Weniger wird mehr

In Österreich wird mehr als die Hälfte des Biofleischs über Aktionen und Rabatte verkauft.

Rohes Fleisch in einem Teller.
»Wir versuchen möglichst das ganze Schwein biologisch zu verkaufen«, sagt Vermarkter Hans Ollmann. Bis auf Köpfe, Schwarten, manche Innereien und Knochen gelinge das meist – auch dank Aktionen. Bild: Istock.com/Yelena Yemchuck.

Es war ein unscheinbarer blassgrüner Balken, der Ende August für Aufsehen sorgte, als in Wien VertreterInnen der Biobranche zusammentrafen, um sich über aktuelle Marktentwicklungen auszutauschen. Eigentlich waren die Zahlen aus der neuen »RollAMA«-Erhebung durchaus erfreulich: Der Absatz von Bioprodukten in Österreich ist stabil; überraschend stabil angesichts von Krise, Teuerung und Rekordinflation. Und vor allem im direkten Vergleich zu Deutschland, wo die zuletzt erfolgsverwöhnte Branche teilweise arge Einbrüche erlitt. Dagegen in Österreich: da und dort ein halber Prozentpunkt mehr, anderswo ein Prozent weniger; unterm Strich: stabil. Auffällig allerdings dieser eine Balken bei der Aktionsware und der Warengruppe Fleisch: Von 2022 bis 2023 schnellte er von 42,9 auf 52,6 Prozent hoch. Ein Plus von 10 Prozentpunkten. Es besagt, dass mittlerweile mehr als die Hälfte des wertmäßig in Supermärkten verkauften Geflügels, Rind– und Schweinefleischs im Rahmen von Aktionen gekauft wird. Was als Aktion erachtet wird, schätzen die für die Studie der österreichischen Bundesbehörde Agrarmarkt Austria (AMA) repräsentativ für die Gesamtbevölkerung befragten Personen selbst ein: »Es wird erfasst, was die Haushalte als Aktion angeben und nach dem Einkauf als solche empfunden haben«, sagt Micaela Schantl, die bei »AMA Marketing« die Marktforschung leitet. Klassische, im Flugblatt beworbene Sonderpreise gehören da ebenso dazu wie vergünstigt verkaufte Ware am Tag des Verfalls. Und auch die in Österreich weit verbreiteten »–25%«-Sticker, die KonsumentInnen selbst auf bis zu vier »Lieblings-Produkte« ihrer Wahl kleben können. »Solche 25%-Sticker klebt man natürlich eher auf teure Produkte und nicht auf Milch, wo die Ersparnis nur ein paar Cent beträgt. Bei Fleisch macht so ein Sticker ja gleich einmal ein paar Euro aus«, sagt Schantl.

»Gerade beim Fleisch sind Aktionen natürlich kritisch zu sehen, wir wollen den Menschen ja beibringen, auf Tierwohl und Qualität zu achten«.

Micaela Schantl, Marktforscherin der AMA Marketing

Ist diese Entwicklung prinzipiell fragwürdig, weil dadurch Fleisch entwertet wird? Für Eva Rosenberg, die Direktorin der Tierschutzorganisation Vier Pfoten, ist die Sache eindeutig: »Grundsätzlich gilt, dass bei allen Erklärungen für Preisrabatte immer das Argument der Preislatte im Kopf der KonsumentInnen überwiegt. Es werden wertvolle Lebensmittel, für die ein Tier sterben musste, verramscht, ihnen wird jede Wertigkeit abgesprochen.« Als problematisch schätzt das auch »AMA-Marketing« ein. »Gerade beim Fleisch sind Aktionen natürlich kritisch zu sehen«, sagt Marktforscherin Schantl, »wir wollen den Menschen ja beibringen, auf Tierwohl und Qualität zu achten«.
Diejenigen, die selbst Biofleisch vermarkten, erklären allerdings ausnahmslos, dass sich das Thema keinesfalls eindeutig bewerten lasse. »Es gibt im Laufe des Jahres immer wieder Schwankungen im Lebendtierbereich, denen man mit gezielten Aktionen durchaus positiv entgegenwirken kann«, sagt Thomas Reisinger von Sonnberg. Über den Mühlviertler Schlachthof laufen knapp 15 Prozent des gesamten österreichischen Markts für Biofleisch. Auch Andreas Steidl, Geschäftsführer von »Ja! Natürlich«, der Biomarke von Rewe Österreich, verweist auf solche Produktionszyklen: »Im Herbst zum Beispiel gibt es bei den Bäuerinnen und Bauern immer mehr Angebot an Jungrindern.« Deshalb rücke man entsprechende Fleischprodukte im Spätherbst auch stärker in den Vordergrund, auch durch verstärkte Kommunikation«. Aktionen seien außerdem »wenig scharf, das heißt: preislich nicht aggressiv«.

