Und wie genau ist das mit der Saatgutvielfalt, Frau Koller?
Seit 25 Jahren kämpft die Arche Noah für den Erhalt und die Entwicklung der Kulturpflanzen. BIORAMA hat sich mit Beate Koller, der Geschäftsführerin des Vereins, ausführlich über das Thema Saatgut und Sortenvielfalt unterhalten.
Auch wenn das Thema momentan aus den Medien nicht mehr so präsent ist wie noch vor einigen Monaten, ist das Problem rund um die Sortenerhaltung ein wichtiger Punkt, den wir nicht aus den Augen verlieren sollten. BIORAMA hat sich dazu mit Beate Koller unterhalten, die das Dilemma erklärt und Lösungsvorschläge bringt.
BIORAMA: Die Arche Noah setzt sich seit 25 Jahren für Erhalt und die Entwicklung der Kulturpflanzenvielfalt ein. Mit der geplanten EU-Saatgutverordnung 2013 protestierten auch NGOs und Bürger. Sogar im Wahlkampf war es Thema – nun wurden die Vorschläge deutlich zurückgewiesen. Wie geht es weiter aus EU-Sicht?
Beate Koller: Im März 2014 hat das Europaparlament den Vorschlag als Ganzes wieder zurückgeschickt. Die Agrarminister haben zwar keine komplette Zurückweisung gemacht, aber doch geäußert, dass sie sich deutliche Veränderungen erwarten. Der neue Gesundheitskommissar aus Litauen hat sich aufgrund seiner breiten Themenvielfalt nur sehr unbestimmt geäußert und zwar, dass „die Biodiversität und gefährdete Sortenvielfalt unbedingt zu schützen seien, aber auch die Interessen der Saatgutwirtschaft berücksichtigt werden müssen.“ Mit dieser Aussage hat er sich also noch nicht eindeutig positioniert. Die ursprüngliche Ankündigung war einmal, dass schon Ende des Jahres ein neuer Vorschlag da sein wird, und das halte ich für nicht wahrscheinlich. Aus dem Parlament wissen wir, dass das Paket nicht wieder aufgegriffen wurde. Im Moment ist es also wichtig, nach wie vor präsent zu sein, vor allem auf der Ebene der europäischen Agrarminister. Das ist auch das, woran wir arbeiten. In Zusammenarbeit mit NGOs auch aus anderen europäischen Ländern Verbesserungsvorschläge vorzubereiten, wie so ein Gesetz aussehen könnte, dass die Vielfalt eine echte Chance hat und nicht in winzige Nischen eingeräumt wird, die jederzeit wieder zugehen können. Die Arche Noah hat auch Vorschläge ausgearbeitet, und eine der Kernforderungen ist, dass das System der Sortenzulassung, die Grundlage der Saatgutvermehrung, freiwillig gemacht werden muss.
Wie ist die momentane Lage in der EU bzw. In Österreich?
Wir haben nicht eine Verordnung, sondern ein gutes Dutzend an Richtlinien. Die Idee der Verordnung ist, alle Pflanzenarten in einem zu behandeln. Das heißt angefangen vom Gemüse über Getreide, Obst, Tierfutterpflanzen und die ganze restliche Palette. Bei den Richtlinien ist es aufgeteilter: Hier gibt es einen Sortenkatalog für Gemüse, einen für Getreide etc. In vielen Bereichen – vor allem Gemüse und Getreide – besteht jetzt jedoch auch schon eine Zulassungspflicht. Da es aber „nur“ Richtlinien sind und keine Verordnung, kann die Implementierung auf nationaler Ebene erfolgen. So haben die einzelnen Länder einen gewissen Handlungsspielraum für ihre Bedingunen. Manche Länder legen das sehr liberal aus, wie zum Beispiel Österreich. In Österreich ist der Austausch von pflanzengenetischen Ressourcen (Sorten, die nicht für den Markt zugelassen sind) in gewissen Mengen Privatpersonen gestattet bzw. wird toleriert. Das ist aber nicht überall so. Polen oder Frankreich sind da viel strenger.
Wie viele neue Mitglieder und auch Geldmittel hat Ihr Verein im vergangenen Jahr gewinnen können? Die Sensibilisierung breiter Bevölkerungsschichten für das Thema Sortenvielfalt muss der Arche Noah viel Rückenwind beschert haben.
