„Was wir als Bio angeboten bekommen, ist nicht mehr als eine Summe von Industriekriterien“ – Christian Seiler über anständiges Essen
Das Symposium „Anständig Essen“ findet auch heuer wieder statt – am 27. und 28. März in Bad Hofgastein. In diesem Jahr lautet das Diskussionsthema „Was bringt Bio wirklich?“. BIORAMA hat mit Veranstalter, Moderator und Kolumnist Christian Seiler gesprochen.
BIORAMA: Sie sind ein profilierter Foodist, veröffentlichen regelmäßig Artikel zu Ernährung und Kulinarik, gelten als überzeugter Kämpfer für Nachhaltigkeit beim Essen. Wie beeinflusst das Ihr persönliches Kochen?
Christian Seiler: Stark. Das Wunderbare an meiner Arbeit ist, dass ich ständig etwas lernen kann, und das setze ich natürlich im Rahmen meiner Möglichkeiten zu Hause um. Das gilt sowohl für den Einkauf von speziellen Produkten wie auch für deren Zubereitung. Ich fürchte allerdings, dass ich ein besserer Einkäufer als Koch bin.
Um Bioprodukte ist ein regelrechter Hype ausgebrochen. Lebensmittelketten bieten inzwischen Bio-Produktlinien an, die in Massen produziert werden. Bio als Massenkonsumgut – wie passt das mit dem Grundgedanken von biologischen Produkten hinsichtlich Nachhaltigkeit zusammen?
Es ist ein Dilemma, ganz klar. Dass Bioprodukte industriell hergestellt werden, klingt paradox, ist aber Realität. Was wir als„Bio“angeboten bekommen“, ist nicht mehr als eine Summe von Industriekriterien – wie viel Quadratmeter Auslauf hat ein Huhn in der Hühnerfabrik, etc.
Mit unserer naiven Vorstellung von Bio hat das genauso wenig zu tun wie die hübschen Bilder von weidenden Kühen auf den Milchpackerln. Aber mir sind diese weichen Bio-Kriterien trotzdem lieber als gar keine Kriterien.
„Handelt es sich bei Bio um einen Marketingschmäh?“ ist eine Frage, der im Rahmen des Symposiums nachgegangen werden soll. Was denken Sie? Ist Bio ein reiner PR-Gag?
Das Marketing für Bio ist jedenfalls sehr gut. Man kauft sich mit jedem Bioprodukt auch das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Das muss man kommunikationsmäßig erst einmal hinkriegen, Respekt.
Auf der anderen Seite hindert auch uns Städter niemand daran, tiefer zu gehen und unser Essen bei Produzenten einzukaufen, die wir kennen und deren Arbeit uns verlässlich scheint – Stichwort: Fleisch bei Klaus Dutzler oder Christoph Wiesner, Käse bei Stephan Gruber, Gemüse bei der Ochsenherz-Genossenschaft – Sie kennen diese Adressen ja.
Sich allein im Supermarkt anständig zu versorgen, ist da schon schwieriger, weil ganz schnell unterschiedliche Kriterien – bio, regional, saisonal – durcheinanderkommen. Es ist ziemlich leicht, ziemlich viel falsch zu machen.
Apropos PR-Gag: Roland Düringer – einer der Redner am Symposium – zieht er mit dem angeblichen Verzicht von Auto, Internet und Handy auch einen PR-Gag durch? Ist so ein Leben in der heutigen Zeit noch möglich? Könnten Sie sich solch ein Leben für sich selbst vorstellen?
Düringer ist vom Saulus zum Paulus geworden, aber mit einer ziemlich beeindruckenden Konsequenz. Seine Lebensweise halte ich für in etwa so brauchbar wie die Paläo-Diät. Ich halte auch die Aussagekraft des Experiments für beschränkt. Früher war schließlich nicht alles besser. Umgekehrt bringt nicht jede Innovation tatsächlich Fortschritt. Ich behalte mir aber vor, optimistisch zu bleiben.
Welche Frage werden Sie allen Rednern am Symposium stellen? Was wird für Sie am interessantesten sein?
Auf der zehnteiligen Bioskala: Wie bio ist Ihr Leben? (Meines: sechskommafünf). Darüber hinaus wird interessant sein, wie die verschiedenen Positionen von Theoretikern und Praktikern zusammenpassen. Als bio geht, wie gesagt, ziemlich viel durch, und es wird eine Anstrengung von „Anständig Essen“ sein, die Schnittmengen der verschiedenen Definitionen zu benennen und die Abweichungen zu diskutieren.
