Auf Gedeih und Verderb vereint: Mensch & Kuh

In ihrer Heimat Jakutien (Russland) gibt es im Laufe eines Jahres schon einmal Temperaturunterschiede von über 100 Grad Celsius: Sacha Ynaga machte selbst den Nordosten Sibiriens besiedelbar

In ihrer Heimat Jakutien (Russland) gibt es im Laufe eines Jahres schon einmal Temperaturunterschiede von über 100 Grad Celsius: Sacha Ynaga machte selbst den Nordosten Sibiriens besiedelbar. (Foto: Ramona Waldner; © Werner Lampert GmbH)

„Den Klimawandel werden wir als Menschen nur mit dem Genmaterial indigener Tiere überstehen“, ist Werner Lampert überzeugt. Nun hat der Bio-Pionier – Lampert ist u.a. Gründer von Zurück zum Ursprung – weltweit alte, gefährdete Rinderrassen besucht, dokumentiert und würdigt in einem Prachtband die „Unberührte Schönheit“ der Tiere. Im Interview erzählt er, warum das Schicksal von Mensch und Kuh auf Gedeih und Verderb aneinander gebunden ist.

Las als Jugendlicher seinen Kühen Gedichte von Hölderlin vor: Bio-Pionier Werner Lampert

Las als Jugendlicher seinen Kühen Gedichte von Hölderlin vor: Bio-Pionier Werner Lampert

BIORAMA: Alexander Kluge nannte die Kuh in einem Gespräch mit Anselm Kiefer die „Poetin der Natur“. Lässt sich Ihr Bildband dementsprechend auch als Gedichtband lesen?

Haha, ja sicher. Doch.

Wie lange haben Sie denn an den 415 Seiten gearbeitet?
Insgesamt zwei Jahre. Zuerst habe ich mir Strukturen überlegt und bin der Frage nachgegangen, welche Kühe denn überhaupt indigene Rinder sind und habe mich mit Professoren beratschlagt. Dann habe ich mir ein Konzept gemacht, nach welchen Kriterien ich indigene Kühe auswählen möchte. Ich stütze mich dabei auf Daten der FAO. Insgesamt werden 1.000 Rinderrassen weltweit geführt. Von denen ausgehend habe ich jene eingegrenzt, die bedroht sind und eine kulturelle Bedeutung für ihre Region haben. Dann habe ich abgesehen von der Genetik auch geschaut, welche mir phänotypisch gefallen. Die Letztauswahl passierte nicht theoretisch, sondern mit dem Auge.

Gab es dabei auch Rinder, die es nicht ins Buch geschafft haben, weil Sie Ihnen zu „hässlich“ schienen?
Nein, aber ich habe sicher welche draußen gelassen, weil sie mich nicht angesprochen haben. Am Ende musste ich rein zahlenmäßig reduzieren. Das Buch sollte ja kein Katalog sein, sondern ein Gesamtwerk, das Zusammenhänge aufzeigt. Ich habe gruppiert und wollte keine „Einzelkühe“.

Sie schildern im Vorwort wie Sie in jungen Jahren Ihren im Halbkreis um Sie gescharten Kühen Hölderlin vorgelesen haben. Heutige Jugendliche würden Sie vermutlich für einen Spinner halten. Was halten Sie ihnen dagegen?
Ich schildere diese Szene vor allem, weil die Kühe an den folgenden Tagen immer wiedergekehrt sind. Es gab also großes Einvernehmen, die Tiere empfanden die Situation offensichtlich als etwas Gutes. Das würde ich dagegenhalten, weil es auch für mich etwas Gutes war. Etwas, das einen weiterbringt. Die Kühe haben am nächsten Tag auf mich gewartet, kaum hatte ich fertiggelesen zerstreuten sie sich wieder in alle Richtungen. Als Kind habe ich den Kühen vorgesungen, Gedichte vorgelesen. Kühe können Beziehungen zu uns aufnehmen und halten.

