Biohacking: Basteln am Erbgut
In der jungen Disziplin der Synthetischen Biologie scheint sich eine Praxis des Do-it-yourself-Forschens durchzusetzen. Die Software des Lebens steht erstmals zur Verfügung, um von enthusiastischen Amateurbiologen im Heimlabor umgeschrieben zu werden.
Heutzutage hätten es Landwirte wahrscheinlich schwer, »nuklearen Reis« oder »atomar angereicherte Tomaten« zu verkaufen. Ende der 50er Jahre waren das aber Verkaufsschlager. Pflanzenzüchter in den USA nutzten damals radioaktive Kobalt-Strahlen, um Mutationen im Erbgut von Knollen und Samen zu erzeugen. Sie wollten neue Pflanzen schaffen, die robuster waren und mehr Ertrag brachten. Und sie hatten Erfolg: In Illustrierten bewarben sie ihr bestrahltes Saatgut mit heute grotesk anmutenden Slogans, fanden begeisterte Abnehmer und so gelangten mutierter Reis, Weizen und Mais sowie viele bestrahlte Obst- und Gemüsesorten auf den Markt. 1959 gründete die britische Autorin Muriel Howorth die Atomic Gardening Society, deren Mitglieder bestrahltes Saatgut pflanzten, die Ergebnisse protokollierten auf gemeinsamen Dinner-Partys verspeisten. Dabei erfreute man sich an bananenförmigen Tomaten und andere Absonderlichkeiten. Durch zunehmend kritische Analysewerte ist die Atomgärtnerei seit den 70er Jahren aus der Mode gekommen, geblieben sind jedoch Pflanzensorten, die auf die mehr als 3.000 Strahlenmutationen jener Zeit zurückgehen. Bis heute zählt die Mutationszüchtung zu den klassischen Züchtungsverfahren, die keinen strengen Zulassungsprotokollen wie die Gentechnik folgen muss.
Baukasten-Spiele
Synthetische Biologie nennt sich eine neue Disziplin, bei der chemische Moleküle mit Ingenieurmethoden zu biologischen Strukturen kombiniert werden. Dabei geht es um eine Form der Gentechnik, bei der nicht mehr nur vorhandene Organismen verändert werden – wie das bei genetisch veränderten Pflanzen der Fall ist –, sondern die Strukturen des Lebens von Grund auf wie mit einem Baukasten zusammengefügt werden. Dass dabei das Konstruieren und nicht das Analysieren im Vordergrund steht, übt eine besondere Anziehungskraft auf die neuen genetischen Hobby-Gärtner aus: Amateurbiologen, sogenannte Biohacker, experimentieren in Küchenlabors und Garagenwerkstätten mit Pipetten, Brutschränken und Mikroskopen. Ähnlich wie man mit einem Chemiebaukasten Substanzen verrühren und Messungen durchführen kann, arbeiten die Freizeitforscher mit biologischen Zutaten – z.B. mit den eigenen Genen oder mit der DNA von Bakterien – und mit Gentechnik-Gerätschaften. Sie schleusen Fische-Gene in Bakterien ein, um diese zum Leuchten zu bringen oder suchen im eigenen Erbgut nach Mutationen. Die für die Experimente nötigen Gen-Schnipsel werden per Internet-Bestellung kostengünstig von einer Biotech-Firma geliefert, Labor-Chemikalien findet man im Drogeriemarkt oder bestellt sie ebenfalls online. Als Vorlage dient eine im Internet verfügbare Datenbank normierter DNA-Bausteine, die sich zu Schaltkreisen verkoppeln lassen. Und auch das Laborzubehör wird immer billiger: Der unerlässliche PCR-Kopierer, eine Maschine, die mittels Polymerase-Kettenreaktion DNA-Abschnitte vervielfältigt und so die Sequenzierung von Genomen erst möglich macht, wird von einer kleinen Biotech-Firma aus Kalifornien in einer Open Source-Variante bereits um 500 Dollar angeboten. Zentrifugen, Schüttelmaschinen und Sterilisatoren kann man oft günstig auf eBay finden – mit einer Gesamtinvestition von 3.000 Euro ist ein solches Minimallabor bereits voll funktionstüchtig.