Am Schluss wird es von Gastro-Superstar Konstantin Filippou ein mehrgängiges Menü geben. Sie kennen Filippou persönlich, er hat ja sogar schon in Ihrer eigenen Küche gekocht. Gehören Haubenküche und Bio-Zutaten untrennbar zusammen?
Nicht unbedingt. Große Köche wie Konstantin Filippou und Walter Eselböck suchen immer in erster Linie nach dem puren, wahren Geschmack. Da ist sorgfältig und langsam produziertes Gemüse und Fleisch natürlich im Vorteil, was der Grundidee von Bio nahekommt: keine künstliche Wachstumsbeschleunigung, keine Turbo-Düngung. Welches Produkt das beste ist, entscheiden diese Köche aber nicht, indem sie Etiketten sortieren, sondern indem sie aufmerksam verkosten.
Das Symposium findet heuer zum dritten Mal in Bad Gastein statt. Wo funktioniert Bio besser – Stadt oder Land?
Kann man von zwei Seiten sehen. Natürlich ist das meiste Streuobst, das man sich am Land aus den Obstgärten holt, bio – ohne dass ein Bio-Inspektor das bestätigen würde. Die Obst- und Gemüsekompetenz der Frauen am Land ist beeindruckend.
Gleichzeitig zögern viele Bauern nicht, ihre Felder mit dem übelsten Sprühgift einzunebeln, weil ihre Erträge dadurch größer werden. Auch so ein Paradoxon. In der Stadt gibt es ein kritischeres, aber auch inkompetenteres Publikum, das sich gesünder ernähren möchte und großen Wert auf Bio legt. Die brauchen Bio als Leitplanke.
Vor ungefähr einem Jahr haben Sie im „Süddeutsche Zeitung Magazin“ folgendes geschrieben: „Wir mögen es nicht bitter, nicht sauer und nicht herb. (…) Wir mögen Salz, und wir mögen Fett. (…) Vor allem aber mögen wir es süß.“ Steht denn der Geschmack bei Bio überhaupt noch im Vordergrund?
Die Tomaten, die ich für teures Geld beim Biosupermarkt Denn’s kaufe, schmecken oft nach gar nichts. Umgekehrt stoße ich – um jetzt nicht noch einmal die Produkte meiner vorher schon genannten Lieblingsproduzenten ins Spiel zu bringen – auf die Heumilch von Ja!Natürlich, die mir besser schmeckt als jede andere Milch. Du weisst nie vorher, was wirklicht gut schmeckt. Du musst immer probieren.
Am Symposium geht es auch um Ausprobieren und selbst kosten. Weine aus konventioneller Herstellung werden mit Bio-Weinen verglichen? Erkennt denn Ihr Gaumen den Unterschied zwischen einem Bio- und einem Nicht-Bio-Tropfen?
Gerade beim Wein ist es leichter, den Unterschied herauszuschmecken, als bei anderen Produkten. Meistens unterscheiden sich Bio-Weine extrem von konventionellen Weinen, das hat mit der Ideologie der Winzer zu tun. Viele Biowinzer machen Wein, indem sie die heiklen Prozesse auf dem Weinberg, bei der Lese und schließlich im Keller eher geschehen lassen als sie in jeder Phase zu kontrollieren. Konventionelle Weine werden gemacht.
Bioweine entstehen, und manche von ihnen sind ganz schön wild. Ohne jetzt für die einen oder anderen Weine Partei zu ergreifen: man kann sie nicht verwechseln. Eduard Tscheppe wird in Gastein sogar zeigen, wie unterschiedlich Weine schmecken, die in unmittelbarer Nachbarschaft wachsen und entweder bio oder konventionell verarbeitet werden. Spannend. Ich freue mich schon sehr auf diese Verkostung.
Wenn Sie an Bio denken, welches Produkt fällt Ihnen dann spontan ein?
Die Rohmilchbutter vom Rehenbergvorsäß im Bregenzerwald. Matassa blanc. Und die Äpfel von meinem Apfelbaum im Weinviertel.
Gerade ist Fastenzeit. Ist das für Sie ein Thema?
Heute nicht.
Mehr Informationen gibt es unter www.anstaendigessen.com.