#Biocamp2016 – Big Bio, Tierwohl und das erste Bio-Start-up

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Beim Ja! Natürlich Bio-Camp informierte der Platzhirsch im österreichischen Bio-Lebensmittelhandel über Trends und Entwicklungen beim Thema Bio. Am Ende wurde ein Start-up ausgezeichnet, das auf Alternativen zum Supermarkt setzt. 

Ja! Natürlich ist die Biomarke der Rewe-Gruppe in Österreich. Und allein schon wegen der flächendeckenden Verfügbarkeit ihres großen Sortiments ein bedeutendes Zugpferd für die Verbreitung von biologischen Lebensmitteln. Am vergangenen Samstag lud die Marke zum #Biocamp2016 in die Wiener Ankerbrot-Fabrik. Blogger, Interessierte, Marketing-Profis und Foodies konnten sich einen Tag lang in Vorträgen, Diskussionen und Workshops über Lebensmittel aus biologischer Produktion informieren. Zum Programm gehörte auch die Auszeichnung des Gewinners beim Bio Start-up-Wettbewerb, den Ja! Natürlich gemeinsam mit BIORAMA durchgeführt hat. So viel sei vorweggenommen: die Anwesenden beim Bio-Camp wählten das Grazer Start-up Nahgenuss zum Gewinner der ausgelobten 5.000 Euro.

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Wie bio ist Bio im Supermarkt?
Den Auftakt machte nach der Begrüßung durch Ja! Natürlich-Chefin Martina Hörmer eine Diskussion, in der Antworten auf die Frage „Wie bio ist Bio im Supermarkt?“ gegeben wurden. Es war vielleicht dem Rahmen der Veranstaltung geschuldet, dass unter den Diskutierenden niemand war, der Supermarkt-Bio – die Runde sprach von “Big Bio“ – kritisch gegenüber steht. Es diskutierten der deutsche Bio-Fleisch-Pionier und Supermarkt-Gründer (Basic) Georg Schweisfurth, Ja! Natürlich-Qualitätssicherer Andreas Steidl, Reinhard Gessl vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), Food-Trendforscherin Hanni Rützler, Konzeptkünstler Martin Hablesreiter und Gastgeberin Martina Hörmer. Als Auftrag an Supermarkt-Bio und damit gewissermaßen an sich selbst formulierte Hörmer: „Die Leute sind immer weiter weg von der Landwirtschaft und können sich vieles gar nicht mehr vorstellen. Die beste Kommunikation ist daher immer, den Leuten die Landwirtschaft wirklich zu zeigen.“

Ganz außen vor blieben kritische Aspekte dann doch nicht. Der Moderator der Runde, BIORAMA-Herausgeber Thomas Weber, wollte wissen, ob sich die Biobranche nicht mittlerweile vor allem in eine kommerzielle Branche verwandelt hat, die sich nur noch durch das Biosiegel von anderen Branchen unterscheidet. Dieser Vorwurf war zum Beispiel auf der Branchenmesse BioFach im Februar immer wieder erhoben worden. Georg Schweisfurth überlegte einen Moment und stellte fest, dass er nach wie vor gerne zur BioFach fährt: „Ich liebe die BioFach, weil ich dort die ganzen alten Biokumpels treffe. Aber natürlich hat sich die Messe auch entwickelt. Es wird immer ähnlicher der Anuga. Das ist klar. Aber für mich ist wichtig, dass dieses alternative Landwirtschaftssystem gelebt wird. Es ist eine Riesenmesse geworden und dort herrscht ein toller Austausch. Mir macht diese Globalisierung von Bio sehr viel Spaß und ich sehe die negativen Aspekte nicht so im Vordergrund.“

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Bio ist mehr als eine Warengruppe, auch im Supermarkt
Hanni Rützler vertrat die Ansicht, dass beim Gros der Konsumenten langsam außer Blick gerate, dass Bio nicht nur eine Produktgruppe bezeichnet, sondern ein eigenständiges, alternatives Landwirtschaftssystem. Deshalb dürfe in der Kommunikation von Supermarkt-Bio auch nicht vergessen werden, genau darauf hinzuweisen. „Was sind die großen neuen Biogeschichten?“, stellte sie als Frage in den Raum. Vom Strohschwein über den Bruder- bzw. Gockelhahn bis hin zum Nose-To-Tail-Trend gäbe es schließlich einiges zu erzählen, beim Thema Bio. Im Anschluss war am Podium genau das – die Entwicklungen von der artgerechten zur artgemäßen Tierhaltung – Thema.
Reinhard Gessl appellierte daran, in der Kommunikationsarbeit nicht Bio mit idyllischer Heile-Welt-Ästhetik zu verknüpfen. Diese Bilder würden schließlich realitätsferne Ansprüche bei den Konsumenten wecken. „Die Biolandwirtschaft wird Opfer ihrer eigenen Bilder. Was die Biolandwirtschaft verspricht, ist die Einhaltung von 250 Seiten EU-Verordnung. Das hält sie. Was sie nicht verspricht ist die Einhaltung der Bilder, die Konsumenten im Kopf haben.“
Letztlich war man sich auf dem Podium einig, dass der Anspruch, die Bevölkerung mit guten und nachhaltigen Lebensmitteln zu versorgen, wohl kaum ohne Supermarkt-Bio erfüllt werden könne. Einzig Martin Hablesreiter brachte den Aspekt ins Spiel, dass der Supermarkt als ästhetisches und kommunikatives Konzept heute so selbstverständlich mit der Lebensmittelversorgung verbunden werde, dass kaum mehr hinterfragt wird, wie man auf anderen Wegen zu Lebensmitteln gelangen könnte.

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Food Trends und Start-up-Wettbewerb
Im Anschluss an die Diskussion verteilten sich die rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Bio-Camps in verschiedene Sessions. Eine davon war die Vorstellung des jährlich von Hanni Rützler herausgegebenen Food Reports. Darin beschreibt die Ernährungsexpertin, was in den kommenden Jahren und Jahrzehnten beim Thema Lebensmittel auf die Gastronomie, den Einzelhandel und benachbarte Branchen zukommt. Die Expertin verriet ein paar Entwicklungen, die sie als Trends ausgemacht hat: die Rolle des Supermarkts wandelt sich, Convenience-Produkte werden vielseitiger und die Zeit der Tütensuppe geht vorbei, smarte Technologien halten in der Küche Einzug und Peak Meat ist bald erreicht. Durchaus passend zum Rest des Tages auch Rützlers Einsicht: „Innovation im Food-Bereich kommt fast immer von Quereinsteigern und Kleinen, die nicht die Branchenlogik verinnerlicht haben.“

Das letzte Highlight des Tages war die Siegerehrung beim Ja! Natürlich Bio-Start-up Wettbewerb. Die fünf Finalisten waren geladen und anwesend. Drei Minuten Zeit hatten die Finalisten, um ihre Geschäftsideen zu präsentieren. Den Anfang machte das Team von Paleo to Go aus Vorarlberg. Es folgten die BioWirtinnen, Nahgenuss, Unverschwendet und die Wurmkiste. Die meisten Stimmen aus dem Publikum konnte letztlich das Team von Nahgenuss für sich gewinnen. 5.000 Euro sollen dem Start-up unter die Arme greifen. Es spricht für die Rewe-Marke Ja! Natürlich, dass ein Start-up ausgezeichnet wird, zu dessen Geschäftsmodell es gehört, das Bedürfnis nach Unabhängigkeit vom Supermarkt zu stillen.


Hier geht es zur Website des Sieger-Start-ups Nahgenuss

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