Einerseits bin ich sehr froh, dass das Thema so viel Widerhall gefunden hat, weil ich am Anfang gar nicht so sicher war, ob es nicht ein Thema ist, das für viele Menschen wahnsinnig weit weg ist. Aber die ganze Lebensmittelproduktion rückt auch immer näher in letzter Zeit und wird viel öfter thematisiert und ist nun ein stärkeres Anliegen geworden. Nach „Wo kommt eigentlich mein Essen her? Kommt auch schnell die Frage: „Wo kommt eigentlich mein Saatgut her?“ Dieses Bewusstsein hat der Arche Noah auf jeden Fall Rückenwind gegeben. Auch bei der praktischen Arbeit zum Thema Saatgut ist viel passiert. Viele haben sich interessiert, bei welchen Bauern mit Sortenvielfalt gearbeitet wird, wo man besondere Produkte beziehen kann, bis hin zu die Balkonkisteln in der Stadt, wo sie selber mit Saatgut arbeiten.
Strenge Richtlinien heißt minimale Unterschiede in Aussehen und Geschmack. Was ist wichtig an großer Vielfalt und wozu braucht es überhaupt Saatgutrichtlinien?
Wenn man mit Gartenbau und Landwirtschaft wieder aufhören würde, würde die Kulturpflanzen auch wieder verschwinden, weil sie erst im Zusammenhang mit der Landwirtschaft überhaupt entstanden sind und wild gar nicht vorkommen. Dadurch hat sich eine große Vielfalt entwickelt. Wenn wir jetzt so tun würden, also ob wir sie nicht brauchen würden, dann stimmt das einfach nicht.
Auch aus ökologischer Sicht wissen wir, dass sich eine Diversität das Ökosystem der Landwirtschaft positiv beeinflussen kann. In einem gesunden System können Krankheiten und Schädlinge viel besser ausbalanciert werden.
Ich persönliche brauche Vielfalt auch für die Lebensqualität. Ich möchte es mir nicht mehr vorstellen, wie es vor den Arche-Noah-Zeiten war, wo es fünf Apfelsorten gab und eine rote, runde Tomate. Das ist eine wahnsinnige, kulinarische Verarmung.
Bezüglich Saatgutrichtlinien: Natürlich ist eine Art von Einheitlichkeit für die Produktion wichtig. Die Saatgutrichtlinien gehen in ihren Anforderungen an die Homogenität jedoch oft weit über die Nützlichkeit hinaus. Für jemanden, der produziert, ist es günstig, wenn die Pflanzen eine gewisse Leistung erbringen, damit sich die Produktion überhaupt auszahlt und man einen entsprechenden Ertrag bekommt.
Aber es gibt auch viele Anforderungen, die an die Produktion herangetragen werden, aber nicht aus der Produktion selbst kommen, sondern aus dem Handel. Da geht es um Transport, Lagerung, Haltbarkeit, etc. Am anderen Ende der Kette steht der Konsument, der sehr unterschiedliche Anforderungen hat. Die Produktion hat also mit gewissen Anforderungen zu kämpfen, die mit sogenannten „alten Sorten“ nicht mehr leicht abzudecken sind, weil die nicht für heutige Produktionsbedingungen entwickelt wurden.
Arne Schulz vom Verein Kultursaat sagt, dass jährlich 5-10% der Saatgutvielfalt verloren gehen. Warum?
Die große darüber liegende Zahl ist die FAO-Schätzung, dass überhaupt seit 1900 Drei viertel der Kulturpflanzenvielfalt für immer verschwunden sind. Diese Prozesse setzen sich weiterhin fort, auch wenn ein paar Sorten in manchen Ländern einen Comeback feiern. Das hängt mit der Industrialisierung der Landwirtschaft, den Ernährungsgewohnheiten, dem Rückgang der Selbstversorgung, Krieg, etc. zusammen.
Ich möchte nicht wissen, wie viele Haus- und Hofsorten im Jugoslawien-Krieg verloren gegangen sind, weil die Leute flüchten mussten, nicht mehr selbst anbauen konnten und nachher gleich die großen Saatgutfirmen dagestanden sind und sehr offensiv versucht haben, diesen Markt für sich zu erobern.
Kann man alte Sorten zurückgewinnen?
Sehr schwer. Wenn Haussorten aus den kontinuierlichen Anbau verschwinden, können sie natürlich in Form von Sammlungen noch vorhanden sein, aber das ist ganz was anderes, weil sie nicht benützt werden und sich nicht weiterentwickeln können. Wenn sie auch nicht mehr in Sammlungen vorhanden sind, ist es verdammt schwer, das wiederherzustellen, weil man nicht weiß, wo man anfangen soll. Viele Lokalsorten haben sich jahrelang kontinuierlich entwickelt, wo man die Entwicklung nicht nachbauen kann. Weg ist weg.