Nachfahren der Keltischen Kurzhornrinder: eine französische Aubrac-Kuh mit Kalb

Nachfahren der Keltischen Kurzhornrinder: eine französische Aubrac-Kuh mit Kalb (Foto: Ramona Waldner; © Werner Lampert GmbH)

Poesie, Mythen, Religion – die Kuh taucht immer wieder auf. Was macht denn die Kuh so romantisch im Vergleich zum Schwein?
Als Ausgangspunkt ist die Frage interessant: Warum haben die Menschen ein wildes, starkes, lebendiges Tier wie den Ur domestiziert? Der Auerochse war ja sowohl von seiner Größe als auch von seinem Temperament her ein ganz außerordentliches Tier. Und es war nicht naheliegend, den Auerochs zu domestizieren. Fleisch gab es leichter zu haben und Milch kann kein Antrieb gewesen sein, die kam erst 2.000 Jahre nach seiner Domestizierung ins Spiel. Es muss also was Besonderes gewesen sein, dieses Urrind. Auch domestiziert war der Auerochse ein Opfertier, das der Mond- und Vegetationsgöttin geopfert wurde. Die Kuh wurde nicht des Fleisches wegen gehalten oder um Milch zu trinken, um Reichtum zu haben, sondern um den Göttern zu opfern. Bis zum heutigen Tag ist das in pastoralen Rindergesellschaften Afrikas noch der Fall und hat 10.000 Jahre überdauert. Ich beschreibe im Buch auch wie indische Kühe eingesetzt werden, um ein Haus einzuweihen: Eine Kuh tritt vor dem Menschen über die Hausschwelle, denn mit der Kuh kommen die Götter. Das ist das Außerordentliche am Rind!

Die gemeinsame Geschichte von Mensch und Rind reicht 10.000 bis 12.000 Jahre zurück. Erst in den vergangenen Jahrzehnten kam es in unserer Gesellschaft zu einer Entfremdung. Ist diese Entwicklung unumkehrbar?
Ja. Es ist zu einer Verdinglichung gekommen. Rinder werden heute vollkommen artfremd gefüttert und rein als Nutztier gehalten. Die Kuh ist ein reiner Produktionsgegenstand geworden. Menschen leben nicht mehr mit Rindern, sondern nur mehr von Rindern. Ein Bauer hat mir vor einiger Zeit stolz seinen Stall gezeigt und meinte: ,Ich bin kein Kuhhalter, sondern ein Milchproduzent!‘. Das bringt es auf den Punkt. Um diese Situation zu kehren, müssten sich die Menschen, müsste sich die Landwirtschaft vollkommen verändern. Das werden wir beide nicht mehr erleben.

Bevor ich mit dem Buch begann war ich für 12 Wochen in Rom, unter anderem bei der FAO. Dort habe ich erfahren, dass die USA das Land sind, welches sich am wenigsten um die Bewahrung indigener Tiere einsetzt. Am meisten Geld gibt China dafür aus. Ich war ganz erstaunt als ich das gehört habe. Aber das Engagement der Chinesen ist rein ökonomischer Natur. Denn der Klimawandel wird Bedingungen schaffen, die unsere heutigen Hochleistungstiere nicht aushalten werden. Indigene Tiere sind allerdings gut angepasst. In der Mongolei oder in  Jakutien gibt es Tiere, die übers Jahr gerechnet einen Temperaturunterschied von 120 Grad aushalten, die trotzdem Milch geben und Kälber bekommen. Den Klimawandel werden wir als Menschen nur mit dem Genmaterial dieser indigenen Tiere überstehen.

Weniger als 20.000 Asturiana de la Montana weiden heute noch im spanischen Asturien – hier auf einer Winterweide.

Weniger als 20.000 Asturiana de la Montana weiden heute noch im spanischen Asturien – hier auf einer Winterweide. (Foto: Ramona Waldner; © Werner Lampert GmbH)

Ihr Bildband ist nicht nur eine Reise zurück zum Ursprung der urtümlichen Rinderrassen der Welt. Im Buch gibt es auch ein Kapitel über „Taurin in Asien“, den Inhaltsstoff von Red Bull, das Gründer Dietrich Mateschitz reich gemacht hat. Mateschitz gehört auch der Servus Verlag, in dem Ihr Buch erscheint. War Red Bull der Anknüpfungspunkt?
Nein, gar nicht. Das Buch war fix und fertig, von mir finanziert bis ins letzte Detail. Ich hab mit Doktor Steiner bereits meine letzten beiden Bücher gemacht. Ich hab ihm mein Projekt gezeigt. Er hat gesagt, er möchte das gern machen. Red Bull war kein Thema.

Vor einiger Zeit tauchten Berichte von Bauern auf, die in die Gegend von Fukushima zurückkehrten, um sich wieder um ihre nach dem Reaktorunfall zurückgelassenen Rinder zu kümmern. Was denken Sie, wenn Sie so etwas hören?
Menschen und Tier sind unglaublich an Standort und Region gebunden, wo sie über Generationen gelebt haben. Auch aus der Ukraine wissen wir, dass die Tiere wieder zurückgekehrt sind, Menschen teilweise auch. All das führt auch in unsere Gegenwart: Unsere Landwirtschaft wird nur bestehen, wenn sie eine authentische, aufrichtige regionale Bindung hat. Eine Landwirtschaft, die für den Weltmarkt produziert, wird ohne Bedeutung für uns sein.