»Aktionen gehören zum Geschäft«

Aktion ist außerdem nicht gleich Aktion. Neben Einzelaktionen oder der Verbilligung von Ware kurz vor Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums (minus 25 oder minus 50 Prozent) gibt es Rabattsammelaktionen, Rabatte auf Warengruppen (etwas minus 25 Prozent auf Fleisch – bio wie konventionell), Markenrabatte (zum Beispiel auf alle Produkte einer Bioeigenmarke) oder eben stückmäßig beschränkte »–25%«-Kleber, die für das Gesamtsortiment gelten. Abgesehen vom Abverkauf von demnächst ablaufender Ware haben alle Rabatte eines gemeinsam: Sie fungieren als Lockmittel, um Menschen in die Geschäfte zu bringen. »Vernünftige Aktionen in einem vernünftigen Ausmaß gehören zum Geschäft dazu«, meint Adolf Marksteiner, der in der Landwirtschaftskammer Österreich die Marktpolitik beobachtet, »Aktionspolitik gehört psychologisch zur Krämerei«.

Fleischverzehr pro Kopf

Der Pro-Kopf-Konsum von Fleisch sank 2022 in Deutschland auf 52 Kilogramm und in Österreich auf 58,6 Kilogramm. 
Der Bioanteil betrug 2022 in Deutschland 3,9 Prozent, in Österreich sank er von 7,1% (2022) auf 6,9% im ersten Halbjahr 2023.

Auch, dass regelmäßige Rabatte langfristig den Preis drücken, lässt sich nicht allgemein sagen. Die in Österreich weit verbreiteten »–25%«-Rabatte werden von den Handelsunternehmen »geschluckt« und gehen nicht auf Kosten der ProduzentInnen (und damit auch nicht automatisch auf Kosten von Qualität oder Tierwohl). Oft genug erfahren die ProduzentInnen selbst erst aus der Werbung von Aktionen. »Es kann also durchaus vorkommen, dass solche Angebote in schwache Angebotsphasen fallen«, sagt Reinhold Schwingenschlögl von der Biovermarktung Zwettl. »Wenn im entsprechenden Zeitraum sowieso gerade wenig Fleisch verfügbar ist, dann führt das kurzfristig zu einer Nachfragesituation und kann auch kurzfristig den Preis heben.« Schwingenschlögl koordiniert und bündelt Angebot und Nachfrage beim Biorindfleisch in Niederösterreich und beliefert alle drei großen Biomarken des österreichischen Lebensmitteleinzelhandels (Ja! Natürlich/Rewe, Zurück zum Ursprung/Hofer sowie Spar Natur pur). Er weiß auf Monate hinaus, wann wieviele Rinder schlachtreif sind, und damit auch: wann Aktionen vielleicht auch im Sinne der von ihm vertretenen Biobäuerinnen und Biobauern sind. »Wenn im Vorhinein klar ist, dass eine Phase des Überangebots kommt, lässt sich das durch entsprechende Aktionen aussteuern. Das stabilisiert den Absatz und lässt auch längerfristig stabile Produzentenpreise zu«, so Schwingenschlögl. Unkritisch sieht er die jüngsten Entwicklungen allerdings nicht: »Werden die Aktionen zu viel – mittlerweile wird ja beinahe die Hälfte des Rinderfaschierten (Hackfleischs, Anm.) verbilligt verkauft -, dann wirkt sich das langfristig natürlich auf den Preis aus. Vom Handel wird dann argumentiert, dass sonst diese Mengen nicht absetzbar wären, nur wird dann ja die Aktion zur Normalität.«

»Die ›–25%‹-Klebepickerl werden primär auf teure Produkte geklebt, da zählt natürlich Biofleisch dazu. Aber das mache ich selber auch ….«