Immer wieder ist von sogenannten Hybridformen die Rede: Was ist das eigentlich? Was heißt das für den Konsumenten, für die Konsumentin und was ist das Problem damit?
Man muss aufpassen, worüber man spricht. Im biologischen Sinne sind sie Kreuzungsprodukte verschiedener Arten. Wovon wir im Pflanzenbereich sprechen ist die Hybridzüchtung. Das bedeutet, dass zwei Elternlinien hergestellt werden, und kurz bevor das Saatgut auf den Markt kommt, werden diese Eltern miteinander gekreuzt. Aus der Kreuzung gehen dann wieder Samen hervor, die dann auf den Markt gebracht werden. Nach dem Mendel’schen Regeln ist es so, dass nach den Kreuzungen die Pflanzen der Generation in der äußeren Erscheinung komplett gleich sind. Das ist der Heterosis-Effekt. Für die Landwirtschaft ist das praktisch, weil alles gleich aussieht, gleich abreift und eben sehr viel Ertrag rauskommt.
Sozioökonomisch ist es jedoch problematisch, weil es im Endeffekt auch eine Methode ist, mit der man kein Saatgut sinnvoll selber nachbauen kann. Denn wenn man die Pflanzen wieder Samen bilden lässt, fangen diese in der zweiten Generation an, sich aufzuspalten und sehen alle total unterschiedlich aus. Hier gibt es keine kontinuierliche Weitergabe. Deshalb muss bei Hybridsorten das Saatgut immer gekauft werden. Auf biologischer Weise ist das wie ein eingebautes Copyright. Man muss sie jedes Jahr wieder kaufen. Viele Kulturgruppen sind schon Hybridformen wie der Mais, Broccoli, Karfiol, sehr viele Karotten und Tomaten sowie der ganze Kohlbereich.
Welche Arche-Noah-Projekte sind für die Zukunft geplant?
Generell sind uns neue Projekte für Sortenerhaltung wichtig – alle möglichen Angebote, wo Leute gern selbst in Sortenerhaltung und Sortenentwicklung einsteigen wollen. Die Menschen, die sich vorher nicht drübergetraut haben, selbst Saatgut zu machen, wollen wir unterstützen. Aber zum Glück gibt es auch hier schon viele Leute, die gute Erfahrungen haben. Außerdem haben wir noch ein wichtiges Projekt im Obstbereich. Seit gut 15 Jahren macht die Arche Noah Sortenrecherchen. Bestimmte Gegenden werden aktiv nach Sorten untersucht und protokolliert. Das Ergebnis dazu sind meistens einige moderne Sorten, viele ältere Standardsorten sowie seltene lokale Sorten. Dafür genügt es nicht zu sagen, wo die Bäume stehen, sondern es muss dafür gesorgt, dass es mehrere Standorte gibt. Es geht also in diesem Projekt darum, neue Streuobstwiesen mit seltenen Sorten anzulegen. Seit kurzem vergeben wir auch Patenschaften für diese Bäume.
Was kann ich als Hobbygärtner zu Sortenvielfalt beitragen?
Der erste Schritt ist es, wenn man selbst anbaut, etwas von dieser Vielfalt auszuprobieren. Denn die Kulturpflanzen gehören genau dahin: in die Erde, auf den Balkon und die Terrasse. Wichtig ist, die Pflanzen einmal kennenzulernen. Und das ist schon ein großer Schritt – danach kommt: anbauen, ernten, überlegen, was man damit kochen kann, etc. Auch die Arbeit mit Kindern ist etwas ganz was Tolles. Wenn Kinder schon mit den verschiedensten Sorten in Kontakt kommen, dann legt man hier den Grundstein, ob der Mensch im erwachsenen Leben daran interessiert ist oder nicht. Hier geht’s einfach um Ausprobieren.
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Beim Verein Arche Noah kann man übrigens aktiv werden. Einerseits als zahlendes Mitglied sowie Unterstützer, andererseits als Erhalter, indem man aktiv für die Sortenerhaltung arbeitet. Mit Geldspenden wird der Aufbau des Samenarchivs, die Betreuung des Netzwerks und das Aufspüren von gefährdeten Obstsorten unterstützt.