Was vereint denn die Menschen, die sich um den Erhalt ursprünglicher Rinder kümmern? Haben wir es mit einem besonderen Menschenschlag zu tun?
Zunächst einmal sind das Menschen mit Gedächtnis, die sich einer Tradition verbunden fühlen. Aber natürlich gibt es auch Wissenschaftler, denen einfach bewusst ist, dass der Genpool für das Überleben der Menschheit wichtig sein wird. Die engagieren sich rein pragmatisch. Biodiversität ist unser aller Lebensgrundlage. Vielfalt zu bewahren ist ja kein romantischer Zug, sondern eine Lebensnotwendigkeit. Wahrscheinlich übrigens auch bei kultureller Vielfalt.

Glauben Sie persönlich an eine Rückkehr alter Rassen in unsere Landwirtschaft?
Das wird noch ein bisschen dauern, aber: ja!

Was bräuchte es für ein Revival? Eine noch größere Krise?
Eine noch größere Krise wird nicht mehr notwendig sein, sehen Sie sich doch an was politisch passiert, schauen wir nach Paris, was gerade geballt über die klimatische Krise thematisiert wird. Was ist da noch notwendig? Ich denke, das ist nun nur noch eine Sache des Bewusstseins. Wir werden uns Fragen stellen müssen, ob es wirklich notwendig ist, dass eine Kuh im Jahr 14.000 Liter Milch gibt oder ob es nicht besser ist, wenn sie an den Standort und sein Klima angepasst mit dem Futter der Gegend auskommt. Es wird ein langsamer Bewusstseinswandel kommen. Nicht zuletzt sind alte Rassen ja auch wahnsinnig schön. Wenn Sie sich einen Pustertaler Sprinzen ansehen, da kann einem das Herz im Körper hochspringen wie wahnsinnig schön und vital dieses Tier ist.

Mit 600 Pustertaler Sprinzen ist diese vitale Rinderrasse stark vom Aussterben gefährdet. 180 Tiere leben in Südtirol, 420 in Österreich.

Mit 600 Pustertaler Sprinzen ist diese vitale Rinderrasse stark vom Aussterben gefährdet. 180 Tiere leben in Südtirol, 420 in Österreich. (Foto: Ramona Waldner; © Werner Lampert GmbH)

Wie geht es einem als Natur- und Tierliebhaber und Autor eines Buchs über die „Unberührte Schönheit“ ursprünglicher Rinderrassen, wenn man als Unternehmer die Milch von versehrten, also enthornten Kühen vermarktet? Ein Spagat?
Der Spagat ist die Lebenswirklichkeit. In Österreich sind heute 95 Prozent aller Kühe enthornt, vielleicht sogar 98 Prozent. Die Enthornung wurde auf landwirtschaftlichen Kursen gelehrt, auf Universitäten. Es ist so wie es ist. Die Frage lautet: Wie kann man das Beste rausholen?! Aber ich kenne viele Bauern, auch Junge, die ihren Kühen wieder die Hörner lassen. Da passiert schon etwas. Es gibt wieder Menschen, die sagen: Okay, das ist der falsche Weg. Wir müssen umkehren. Ich sehe wachsende Achtsamkeit. Ich möchte aber nichts verschweigen. In meinem Buch gibt es ein ausführliches Kapitel über die Funktionalität und Wichtigkeit von Hörnern.

Meinen Sie, dass es möglich wäre, analog zur Heumilch auch eine „Hornmilch“ zu vermarkten?
Durchaus denkbar, ja. Die müsste man aber Ab-Hof verkaufen. Sonst gäbe es dafür momentan einfach zu wenig Milch. Wobei Demeter-Milch ja mehr oder weniger „Hornmilch“ ist. Aber ich habe mittlerweile auch schon einmal enthornte  Demeter-Kühe gesehen.

 

cover_Pirenaica_Foto und credits Ramona Waldner

„Unberührte Schönheit. Reisen zu den ursprünglichen Kühen der Welt“ von Werner Lampert ist im Servus Verlag erschienen.

Thomas Weber, Herausgeber von BIORAMA, unterstützt als „Erbe“ das kulinarische Erbe der Alpen.

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