Hans Ollmann, Geschäftsführer Bioschwein Austria

Der Markt für Schweinefleisch in Bioqualität ist deutlich kleiner, weshalb eine Absatzplanung besonders wichtig ist. Preisaktionen des Handels würden sich nicht auf den Preis, den die ProduzentInnen für ihre Tiere bekommen, auswirken, sagt auch Hans Ollmann von Bioschwein Austria. Er vermarktet das Fleisch von etwa der Hälfte aller in Österreich gehaltenen Bioschweine (die andere Hälfte der insgesamt knapp 6000 Biobetriebe, die in Österreich Schweine halten, tun das zur Selbstversorgung oder um das Fleisch direkt zu vermarkten.) »Von Preisaktionen bekommen wir preislich nichts mit«, sagt Ollmann. Da die Anzahl der Schweine begrenzt ist, wird Bioschwein Austria von den Handelsketten meist im Vorhinein von geplanten Vergünstigungen informiert. »Das ist notwendig, um die in dieser Zeit benötigten höheren Schweinezahlen auch wirklich zur Verfügung stellen zu können. Aber auch in diesem Fall müssen wir nichts beitragen, wir verkaufen dann einfach nur mehr Schweine.« Rabattaktionen erachtet er deshalb nicht als Problem fürs Geschäft; auch imagetechnisch nicht. »Die ›–25%‹-Klebepickerl werden primär auf teure Produkte geklebt, da zählt natürlich Biofleisch dazu. Aber das mache ich selber auch …«, bekennt Ollmann. »Möglicherweise wären teure Teilstücke anders gar nicht im nötigen Ausmaß verkaufbar. Da es viele Anstöße braucht, neue KundInnen für Bio zu gewinnen, kann das schon eine Möglichkeit sein, langfristig den KundInnenstamm auszuweiten.«

Bio ist keine Insel

Die Zahlen zeigen allerdings, dass es sich bei der großen Aktionitis um einen österreichischen Sonderfall handelt, etwa im direkten Vergleich zwischen Rewe Österreich und Rewe Deutschland, beziehungsweise dem Rabattanteil der jeweiligen Bioeigenmarken Ja! Natürlich und Rewe Bio. 30 Prozent des Biofleischs, 25 Prozent des Biogeflügels und 12 Prozent der Biowurst von Ja! Natürlich werden im Rahmen von Aktionen verkauft. Bei Rewe Bio in Deutschland sind es beim Fleisch 6 Prozent, beim Geflügel 7 Prozent und bei der Wurst 8 Prozent. »30 Prozent beim Frischfleisch in Bioqualität ist jedenfalls ein unterdurchschnittlicher Wert«, sagt Andreas Steidl von Ja! Natürlich – zumindest in Relation zum restlichen Sortiment, das größtenteils konventionelle Produkte ausmacht.

Planetary Health Diet

Die internationale Eat Lancet Kommission empfiehlt 300 bis höchstens 600 Gramm Fleisch pro Woche als für Mensch und Planeten bekömmlich.

Rabatte auf Bioartikel sind in Deutschland verhältnismäßig selten. Das dürfte weniger am Biomarkt liegen als vielmehr an der Handelslandschaft insgesamt. »Dass es in Österreich zahlreiche Aktionen gibt, hängt wohl auch daran, dass in Österreich drei Handelskonzerne gemeinsam 90 Prozent der Marktanteile haben«, vermutet Marktforscherin Micaela Schantl. Rewe (Billa, Penny), Spar und Hofer (Aldi) dominieren den Lebensmittelmarkt. Im härter werdenden Wettbewerb sind zuletzt auch»Aktionsschlachten« heftiger geworden, weiß Micaela Schantl: »Der Aktionsanteil bei Lebensmitteln liegt über alle Warengruppen, Bio und Nicht-Bio, bei etwa 30 Prozent. Vor ein paar Jahren waren es noch 25 Prozent«. Irgendwann, schätzt die Marktforscherin, werde aber ein Plafond erreicht sein. »Es kann ja nicht alles dauernd in Aktion sein. Aktionen müssen sich letztlich auch für die HändlerInnen rechnen.« Persönlich erachtet sie etwa ein Drittel als mögliche Obergrenze.

Rinder auf der Weide.
Im Herbst gibt es verhältnismäßig viel Jungrind am Markt. »Geplante Aktionen stabilisieren den Fleischabsatz und lassen auch langfristig stabile Produzentenpreise zu«, sagt Reinhold Schwingenschlögl. Bild: Austria Wien/Niederösterreich/Andel.

