Bausatz für eine Zivilisation

Wir können autark leben, ohne unseren Lebensstandard aufgeben zu müssen, ist die Botschaft der Open Source Ecology-Bewegung – dazu braucht es nur das Know-how und dessen Verbreitung. Ein Baukasten mit Instruktionen und Werkzeugen soll es möglich machen, sich mit DIY-Maschinen und Mikroelektronik von wirtschaftlichen Abhängigkeiten zu verabschieden.

Marcin Jakubowsky ist Physiker, Landwirt, Erfinder und Visionär zugleich. 2003, nach Abschluss seines Nuklear-Physik-Studiums in Princeton, will der Endzwanziger anstatt eines Forschungsauftrags lieber etwas Handfestes lernen. Er kauft Land in Missouri und einen gebrauchten Traktor. Der Traktor geht kaputt, die Reparaturen verschlingen Geld, bis das Gerät schließlich ganz den Geist aufgibt. Jakubowsky ist pleite und erkennt: funktionstüchtige Maschinen für eine nachhaltige Landwirtschaft sind mit großem Kostenaufwand verbunden. Noch im selben Jahr gründet der gebürtige Pole »Open Source Ecology« (OSE), ein Netzwerk von Ingenieuren, Landwirten und Tüftlern, und stellt erste Baupläne für einen DIY-Traktor ins Internet. Gemeinsames Ziel ist das Global Village Construction Set (GVCS):  Ein Baukastensystem von 50 industriellen Maschinen, das sämtliche Bedürfnisse einer sich selbstversorgenden Gemeinschaft von 100–200 Personen abdeckt – für 10 bis 15 Prozent des herkömmlichen Anschaffungspreises.

Um die Auswahl der benötigten Gerätschaften zu treffen, zerlegte Jakubowsky das Ökosystem eines Dorfes in seine Bestandteile. Das heißt, von einfachen Straßen über Gebäude bis hin zur Energiegewinnung dekonstruierte er alles, was ein Dorf oder eine kleine Stadt bieten muss. Dann entwickelten er und sein Team Lösungen für Maschinen, Baustoffe und Architekturen, die umweltverträglicher, langlebiger und effizienter waren als alles, was gerade auf dem Markt ist. Die Erdziegelpresse beispielsweise dient dazu, Häuser aus unverarbeitetem Erdboden zu bauen. Kapazität: 16 Ziegel pro Minute, 5.000 Ziegel am Tag – genug für ein ganzes Haus. Die Pressmaschine kann aus Altmetall selbst hergestellt werden, der Bauplan steht im Internet, die dafür nötigen Ressourcen sind überall relativ billig zu erhalten. Der LifeTrac-Mehrzweck-Traktor kombiniert die Kraft eines Kompaktladers mit der Funktionalität eines Acker- oder Kettenschleppers mit verschiedenen Arbeitsaufsätzen. Der Clou dabei: Die Maschinen lassen sich wieder auseinandernehmen und zu neuen Werkzeugen zusammensetzen. Der Motor, der den Traktor betreibt, kann auf diese Weise genauso gut für eine Maschine verwendet werden, die einen Brunnen bohrt. Für alle Arbeitsgänge einer modernen Landwirtschaft genügen deshalb ein bis zwei Motoren. Dieses »Design-for-Disassembly« erlaubt dem Nutzer auch, die Werkzeuge selbst zu warten und sie sofort zu reparieren, ohne sich auf teures Servicepersonal verlassen zu müssen. Ein Induktionshochofen wiederum ermöglicht, aus Altmetall in dezentraler Art selbst die nötigen Ausgangsmaterialien für die Open Source-Maschinen zu gewinnen. Sechs weitere Prototypen – eine hydraulische Stahlstanze, ein automatischer CNC-Brenn-Schneidetisch, 3D-Drucker, Laser-Cutter, MicroTrac und die Erdmühle sind inzwischen ebenfalls fertiggestellt und erprobt.

Der Energiebedarf für die Factor e-Farm, eine Art überdachte Riesenwerkstatt mit ein paar Hühnern und Wohngebäuden, wird auf erneuerbarem Weg produziert. Die derzeitige Infrastruktur besteht aus der Aufnahme von Sonnenenergie, die in einer Solarturbine umgewandelt wird. Das Biomasse-Verflüssigungsverfahren ist für Jakobowsky ein Zukunftsweg, den er und sein Team bereits erproben. Konventionellen Biosprit sieht er kritisch: zu geringe Nettoenergiebilanz, zu viel Verschwendung von Pflanzenmaterial. Einer der nächsten Schritte ist für ihn die Entwicklung einer Open Source-Dampfmaschine. Sie sei viel effizienter als ein Dieselmotor, insbesondere, wenn man sie mit mikroelektronischer Steuerung optimiert. Weitere geplante Maschinen dienen zur energiesparenden Rohstoffherstellung, etwa der Aluminiumproduktion aus Ton und Bioplastikherstellung aus Pflanzen.

»Share design globally, but produce locally«, fasst der Erfinder seine Botschaft zusammen. Zentrale Schalt- und Verteilerstelle dafür ist ein eigens aufgesetzter Wiki auf der Projekt-Webseite. Hier unterrichtet man die weltweite Community mit Videos über tägliche Fortschritte, Menschen aus aller Welt können sich an der Weiterentwicklung der Technologien beteiligen. Eine angeschlossene Open Source-Agrarökologie hat das Ziel, das praktikabelste System dafür zu demonstrieren, 100-200 Menschen mithilfe von Permakultur zu ernähren. Jakobowsky und sein Team haben noch weitere ehrgeizige Pläne: Bis 2013 sollen alle 50 Geräte mit 3D-Designs, Schemata, Anleitungsvideos, Kalkulationen und Produkthandbüchern frei auf dem Open Source-Wiki zur Verfügung stehen. Um unabhängig zu bleiben, ist das Projekt während dieser Entwicklungphase auf Spendengelder angewiesen. Davon wird letztlich auch der zeitliche Fortschritt abhängen. Die langfristige Perspektive ist es, mit einer ökologisch angepassten und überall zugänglichen Technologie die Einstiegshürden in die Landwirtschaft zu verringern und die Gründung autarker und widerstandsfähiger Dorfgemeinschaften global zu unterstützen.

Auch die Nonprofit-Organisation TED (Technology, Entertainment, Design) hat den Wert der Initiative erkannt. TED steht für gemeinnützige Ideen, die es wert sind, verbreitet zu werden: Marcin Jakubowski wurde zum »TED 2011 Fellow« gewählt. Wie bei Linux wird das Open Source-Modell früher oder später seinen Weg in die konventionelle Geschäftswelt finden, was die Technologie weiter verbilligen und die Open Source-Produktionsweise, ohne es zu wollen, immer weiter verbreiten wird, ist Jakubowsky überzeugt. Die Zeit für Open Source-Hardware scheint also gekommen.

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