Bio-Ansturm: »Greifen gerade auf Käsevorrat und Fleischlager zurück«
Finden momentan auch Biokontrollen statt? »Ja! Natürlich«, sagt Andreas Steidl (Rewe) und erklärt, wie der Ansturm auf die Supermärkte mit besonderer Kraftanstrengung zu bewältigen ist.
Profitiert Bio von der Krise? Für solche Einschätzungen wäre es noch zu früh, meint Andreas Steidl, Geschäftsführer von Ja! Natürlich. Im aktuell Ansturm auf die Supermärkte greifen die Menschen jedenfalls auch verstärkt zu den Produkten der Bio-Eigenmarke von Rewe. Vor allem Mehl ist gefragt wie nie – weil zu Hause gekocht und gebacken wird.
»Es wäre erfreulich, wenn ein bewussterer Lebensmittelkonsum und die Freude an der vielfältigen Zubereitung fixer Bestandteil bei möglichst großen Bevölkerungsgruppen dauerhaft verankert bleibt. Die Voraussetzungen dazu waren noch nie so gut wie jetzt.«
Dass es in den Supermärkten dieser Tage rund geht, ist niemandem entgangen. Haben die Menschen dort auch Bioprodukte gehamstert?
Andreas Steidl: Die Bevorratung schloss auch Bioprodukte mit ein. Ob diese aber überwiegend von StammkäuferInnen gekauft wurden oder von GelegenheitskundInnen, die angesichts ausverkaufter konventioneller Produkte verstärkt auf Bio zugegriffen haben, können wir nicht beurteilen. Aus unseren Analysen der Vergangenheit wissen wir, dass BiokäuferInnen sich wesentlich intensiver mit der Zubereitung von Gerichten beschäftigen. So ist es schlüssig, dass in Zeiten des vorgeschriebenen Homeoffice und eingeschränktem Außer-Haus-Verzehr in Bio-Haushalten noch mehr gekocht wird als sonst. Dies schließt auch stark Kinder mit ein, die zu Hause sind. Einen Kuchen zu backen kann dabei eine willkommene Abwechslung darstellen. Dies erklärt u.a. die besonders hohe und anhaltende Nachfrage nach Mehl.
Bäuerliche Direktvermarkter berichten teilweise davon, dass die vergangene Woche im Hofladen jeden Tag ein Weihnachtsgeschäft war. Was hamstern denn BiokundInnen, die im Supermarkt einkaufen?
Es wird von allen Bioprodukten mehr gekauft. Wenn sich das Leben fast ausschließlich in den eigenen vier Wänden abspielt, dann inkludiert dies auch das Essen und Trinken. Daraus resultiert ein höherer Bedarf nach Biolebensmitteln, den wir bestmöglich abzudecken versuchen.
Im konventionellen Segment lässt sich durch die geschlossenen Wirtshäuser, Gaststätten und Kantinen Ware, die dafür bestimmt war, in den Handel umlenken. Das geht bei Bio schwer, weil der Bioanteil in der Gastronomie immer noch bescheiden ist. Gibt es wo Lieferschwierigkeiten oder Engpässe?
Dazu braucht es eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen Produktbereiche. Bei lagerfähigen Gütern wie Getreide, Erdäpfeln und Karotten profitieren wir von unserer Herkunfts- und Qualitätspolitik, die mit dem Anlegen von Qualitätsreserven einher geht. Natürlich schaffen es aber dann die Abpackmaschinen nicht, den kurzfristig mehrfachen Bedarf auf Knopfdruck abzudecken. Mittlerweile funktioniert die Nachlieferung sehr gut. Bei Milchprodukten werden jetzt vor allem mehr Produkte der weißen Palette – also Trinkmilch, Topfen, Naturjoghurts – abgefüllt. Dies funktioniert deshalb, weil auch ein entsprechendes Käsevorratslager zur Rohstoffpolitik von Ja! Natürlich gehört. Ebenso greifen wir auf unsere Vorräte von tiefgekühltem Verarbeitungsfleisch bei der Erzeugung der Wurstwaren zurück. Was bei landwirtschaftlichen Qualitätsprogrammen allerdings kaum funktioniert ist, dass eine kurzfristige Liefererhöhung bei den Bäuerinnen und Bauern möglich ist. Und ja, auch ein Umlenken der Warenströme von der Gastronomie ist für den Biobereich schwierig, weil dieser Sektor in der Vergangenheit in der Gastronomie unterrepräsentiert war.
Waren Bionudeln und Biosugo auch aus?
Das trifft sicherlich auf manche Filialen zu, wobei die Nachlieferung sehr gut funktioniert hat. Unser Teigwarenhersteller und unsere Mühle haben viele zusätzliche Schichten eingelegt, ein vorbildlicher Einsatz! Danke an jene, die dafür Nacht- und Wochenendschichten leisten mussten.
Gibt es aktuell auch Produktsegmente, die zurückgehen?
Nein.
Essen die Menschen momentan auch insgesamt mehr oder verlagert sich aktuell einfach alles, was sonst in der Gastro und außer Haus gegessen wird, in den Handel?
