Eine Biene sehr bekannt
Vor 100 Jahren ließ der deutsche Schriftsteller und spätere Kriegsreporter Waldemar Bonsels die Biene Maja schlüpfen. Sein sinnliches Naturmärchen schaffte es schnell zum Bestseller. Der faule Willi hingegen ist ein spätes Kind der 70er Jahre. Die Drohne wurde der frechen Honigbiene erst in der Zeichentrick-Produktion zugesellt.
Im offiziellen Kanon der Literaturgeschichte sucht man lange und vergeblich nach der »Die Biene Maja«. Dort geht es kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs deutlich düsterer und auch dekadenter zu als auf jener farbenprächtigen Blumenwiese, auf der die kleine Maja die Welt entdeckt: Im Jahr 1912, in dem Waldemar Bonsels seine märchenhaften Abenteuergeschichten einer Biene erstmals veröffentlicht, listen die renommierten Daten Deutscher Dichtung etwa den »Tod in Venedig« von Thomas Mann. Außerdem 1912: Der Dichter Gottfried Benn schildert ein Rattennest in der Bauchhöhle eines Toten und auch Georg Trakl schlägt schwermütige Töne an, verfasst leidende Abgesänge auf die Welt. Sein Gedicht »Heiterer Frühling« offenbart seine Weltsicht: »Wie scheint doch alles Werdende so krank«.
Heiterer Frühling
All das steht doch in starkem Kontrast zu Waldemar Bonsels lebensfrohem Märchen und ist wohl ein Grund dafür, dass »Die Biene Maja und ihre Abenteuer« schnell zu einem Bestseller geriet und sich schließlich auch noch als Longseller entpuppte, der bislang in über 40 Sprachen übersetzt wurde. Obwohl der Autor darin seine Kindheitserinnerungen am Bredenbeker Teich romantisiert und sich nostalgisch prägenden Natureindrücken hingibt, ist sein Märchen mehr als bloß Flucht aus der Realität. Es ist ein leidenschaftliches Plädoyer für Sinnlichkeit und eine – vielleicht naive –Aufforderung, die Empfindsamkeit früher Jahre am Leben zu halten. Die Biene Maja ist eindeutig als Kind der Lebensreformbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu betrachten. In neuromantischer Manier flieht sie der engen Stadt, der Mühsal der bienenfleißigen Arbeit: »Oh, wie tausendmal schöner ist es in der großen Welt draußen als in der dunklen Bienenstadt.« Als die kleine Biene das allererste Mal ans Licht kommt, das erste Mal fliegt, ihre erste Nacht im Freien verbringt und das erste Mal vor einem platzenden Tautropfen erschrickt, hilft sie dem Leser, die Welt nicht nur neu zu entdecken, sondern sie noch einmal unverbildet und mit Kinderaugen zu sehen: Sie badet im Licht und an der Luft, bis sie ihre Sinne täuschen. Verwirrt glaubt sie einmal sogar, die Sonne würde duften, nicht die Blumen. Zu Tode erschöpft ist Maja nur dann, wenn sie vor unbändiger Neugier und Entdeckungslust zu viel und zu weit geflogen ist und in einer roten Tulpe Rast machen muss. Und doch spricht aus der Biene eindeutig ein Erwachsener, der sich seiner Vergänglichkeit bewusst bleibt: »So schön wird es nie mehr, wie es heute ist, dachte sie, ich kann nicht mehr umkehren, ich kann an nichts denken als an die Sonne.« Die leichte Melancholie der Romantik durchzieht alle Abenteuer, denen sich die kleine Biene aussetzt und in denen sie der Stubenfliege Puck, dem Rosenkäfer Peppi, der Spinne Thekla oder dem Mistkäfer Kurt (der sich als Rosenkäfer ausgibt) und anderen Insekten begegnet.
Nostalgie und Kindheit
»Eine Biene sehr bekannt« ist Maja heute aber vor allem dank einer Zeichentrick-Koproduktion des deutsch-japanisch-österreichischen Fernsehens. In den beiden oftmals ausgestrahlten, ab 1975 produzierten Staffeln zu je 52 Episoden sind Maja, ihre Erziehern Kassandra und auch der Rest der Tierwelt stark menschlich gezeichnet, mit Armen, Beinen, Mund und Krone am Kopf der Bienenkönigin. Den Nektar sammeln die Bienen in der Fernsehserie mit Honigtöpfen. Auch neue Charaktere wurden fürs Fernsehen eingeführt: die faule, pummelige Drohne Willi etwa oder der Grashüpfer Flip und der altkluge Mäuserich Alexander. Einmal mehr sind es Kindheitserinnerungen – diesmal allerdings nicht mehr die ihres Schöpfers Waldemar Bonsels, sondern gemeinsame und generationenübergreifende – deretwegen sich die Biene Maja als nostalgische Kindheits-Ikone im kollektiven Gedächtnis eingenistet hat. Wie nachhaltig das wirkt, offenbart sich erst beim Nachlesen des literarischen Originals. Bei aller Schönheit von Bonsels Sprache ist »Die Biene Maja« also auch ein eindrucksvoller Beleg für die Kraft und Übermacht der bewegten Bilder über das Geschriebene. Die Zeichentrickbiene kriegt man die ganze Lektüre über nicht aus dem Kopf. Und auch der faule Willi ist als fliegendes Phantom gedanklich immer mit von der Partie.
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