„Außerdem schmeckt es gut“ – Was uns Cato der Ältere über Kohl lehrt
Teil 1 unserer Serie ESSEN IN DER ANTIKE: Der römische Senator Cato hatte einiges für das Wintergemüse Kohl übrig. Er war ein früher Landwirtschaftstheoretiker und hatte auch seine Ansichten zum richtigen Stuhlgang.
„Kohl und wie er die Verdauung fördert: Es ist der Kohl, der alle anderen Gemüsesorten übertrifft. Iss ihn gekocht oder iss ihn roh; wenn du ihn roh isst, dann tauche ihn vorher in Essig. Er fördert die Darmaktivität wunderbar und auch der Urin ist gegen alle möglichen Beschwerden hilfreich.“
Nein, dieses Lob auf den Kohl stammt von keiner Grünkohl-Bewegung aus den USA, auch nicht von Anhängern der Eigenurintherapie. Es ist mehr als 2000 Jahre alt und stammt von Cato dem Älteren (234-149 v. Chr.).
Ja richtig, derselbe römische Senator, der unnachgiebig für die Zerstörung des bereits auf dem Boden liegenden Kontrahenten Karthago eintrat (Jeder kennt den Spruch:„Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden soll“), jedoch die Erfüllung seines Traumes um 146 v. Chr. knapp nicht mehr erlebte. Dieser Cato meinte im Übrigen eben auch, dass Kohl ein Allzweckheilmittel ist, und zwar in seiner Schrift „de agri cultura“ (über die Landwirtschaft), welche er um 150 v. Chr. herum verfasste. Es ist nicht nur das älteste Prosa-Werk in römischer Sprache, das uns erhalten geblieben ist, sondern auch ein universaler Guide für den Großgrundbesitzer des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts. Vom Kauf und der Bestellung eines Gutes, über Oliven- und Weinanbau bis hin zu Koch- und Ernährungstipps findet sich bei Cato so ziemlich von allem etwas, was es an Hausmitteln und Bauernweisheiten zu dieser Zeit gab.
Cato – der Konservative
Cato der Ältere, mit dem Beinamen Censorius versehen, wegen seiner strikten Ausübung des Zensorenamtes in Rom, war ein Beispiel römischen Republikanismus, wohl einer der konservativsten Politiker, der je das politische Parkett in Rom betreten hat. Der Luxus und die Öffnung der zur Weltmacht aufgestiegenen Stadt am Tiber waren ihm ein Dorn im Auge. Rom war ursprünglich eine einfache Republik von Bauern gewesen und so stand auch das Ländliche in der Staatsideologie betont im Vordergrund. Während sich die Griechen ihrer Philosophen und Gelehrten rühmten, verehrten Römer Figuren wie Cincinnatus, der als einfacher Bauer, aber genialer Feldherr, vom Senat zum Diktator bestimmt wurde und die Feinde Roms in weniger als 3 Wochen schlug, um danach unverzüglich aufs Feld zurückzukehren.
Cato war ein Anhänger dieser vermeintlich einfachen und tugendhaften Frühzeit des Bauernstaates, obwohl Rom natürlich schon lange nicht mehr diesem Klischee entsprach. Cato versuchte, dem verderblichen Einfluss von Luxussucht und Griechentum („Sie habe sich verschworen, alle Barbaren mit ihrer Medizin umzubringen, und das sogar gegen Bezahlung“) einen Ratgeber praktischen, römischen (Bauern-)Wissens entgegenzuwerfen. Es ist dabei nicht uninteressant, auf welche Weise man in der Antike versuchte, medizinischen Problemen zu begegnen. Denn die Menschen litten vor über 2000 Jahren an denselben Problemen wie heute, nur hatten sie keine Tabletten und synthetische Wirkstoffe, sondern orientierten sich an der Natur und deren Heilmitteln.
