Billy Corgan im Interview: „Ich liebe Essen!“
… von Fleisch aus dem Reagenzglas hält Billy Corgan, Frontman der Smashing Pumpkins, aber wenig. Mit BIORAMA sprach der über sein Leben als Pescetarier, Tee und Katzen.
Billy Corgan (47), einzig verbliebenes Gründungsmitglied der Smashing Pumpkins, versteckt seinen glatt rasierten Kopf anfangs noch unter der Kapuze seines Pullis, als er uns in einem Hotel in Berlin-Mitte gegenübersitzt. Und trotzdem zeigt sich der oftmals als exzentrisch und schwierig beschriebene Sänger in bester Plauderlaune.
BIORAMA: Willkommen in Berlin, Billy. Hast du hier schon was unternommen?
Billy Corgan: Ich war gestern Abend in einem richtig guten veganen Restaurant.
Obwohl du ja Fisch isst, richtig?
Ja, ich bin Pescetarier. Aber ich habe schon lange keinen Fisch mehr gegessen.
Bist du als Fischesser schon mal kritisiert worden von militanten Veganern?
Das Wort Fischesser klingt schrecklich! (lacht) Ganz ehrlich: Ich würde es vorziehen, komplett vegan zu leben, aber es ist schwierig, weil ich so viel unterwegs bin. Vielleicht bin ich auch zu alt für diese Umstellung. Vermutlich kümmert mich die Kritik von Veganern auch zu wenig.
Wie kam es, dass du dir den Fleischkonsum abgewöhnt hast?
Ich bin einfach an dem Punkt gekommen, wo ich kein Fleisch mehr essen konnte. Mir wurde schlecht dabei.
Wegen des Geschmacks?
Nein, es ging um die Energie, die Fleischessen transportiert. Da war so ein Gefühl in meinem Körper, dass das nicht richtig ist, wie diese Tiere behandelt werden und was auf der Erde vor sich geht. Ich denke, die Übelkeit ist eine Art natürliches Abwehrsystem meines Körpers. Als ich ein Kind war, las ich von Indianern, die jedes Stück der Büffel verwendeten. Sie verehrten den Büffel, weil er ihr Leben ermöglichte. Nicht nur wegen des Fleisches – aus den Knochen machten sie beispielsweise Kinderspielzeug. Der ganze Büffel wurde verwertet und erfüllte fast schon einen sakralen Zweck. Da war eine Beziehung zwischen Mensch und Natur. Aber diese Beziehung ist längst verloren gegangen. Unsere Körper akzeptieren nur noch. Da läuft gehörig etwas falsch.
Als Kind sollst du selbst mit Steak und Pizza groß geworden sein.
Oh, ja, das stimmt. Irgendwann ging das nicht mehr. Ich musste anfangen, mich gesund zu ernähren. Das ist jetzt 15 Jahre her.
Womit stimulierst du denn deine Seele?
Versteh mich nicht falsch: Ich liebe Essen! An Thanksgiving, dem amerikanischen Feiertag, hat meine Freundin ein Dessert gemacht, das vegan und glutenfrei war. Das war so verdammt gut, es hat mich beglückt.
Ist sie denn Veganerin?
Nein, sie ist wie ich Pescetarier. Du kennst sie nicht, ich habe aufgehört, Frauen zu daten, die man kennt. (lacht)
Es scheint derzeit ein großes Bewusstsein für die Vorzüge der fleischlosen Lebensweise zu geben. Glaubst du, dass die Welt in 100 Jahren nur noch aus Veganer besteht?
Nein, das glaube ich nicht. Generell denke ich, dass sich unsere Kultur spalten wird: 75 Prozent der Bevölkerung wird nach dem Motto »billig, billiger, am billigsten« verfahren und alles essen, so lange es schmeckt und bezahlbar ist. Fleisch wird es deshalb vermutlich immer auf unseren Speisekarten geben. Es gibt so viele historische Daten, die belegen, dass Menschen schon Tausende von Jahren Tiere gegessen haben und andersrum – das ist das Gesetz des Dschungels. Es ist nichts falsch daran, wenn Leute das essen, was sie essen wollen, so lange es auf ehrenwerte, menschliche Weise zur Verfügung gestellt wird. Ich für mich habe aber beschlossen, dass es nicht richtig ist, für meinen Genuss ein Leben zu nehmen. Deshalb will ich auch noch mit dem Fischessen aufhören. Ich habe übrigens gehört, in Japan arbeiten sie gerade daran, Fleisch im Reagenzglas entstehen zu lassen. Herrje.
Zumindest kommen auf die Art keine Tiere zu Schaden.
Da wäre ich mir nicht so sicher. Und die Vorstellung, dass dieses Fleisch aus sich selbst heraus wächst, ist gruselig. Nein, so was könnte ich nicht essen. Ich möchte gerne an den Punkt kommen, wo ich nicht für den Tod eines Tieres verantwortlich bin. Aber dann kommt schon der nächste Gedanke: Was tut man den armen Pflanzen an, die nichts weiter tun, als bei Wind und Sonne draußen zu sein? Sollten wir die dann einfach stehen lassen?
Dann bleibt nicht mehr viel.