Sie werden zum Teil auch etwas aufwendiger und kreativer kochen, weil sie mehr Zeit dazu haben. Dies schließt auch die Vorbereitung zum Kochen und das Zubereiten selbst ein. Kochen und genussvolles Essen als willkommene Abwechslung im Homeoffice und in der Home-School.
Wie haben die vergangenen Wochen den Einkauf in der Planung verändert?
Obwohl oder weil wir in der Vergangenheit die ganze Rohstoffbeschaffung mit unseren Verarbeitungsbetrieben abstimmen, denn dies ist ein substanzielles Asset der Marke Ja! Natürlich, hatten wir in den letzten Wochen Hochbetrieb beim Organisieren und Improvisieren. Wenn z.B. Fachkräfte bei der Zerlegung in einem Schlüsselbetrieb plötzlich zu Hause bleiben, dann freut man sich, wenn andere Partnerschaftsbetriebe aushelfen. In so kurzer Zeit und unter solchen Rahmenbedingungen ist es eine besondere Leistung aller in der Lieferkette, den raschen Nachschub sicherzustellen.
Hat der aktuelle Ausnahmezustand auch etwas punkto Qualitätskontrolle verändert?
Die Qualitätskontrolle ist eine eingespielte Sache, denn ohne ausgeklügeltem Qualitätsmanagementsystem ist auch in der Vergangenheit bei einer Marke wie Ja! Natürlich nichts gegangen. Und die Labore arbeiten auch weiterhin; wir konnten hier noch keine Einschränkung erkennen.
Finden momentan eigentlich Biokontrollen statt?
Ja natürlich, selbstverständlich. Auch wenn die Vor-Ort-Kontrollen auf ein Mindestmaß gedrosselt wurden, so gibt es zahlreiche andere Kontrollansätze wie z.B. Mengenfluss- und Plausibilitätskontrollen, die ausgeweitet werden. Die Laboranalysen unterliegen wie gesagt keinen Einschränkungen.
»Unser Teigwarenhersteller und unsere Mühle haben viele zusätzliche Schichten eingelegt.«
– Andreas Steidl
Theoretisch müssten Menschen, die für den Hausgebrauch überzeugte BiokundInnen sind, für die es aber in der Gastronomie kaum Angebote geben, nun insgesamt mehr Bioprodukte kaufen. Profitiert Bio von der Krise?
Es ist sicherlich zu früh, hier entsprechende Schlüsse zu ziehen. Es ist allerdings so, dass nun viele KundInnen mehr Zeit zur Beschäftigung mit Nahrungsmitteln und dem Kochen haben, denn dies geht vielfach einher mit bewusster Ernährung und einer positiven Einstellung zu Bio.
Wie wichtig ist der Onlinehandel für Ja! Natürlich?
Der Online-Handel ist fixer Bestandteil der Biovermarktung. Die aktuelle enorme Nachfrage nach diesem Vertriebskanal stößt kurzfristig auf Kapazitätsgrenzen in der Zustellung. Da sind natürlich auch die Ja! Natürlich-Produkte betroffen. Aber auch hier wurde Sensationelles geleistet und personell massiv aufgestockt und neue Kapazitäten geschaffen.
Die Plattform Nahgenuss, vor ein paar Jahren am Biocamp von Ja! Natürlich als Start-up des Jahres ausgezeichnet, berichtet, dass momentan verstärkt Geflügel gekauft wird. Ist das auch bei Ja! Natürlich so?
Generell verkaufen wir derzeit alles, was unsere Partnerbetriebe im Stande sind zu produzieren bzw. greifen auf unsere Qualitätsreserven zu.
Die Menschen posten nun auch werktags und mittags Fotos von Selbstgekochtem, Selbstgebackenem, manche beschäftigen sich offensichtlich erstmals mit Lebensmitteln. Ist da mit einer langfristigen Veränderung zu rechnen?
Es wäre erfreulich, wenn ein bewussterer Lebensmittelkonsum und die Freude an der vielfältigen Zubereitung fixer Bestandteil bei möglichst großen Bevölkerungsgruppen dauerhaft verankert bleibt. Die Voraussetzungen dazu waren noch nie so gut wie jetzt.
Viele Menschen sind verunsichert, obwohl alles darauf hindeutet, dass COVID19 nicht über Lebensmittel übertragen werden: Kann die Angst der KundInnen vor Ansteckung dem Trend zu verpackungsfreier Ware etwas anhaben?
Hier gibt es unzählige Expertisen, dass Lebensmittel nicht zur Verbreitung beitragen. Die Einhaltung von Hygienebestimmungen sowohl in der Lieferkette wie auch beim Einkauf und im Haushalt bleibt aber unverzichtbar.
Irgendwann werden die Menschen ihre Vorräte aufbrauchen. Rechnen Sie im April und im Mai mit Einbrüchen?
Sie verbrauchen sie großteils jetzt schon auf, weil sie das Funktionieren der ständigen Nachlieferungen und der ausreichenden Filialbestückung beobachten können. Zudem wird in den Haushalten fleißig gekocht und gebacken. Wir rechnen jedenfalls mit anhaltend erhöhter Nachfrage so lange die starke Einschränkungen bei Schule, Beschäftigung und Außer-Haus-Verzehr aufrecht bleiben.