosphärenpark

Rund um den Johannser Kogel: eine der 37 „Kernzonen“ des Biosphärenpark

Die von Ihnen genannten 5 Prozent Kernzonen des Biosphärenparks gelten als die „Urwälder von morgen“. Wie kann man sich die vorstellen?

Ganz genau sind es 37 Kernzonen quer verteilt über den Wienerwald, für die jeweils mit den Grundbesitzern vereinbart ist, dass dort keine Nutzung mehr stattfindet. Sie sind nicht eingezäunt, man darf sich dort auf markierten Wegen aufhalten. Die Menschen werden aber angehalten, sich nicht abseits dieser Wege aufzuhalten, denn diese Bereiche sollen auch Rückzugsraum für Wildtiere gewährleisten. Alle markierten Wege werden gepflegt, darüber hinaus entwickelt sich in den Kernzonen aber ungehindert die Natur. Die größte Kernzone ist rund um den Lindkogel in Bad Vöslau. Dort haben wir gerade ein erstes Monitoring abgeschlossen und den Grundeigentümern präsentiert.

So hat sich zum Beispiel bei den Vögeln gezeigt, dass nur 10 Jahre seit Ausweisung der Kernzonen und Außernutzungstellung der Wälder ein positiver Effekt feststellbar ist und z.B. auch diverse Pilz-Erstfunde nachgewiesen werden konnten. Das Totholz wird auch nach Windwürfen im Wald belassen, auch hier ist die natürliche Dynamik bereits sichtbar.
Rund um alle Kernzonen organisieren wir immer wieder auch Aktionstage. An Sonntagen werden dann die Besucher gezählt, angesprochen und aufgeklärt. Es geht darum, für unsere Anliegen zu sensibilisieren.

Gibt es da seitens der Bevölkerung Verständnis?

Sehr viel, aber nicht immer. Vielen Menschen interessieren sich dafür, was da passiert. Manchen ist es aber auch egal, die ärgern sich, dass sie manche Flächen nicht mehr betreten sollen und fragen sich „Wofür brauch ma des?“

Ist angedacht, weitere Kernzonen einzurichten oder bestehende auszuweiten?

Nein, der Biosphärenpark bleibt so wie er 2005 mit der UNESCO vereinbart wurde. Eine Erweiterung ist nicht geplant, auch das Flächenverhältnis soll insgesamt gleich bleiben. Jetzt, nach zehn Jahren waren wir erstmals dazu angehalten, zu evaluieren und der UNESCO zu berichten. Und wir haben erfreuliche Nachrichten: es ist uns z.B. gelungen bei Veranstaltungen, Exkursionen, Mitmach-Aktionen und ähnlichem jährlich mehr Personen zu erreichen und über den Biosphärenpark zu informieren.
Anlässlich des GEO Tags der Artenvielfalt des deutschen GEO Magazins, veranstaltete der Biosphärenpark heuer zum 9. Mal ein großes Fest der Artenvielfalt. Im Laufe der letzten Jahre konnten dabei mehr als 10.000 Menschen direkt angesprochen werden.

Wir haben zahlreiche in- und ausländische Besucherexkursionen durch den Wienerwald geführt, darunter Gruppen aus China, Kanada, Australien, Laos, Vietnam, Ukraine, Georgien und Kamerun.

Im Zuge von Mitmach-Aktionen wie zum Beispiel unseren Kursen zum Bau von Trockensteinmauern wurden in Legesteintechnik 200 Laufmeter Mauer gebaut, die einen wertvollen Lebensraum für z.B. die Smaragdeidechse darstellen. Oder es wurden in den letzten vier Jahren mehr als 9.000 Arbeitsstunden von freiwilligen Helfern – darunter auch viele Schülerinnen und Schüler – geleistet, um das Zuwachsen von Trockenrasenflächen zu verhindern. Auch hier wird der Lebensraum von gefährdeten Tier- und Pflanzenarten z.B. verschiedenen Orchideen erhalten oder wiederhergestellt. Wir haben wichtige Basisdaten erhoben, die besten regionstypischen Weine ausgezeichnet und unzählige Biosphärenpark-Schulstunden abgehalten. All das und vieles mehr werden wir in unserem Evaluierungsbericht an die UNESCO in Paris übermitteln.

Sie sind erst seit kurzem Direktorin. Kann man als Managerin eines Biosphärenparks auch eine eigene Handschrift einbringen?