Letztendlich muss jeder das tun, was sich für ihn richtig anfühlt! Die Erleuchtung für eine bestimmte Philosophie muss nicht über Nacht kommen. Bei mir geschah das auch nicht von heute auf morgen, es vollzog sich in kleinen Schritten: Erst ließ ich die Pizza weg, dann die Limonade, und so ging das immer weiter. Mit der Zeit findest du deine Balance. Wir haben wohl alle schon mal den Fehler einer Crash-Diät gemacht: »Aber jetzt esse ich vernünftig!«, sagt man sich dann. Der Vorsatz hält dann zwei Wochen, dein Körper hatte noch keine Chance, sich umzustellen, und schon isst du wieder wie zuvor und nimmst zu.
Taugt nichts.
Nein. Ein gesunder Lifestyle hat genauso viel mit einem neuen Bewusstsein zu tun wie damit, wie du bezüglich deiner selbst fühlst. Du selbst solltest dich mitverändern. So lange du die Schritte langsam vollziehst, werden sie von Dauer sein.
Macht dich das bewusste Essen zum besseren Menschen?
Ich fühle mich in erster Linie besser im Bezug auf mich selbst. Was erstaunlich ist, denn selbst wenn du dich gesund ernährst, isst du heute trotzdem sehr anders als es unsere Großeltern taten. Wenn du heute einen Brokkoli-Kopf isst, nimmst du nur 50 Prozent der Nährstoffe zu dir als wenn du ihn vor 100 Jahren verspeist hättest! Vor 100 Jahren hat ein Mensch also die doppelte Menge Nährstoffe aus dem gleichen Gemüse gezogen. Vielleicht haben wir heute deshalb so oft Heißhunger. Man sollte auf seinen Körper und sich selbst hören. Wenn man auf einer Geburtstagsparty oder im Urlaub Kuchen essen will, ist das auch keine große Sache.
Wie gefällt dir eigentlich der Tee, den wir gerade verkosten?
Der ist ziemlich schlecht! (lacht)
Ich frage, weil du in deiner Heimatstadt Chicago ein Teehaus namens Madame ZuZu’s unterhältst.
Da schmeckt der Tee besser! Ich lege sehr viel Wert auf die Beschaffenheit und Nachhaltigkeit der Produkte. Weil ich selbst nicht genug Ahnung davon habe, arbeite ich mit einem Experten zusammen, sozusagen einem Master of Tea.
Was ist denn der extravaganteste Tee, den ihr anbietet?
Es ist ein Tee mit gereiften Trauben, die Frost abbekommen haben und aus denen dann eine Art Konzentrat gewonnen wird. Das geschieht in einem bestimmten technischen Verfahren.
Ist der bezahlbar?
Klar, obwohl wir auch recht teuren Tee haben. Aber erschwinglich sind sie alle.
Zum Schluss müssen wir noch über Katzen reden! Du bist jüngst von dem CNN-Anchorman Anderson Cooper dafür kritisiert worden, dass du mit deinen zwei Katzen auf dem Tiermagazin der Organisation Paws Chicago abgebildet warst. Das würde sich für einen Rockstar nicht gehören, so Anderson.
Sammi und Mr. Thom habe ich von jener Tierschutzorganisation adoptiert. Ich sammle auch Gelder für den Tierschutz. Anderson hat mir ja vorgeworfen, dass ich publicity-geil wäre. Das ist Zynismus. Mal abgesehen davon, dass Reinheit in der heutigen Welt kaum noch existiert. Selbst wenn ich auch meine neue Platte damit promoten würde, macht es die Sache trotzdem nicht schlechter.
Was magst du an Tieren?
Sie sind sehr ehrlich! Wenn man ein Tier adoptiert, führt man eine Beziehung mit ihm. Ich habe zwei Hunde und zwei Katzen, und die bringen mich um den Verstand! Jeder von ihnen hat eine andere Persönlichkeit und andere Bedürfnisse. Und ich bin manchmal überfordert, ihnen allen gerecht zu werden. (lacht)
Sind Tiere die besseren Menschen?
Sie sind auf jeden Fall besser als Nachrichtensprecher im Fernsehen! (lacht)
Smashing Pumpkins
»Monuments To An Elegy«
(BMG Rights/Rough Trade, bereits erschienen)
In den 90ern gehörte Corgans in Chicago gegründete Band mit mehr als 30 Millionen verkaufen Alben zu den wichtigsten Vertretern des Alternative Rock und prägte eine ganze Generation. Mit »Monuments To An Elegy« hat das einzig verbliebene Gründungsmitglied in veränderter Bandbesetzung sein neuntes Album veröffentlicht, das wie eine Hommage an die unterschiedlichen Phasen der Smashing Pumpkins anmutet und die gesamte Bandbreite von heftigem Alternative Rock bis hin zu poppiger Electronica abdeckt. Mitreißende Melodiebögen verbinden sich mit harten Gitarrenriffs zu epischen Soundgewittern – darüber thront der unverkennbare Gesang Corgans. Das Werk bildet übrigens den Mittelteil einer 44 Songs umfassenden Trilogie, die 2012 mit dem Album »Oceania« begann und im Frühling mit dem nächsten Album »Day For Night« enden wird.