Laut einer WWF-Erhebung zum Thema Grillfleisch aus dem Jahr 2022 wird in Deutschland etwa bereits ein Drittel des Fleischs als Aktionsware verkauft. Allerdings: »Den Trend, dass Biofleisch über Rabattaktionen vermarktet wird, gibt es in Deutschland nicht«, sagt Gerald Wehde, der im Bioland-Verband die Abteilung Agrarpolitik leitet. »Vielmehr liegt die Vermarktungsstrategie – vom Hofladen, über den Naturkostfachhandel bis hin zu Vollsortimentern und Discountern – darin, die besondere Wertigkeit von Biofleisch in den Vordergrund zu rücken und dadurch Kaufanreize bei den VerbraucherInnen zu schaffen.« Der hohe Anteil an Rabattaktionen bei konventionellem Fleisch mache allerdings auch Bio zu schaffen. »Dadurch vergrößert sich der Preisabstand zu Biofleisch nochmal mehr, was den Absatz von hochwertigen Biofleischprodukten erschwert«, so Wehde. Edeka möchte aus Wettbewerbsgründen keine genauen Zahlen nennen und verweist darauf, dass man aufgrund der dezentralen Organisationsstruktur mit 3.500 selbständigen Kaufleuten, die eigenständig über Sortiment und Bioanteil ihrer Filialen verfügen, keine pauschalen Aussagen treffen könne. »Unser Wachstum im Bereich Bio, vor allem bei unseren Eigenmarken, ist weiterhin stark«, sagt Unternehmenssprecherin Hanna Koll, »der Aktionsanteil hat sich nicht signifikant verändert«. Beim Biomarkt Verbund, der mit seinen Dennree/Denn’s-Filialen in beiden Ländern vertreten ist, sieht man da wie dort keine Veränderung: »Der Anteil an Fleisch- und Wurstwaren, der in Deutschland und Österreich über Aktionsangebote in unseren Biomärkten verkauft wird, ist vergleichbar mit anderen Warengruppen und übersteigt den niedrigen zweistelligen Prozentbereich nicht«, berichtet Jens Schinnerling, der den Bereich Frische und Tiefkühlkost verantwortet.

Den in Österreich erkennbaren Trend, Biofleisch über Rabattaktionen zu vermarkten, gibt es in Deutschland auch im konventionellen Handel nicht.


Insgesamt lässt sich der deutsche Markt für Bioprodukte mit jenem in Österreich schwer vergleichen. Auch wenn der konventionelle Lebensmittelhandel und Diskonter auch in Deutschland immer größere Anteile am Biomarkt gewinnen. Der Naturkost- und Biofachhandel bleibt in Deutschland ein Faktor, die Handelsvielfalt ist insgesamt größer. »Österreich ist ein kleiner Markt mit großen Playern und hoher Konzentration«, sagt Björn Rasmus, dessen bäuerliche Genossenschaft Bioalpin mit der Marke Bio vom Berg sowohl im deutschen Biohandel als auch im regionalen Tiroler Supermarktunternehmen Mpreis vertreten ist. Wenn im zentralisierten Lebensmitteleinzelhandel jede Woche irgendwo Faschiertes im Angebot ist, dränge das die BioanbieterInnen dazu, zumindest die gängigen Artikel auch zu aktionieren, um das teure Biofleisch absetzen zu können (»gerade in besonders preissensiblen Phasen wie jetzt«). »Es gibt aber auch eine eindeutige Tendenz zu weniger Fleisch und wenn dann Premium – das wird bei einem Teil der Bevölkerung sicher bleiben und davon profitiert Bio«, ist sich Rasmus sicher.
So gesehen könnten die »–25%«-Sticker sogar eine Abkehr vom Fetisch um billiges Fleisch ermöglichen. Denn einerseits wird mit ihnen nicht aggressiv ein bestimmtes Produkt – etwa billiges Fleisch – beworben, sondern bloß ganz allgemein in die Filialen gelockt. Und andererseits könnte das bewusste Kleben von Rabattstickern auf hochpreisiges Premiumfleisch auch zum Lerneffekt führen, dass Biofleisch eigentlich teuer sein muss.

Mehr zum Thema Billigfleisch und seinen Auswirkungen gibt es hier.

BIORAMA #87

Dieser Artikel ist im BIORAMA #87 erschienen

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