#Armeleuteessen Tag 5: Diskussionsbedarf
Bei Twitter empfinden die meisten Kommentatoren #armeleuteessen als ziemlich unverschämt. Über das, was auf den Teller kommt, zu diskutieren, ist eben schwierig.
Da haben wir uns bei Biorama ganz schön etwas eingebrockt. Mit dem Selbstversuch #armeleuteessen wollen wir der Frage nachgehen, ob es möglich ist, sich vom Mindestsicherungs-Budget bio, gesund und abwechslungsreich zu ernähren.
Wir wollen unsere eigenen Vorurteile – „bio kann sich jeder leisten, man muss nur wollen“ zum Beispiel – und andere Vorurteile – „ausgewogene Ernährung ist für arme Menschen nicht möglich“ z.B. – überprüfen. Ergebnisoffen.
Für viele Twitter-Nutzer ist das Vorhaben eine skandalöse Verunglimpfung von Menschen, die in relativer Armut mitten in unserer Gesellschaft leben. Wer die Diskussion über unseren kollektiven Selbstversuch #armeleuteessen bei Twitter verfolgt, der liest viel davon, dass es zynisch sei, sich vom Budget eines Empfängers der Mindestsicherung zu ernähren, wenn man kein Mindestsicherungs-Empfänger ist. Der liest von „Hipstern, die mal auf arm machen“ und viele moralische Pauschalverurteilungen für die Aktion. Dass es schwierig ist, über Armut zu reden, und dass dann auch noch in Verbindung mit dem Thema Nachhaltigkeit – das haben wir auch vorher gewusst. Welches soziale Thema ist heutzutage kein Minenfeld? Wie heftig die Kritik am Selbstversuch ausfällt, das ist trotzdem überraschend.
Wer darf über Armut reden?
„Mal ein paar Tage „Arm“ spielen ist sicher total witzig für irgendwelche Schnösel“ meint @Miss_Paran0ia. „Für Menschen, die Mitte des Monats noch mit ein paar Euro auskommen müssen, ist das ein Schlag ins Gesicht“ schreibt @MonaMisa, als ob das für viele der am Selbstversuch teilnehmenden völlig fremd wäre, und „wir spielen mal einen Monat arm, und erzählen HartzIV-Empfängern im Anschluss, dass sie sich nicht so anstellen sollen.“ Dabei hat noch niemand irgendein Fazit aus dem Selbstversuch gezogen, dessen Ziele andere sind, wie man nachlesen könnte, wenn man wollte.
Es bleibt die Feststellung, dass bei denen, die sich bei Twitter über #armeleuteessen aufregen, der Grundsatz gilt: über Armut reden dürfen nur Arme. Wäre das wirklich so, dann hätten es Arme wohl noch schwerer als sie es ohnehin haben, wenn es darum geht, ihre Ansprüche, Interessen und Perspektiven zu verteidigen und geltend zu machen.
„Bei diesem #armeleuteessen Ding, zieht ihr eh die teuren Gewürze daheim, die Depressionen, die Dampfgarer, Porzellanmesser usw ab, oder?“ möchte @_behave_ bei Twitter wissen. Für meinen persönlichen Selbstversuch kann ich dazu sagen: Ich besitze nichts von dem, was sie aufzählt, und unter Depressionen, die bei der Kommentatorin kurzerhand zum Luxus werden, leide ich auch nicht.
#preiswertBio hätte es auch getan
„Schon die Wahl des Hashtags ist komplett scheisse. #preiswertBio hätte es statt #armeleuteessen auch getan“ twittert @DanielaKayB. Darüber lässt sich diskutieren. Der Hashtag ist provokant gewählt. Das war so beabsichtigt. Offenbar ist Arme-Leute-Essen für viele extrem negativ konnotiert, manche wollen darin sogar einen Aufruf zum Aufessen armer Leute lesen. Das ist natürlich Quatsch. Wir haben bei #armeleuteessen eher an einfache Gerichte gedacht, die jeder aus Kinder-, Studien- und allen anderen Tagen kennt, und daraus entstand der Gedanke zur Frage, ob diese einfachen, preiswerten Gerichte auch in Bio-Qualität einfache, preiswerte Gerichte, die sich jeder leisten kann, sind. Natürlich hat das Ganze auch einen normativen Kern. Der lautet, dass sich jeder eine nachhaltige, gesunde, abwechslungsreiche Ernährung leisten können sollte.
Dass daraus viele nun ableiten, wir würden armen Leuten zeigen wollen, dass sie sich falsch ernähren, lässt sich nicht so leicht ändern. Ein Missverständnis eben.
Es ist nicht leicht, über gesunde, abwechslungsreiche, nachhaltige Ernährung zu reden. Bei dem Thema fühlen sich viele von weltfremden Öko-Fuzzis moralisch gegängelt und verteidigen ihren 1-Euro-Burger als Ausdruck von Freiheit. Dass es nicht leichter wird, wenn man das Thema Armut zusätzlich ins Spiel bringt, ist nicht sonderlich überraschend. Wie leistbar hochwertige Lebensmittel sind, interessiert uns dennoch. Wir werden den Fragen weiter nachgehen.