Freies Forschen
Der Geburtsort der Biohacker-Bewegung liegt an der Ostküste der Vereinigten Staaten, am MIT in Cambridge, Massachusetts. Seit 2003 findet am Technik-Institut der Universität ein Wettbewerb statt, der jedes Jahr über 100 Studententeams von Universitäten aus aller Welt anzieht: die International Genetically Engineered Machines Competition (iGEM). Die Teilnehmer programmieren dabei aus Gen-Bausätzen das Erbgut von Bakterien, Hefepilzen oder anderen einfachen Organismen so um, dass diese eine neue Fähigkeit oder Eigenschaft bekommen. 2010 war ein deutsches Team mit seinem therapeutischen Virus zur gezielten Abtötung von Tumorzellen siegreich. Viele haben sich seither von diesem Prinzip des Vereinfachens anstecken lassen und die frohe Botschaft, dass Gentechnik für jedermann machbar ist, hinaus auf die Straße getragen. Internet-Gruppen wie DIY-Bio teilen ihr Wissen über Online-Diskussionsforen und sehen sich in der Tradition der Computerhacker der 80er Jahre. Biohacker sehen im Erbgutmolekül DNA nichts anderes als einen Programmcode, und Zellen sind die Prozessoren, die den Code zum Leben erwecken. Sie hoffen, dass die DIY-Bewegung der Gentechnik ähnliche Impulse geben kann, wie es die Hacker mit selbst gebauten PCs und Betriebssystemen für die Computerindustrie getan haben. Es könnte ja jederzeit gelingen, kleine Organismen herzustellen, die sich beispielsweise in CO2-Fresser verwandeln, um die Treibhausgase aus der Erdatmosphäre filtern. In erster Linie aber geht es den Akteuren um Selbstbestimmung und den Spaß an der Sache.
Forschung und Sicherheit
In den USA sind solche privaten Biotech-Experimente legal und auch außerhalb von spezialisierten Labors erlaubt. In der EU sind allerdings jegliche Experimente, die das Erbgut von Lebewesen verändern, außerhalb von genehmigungspflichtigen Labors untersagt. Das Gentestgesetz schreibt vor, dass solche Untersuchungen nur von Experten durchgeführt werden dürfen. Die US-Behörden stufen Biohacker jedoch nicht als Gefahr für die Öffentlichkeit ein. Die Sicherheitsrisiken der DIY-Biologie seien identisch mit den Sicherheitsrisiken akademischer und industrieller Forschung. Es bestehe in beiden Sphären die Möglichkeit, dass die technischen Entwicklungen von Kriminellen missbraucht werden. Doch dem sind Experten zufolge vor allem technische Grenzen gesetzt: Nur in Speziallabors ist es bislang gelungen, Viren zu rekonstruieren, die z.B. Pocken auslösen können – dergleichen sei im Heimlabor nicht machbar. Die Biotech-Aktivisten von www.DIYbio.org etwa tauschen sich selbst innerhalb der Community über eine eigene Version der Hackerethik aus, um einen gültigen Verhaltenskodex zu entwickeln.
Die Demokratisierung des biologischen Wissens hat inzwischen unaufhaltsam begonnen. Bis vor wenigen Jahren war Gentechnik allein Forschern in Laboren mit Millionenbudgets vorbehalten. Dagegen stehen im Internet schon heute unzählige wissenschaftliche Informationen frei zur Verfügung. Privates Biohacking könnte durch seinen Open-Source-Gedanken zu einem neuen öffentlichen Verantwortungsbewusstsein in der biologischen Forschung beitragen, die dann nicht mehr ausschließlich von patent- und profitgetriebenen Biotech-Riesen wie Monsanto dominiert würde. Und auch die Heilung von seltenen Krankheiten, die von diesen Konzernen als unrentabel auf das Forschungs-Abstellgleis verschoben wurden, könnte so wieder neuen Antrieb bekommen.
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