Und da wären wir jetzt wieder beim Kohl und – wenn man Cato glauben will – der Allzweckwaffe gegen körperliches Versagen: Bei Geschwüren und Ausschlägen aller Art, Polypen, Nacken- und Kopfschmerzen – lege zerriebenen Kohl drauf! Ohrenschmerzen? Träufle Wein mit zerriebenem Kohl ins Ohr! Gegen Gelenkskrankheiten, so Cato, gebe es sogar überhaupt kein wirksameres Mittel als rohen Kohl, vermischt mit Koriander und Raute, oder mit Essig und Salz. Den Bereich der inneren Medizin würde Cato, wenn er heute an der medizinischen Fakultät Vorlesungen halten müsste, in 2 Minuten abgedeckt haben: „Wenn der Gallensaft schwarz ist und die Milz geschwollen ist und wenn das Herz schmerzt, oder die Leber oder die Lunge oder das Zwerchfell, wird er (nämlich der Kohl) mit einem Wort alles heilen, was im Inneren Schmerzen versursacht.“ Wenn dem so wäre, hätten Medizin-StudentInnen wohl mehr Freizeit.
„Kohl für die Verdauung essen und dabei über die Zerstörung Karthagos sinnieren“
Das dem Kohl und vieler seiner Sorten heilsame Wirkung nachgesagt wird, kommt nicht von ungefähr. Die Menschen in der Antike verließen sich auf bewährte Hausmittel, auf Erfahrungswerte, auch wenn (oder besser gesagt: weil) sie selbst wenig Ahnung von der Anatomie und den chemischen Prozessen im Körper hatten. Whatever works. Heute kann die moderne Wissenschaft viele, wenn auch natürlich nicht alle, dieser Erfahrungswerte mit Daten und Fakten belegen und untermauern. Kohl soll das Immunsystem stärken, antibakteriell und antiviral wirken und tatsächlich Wirkung gegen Krebs zeigen.
Der Vorteil unserer heutigen Kultur ist, dass sie auf den Grundlagen beider großen antiken Kulturen basiert, der römischen und der griechischen. So können wir getrost Kohl für die Verdauung essen und dabei über die Zerstörung Karthagos sinnieren, aber auch den Hausarzt an den hippokratischen Eid erinnern und ihn um eine Magentablette bitten. Cato hatte zwar Recht, was die Zerstörung Karthagos und den damit zusammenhängenden Aufstieg Roms anbelangte, aber die Ärzte haben sich wohl eher doch nicht untereinander verschworen, um uns gegen Geld zu töten.
Zum Schluss noch ein besonderer „Cocktail“, den Cato denjenigen anbietet, die den Stuhlgang richtig anregen wollen: Ein Schweinsfuß (oder eine Keule mit möglichst wenig Fett), zwei Kohlstängel, zwei Mangoldstängel mitsamt Wurzel, etwas Farn, etwas Merkurkraut (antiker Name für Bingelkraut), zwei Pfund Miesmuscheln, einen Großkopffisch (eine Meeräschenart), einen Skorpion, sechs Schnecken und eine Hand voll Linsen. Alles gemeinsam kochen, bis das Fleisch gar ist. Dieses Gebräu mit Wein vermischen und mit Pausen dazwischen trinken. Dann Cato weiter: „Von den beschriebenen Bestandteilen kann jeder einzelne den Stuhl abführen. Doch es sind so viele Sachen, damit du richtig gut abführst“. Falls sich also jemand finden sollte, der den Selbstversuch antreten möchte – ich wäre an dem Erfahrungsbericht äußerst interessiert. Und auch, ob Cato mit seinem Schlusswort Recht behält: „Außerdem schmeckt es gut!“. Naja, de gustibus ist ja bekanntlich non disputandum.
Niklas Rafetseder ist Magister des Lehramtes Geschichte und Latein sowie Doktorand am Institut der Alten Geschichte in Wien. Seine Texte entführen in längst vergangene Zeiten und nehmen den Leser mit auf eine historische wie kulinarische Reise, auf der man erfährt, welche Speisen der große Dichter Homer seinen Helden servierte und auf welche Weise die Römer ihr Essen zubereiteten.