Ja, und das ist durchaus auch geplant. Wobei bereits in den vergangenen drei Jahren in einem „Zukunftskonzept 2020“ mehr als 200 Ideen erarbeitet wurden, von welchen nun 22 Projekte konkret in den kommenden Jahren umgesetzt werden sollen. Das ist natürlich meine Ausgangsbasis. Darüber hinaus möchte ich mit meinem Team weitere Schwerpunkte setzen, etwa die Bewusstseinsbildung noch weiter verstärken. Sie haben es eingangs ja erwähnt: Es gibt den Biosphärenpark Wienerwald jetzt 10 Jahre, viele haben trotzdem noch nie von seiner Existenz gehört. Auch nach 10 Jahren bleibt das wichtigste Thema, die Menschen ins Boot zu holen. Wir werden ganz klar noch stärker an Schulen gehen, wollen Kinder erreichen, werden verstärkt Exkursionen anbieten. Außerdem laufen gerade Analysen zum Nutzungsdruck, wovon wir schließlich ableiten müssen, was das für uns konkret bedeutet. Es geht ja nicht nur um Kernzonen, sondern auch um den Erhaltung der Kulturlandschaften. Seit kurzem läuft das Programm „Biosphere Volunteer“ – wo wir uns mit Freiwilligen um den Erhalt und die Pflege der selten gewordenen, wertvollen Trockenrasenflächen oder Hutweiden kümmern. Da führen wir mit Freiwilligen Pflegemaßnahmen durch, in denen wir Gehölze entfernen, wobei eine wichtige Sensibilisierung stattfindet.

Auch regionale Produkte aus kleinstrukturierter Landwirtschaft sind mir ein Anliegen. Wir wollen den Betrieben helfen, die Wertschöpfung zu erhöhen. Schon jetzt haben wir tolle Partnerbetriebe, die gewisse Kriterien erfüllen müssen – derzeit sind übrigens alle davon Bio-Betriebe. Angedacht ist auch, den Biosphärenpark als Plattform für regionale und Bio-Produkte anzusehen. Das wäre mein langfristiger Wunsch.

Freiwillige am Werk: Gemeinsam werden die ökologisch wertvollen Trockenrasenflächen freigehalten

Freiwillige am Werk: Gemeinsam werden die ökologisch wertvollen Trockenrasenflächen freigehalten

Wie krank oder wie gesund ist der Wienerwald?

Der Wienerwald ist sehr gesund. Aber es handelt sich hier nicht um einen abgeschiedenen Urwald im Amazonasgebiet oder einer Hochgebirgsregion im Himalaya. Der Biosphärenpark Wienerwald ist von Straßen durchzogen, erfährt einen großen Nutzungsdruck von über 750.000 Menschen und liegt nicht nur am Rande, sondern ist Teil einer Millionenstadt. Und gerade das macht ihn – auch international betrachtet – so besonders und da liegen unsere speziellen Herausforderungen – alle diese Gegebenheiten und Ansprüche nachhaltig in Einklang mit der Natur zu bringen. Aber dem Wienerwald geht es gut. Wir hatten vor kurzem Gäste aus Rumänien im Biosphärenpark, aus Bukarest. Die waren ganz außer sich, dass ein in die Stadt übergehender Wald so gesund aussehen kann. Im Umkreis von Bukarest wird der Wald abgeholzt, an den schönen Lagen lassen Reiche ihre Villen bauen. Die Rumänen können gar nicht glauben, dass bei uns nicht überall Villen stehen. Wir haben da zum Glück ein strenges Forstgesetz mit einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung. Da können wir für viele Länder Vorbild sein.

Im Waldviertel gibt es Überlegungen, einen Teil des nördlichen Waldviertels in einen Biosphärenpark umzuwandeln. Welche Chancen hätte das, welche Risiken sehen Sie darin?

Ich habe gehört, dass so etwas geplant ist, ja. Und auch, dass auch maßgebliche Betriebe dahinterstehen – was ich als sehr große Chance erachte. Dort geht‘s ja nicht nur um die Natur und um die Landschaft, sondern den Menschen auch wirtschaftlich eine Perspektive zu bieten. Wenn dort, wie ich gehört habe, Kastner und Sonnentor und ähnliche Leitbetriebe hinter der Idee stehen, können die schon einiges bewegen. Als Risiko bleibt immer die Akzeptanz der Bevölkerung. Die Bevölkerung muss man wirklich gut abholen, ihnen den Sinn und den Wert und den Nutzen eines solchen Biosphärenparks vermitteln. Persönlich würde ich sagen, dass ein Biosphärenpark Waldviertel sinnvoll wäre. Entscheiden muss das aber das Land Niederösterreich und die UNESCO-Kommission.

Auf der östlichen Seite Wiens, im Nationalpark Donau-Auen gibt es das Problem, dass die Donau immer tiefer wird, und die Auwälder dadurch langsam austrocknen. Gibt es im Westen Wiens, im Biosphärenpark Wienerwald, auch ein solches, fundamentales Problem?

Da fällt mir Gottseidank kein so fundamentales Problem ein! Ich sehe im Wienerwald allerdings ein strukturelles Problem, z.B., dass immer mehr Landwirte ihren Betrieb aufgeben bzw. die nächste Generation in anderen Berufen Fuß fasst. Dadurch könnten wir langfristig wertvolle Kulturlandschaftsflächen verlieren.

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