Angst essen Saitan auf
Karen Duve hat einen Selbstversuch gewagt: Ein Jahr lang ernährte sich die Autorin zunächst biologisch, dann vegetarisch, vegan und schließlich frutarisch. Ein Buch über vermeintlich bewusste Ernährung, Massentierhaltung und Bio-Paranoia – und eine ethische Gretchenfrage, die Gedanken neu ordnet.
Eier aus biologischer Tierhaltung sind quasi ausverkauft. In ganz Deutschland. Konventionelle Eier gebe es auch, aber die will keiner mehr. Die Erklärung für dieses Verbraucher-Verhalten ist aber keine plötzlich von statten gegangene Bewusstseinsbildung für nachhaltig-biologischen Nahrungsmittelkonsum. Die Erklärung ist bei weitem einfacher – und viel gefährlicher: Gift. Auf deutschen Bauernhöfen haben Hühner, Puten und Schweine vergiftetes Futter gefressen. Ein Futtermittelhersteller hatte technische Fette in die Tiernahrung gemischt, die normalerweise in der Diesel-Produktion verwendet werden. Eier und Fleisch der Tiere sind dioxinvergiftet, die Menschen nehmen das Gift auf, wo es sich in Leber und Gewebe einlagert. Mahlzeit. Deutschland hat also einen handfesten Lebensmittel-Skandal und Karen Duve ein weiteres Argument für ein Leben ohne Fleisch und ihr Engagement als Tierschützerin.
Grillhähnchen ohne Gewissen
Nicht erst seit Jonathan Safran Foers Bestseller „Tiere essen“ wird darüber diskutiert, ob Massentierhaltung und steigender Fleischkonsum in einem kausalen Zusammenhang mit dem Ende der Menschheit stehen könnten. Umwelt- und Tierschutzorganisationen wie Global 2000 oder Vier Pfoten rufen zu weniger Fleischkonsum auf und bereits Albert Einstein hat festgestellt: „Nichts wird die Chance auf ein Überleben auf der Erde so steigern wie der Schritt zur vegetarischen Ernährung“. Vor allem in den Schwellenländern sorgen steigende Einkommen, das Bevölkerungswachstum und die Verstädterung für eine wachsende Nachfrage nach Fleisch. In den Entwicklungsländern hat sich der Fleischkonsum zwischen 1980 und 2005 auf 30,9 Kilo pro Person im Jahr mehr als verdoppelt. In China vervierfachte sich der Verbrauch sogar auf je 59,5 Kilo (http://www.fao.org). Die UNO rechnet bis 2050 mit einer Verdoppelung der jährlichen Fleischproduktion auf 463 Millionen Tonnen weltweit und fordert mehr staatliche Kontrolle und internationale Regelwerke. Fleischkonsum schadet Tieren, Klima und Gesundheit sagen Tierschutzorganisationen und bewerten den Verzehr von Fleisch schon mal als „moralische Verfehlung“. Tatsache ist, dass Fleisch vom Luxus- zum Billigprodukt geworden ist, der Preis für ein eingepacktes Supermarkt-Hähnchen jedoch nur vermeintlich ein ziemlich günstiger ist. Und genau hier beginnt Karen Duves Geschichte. Im Supermarkt, beim Grillhähnchen um 2,99 Euro. „Je günstiger der Preis, desto unerfreulicher die Bedingungen“, gibt ihre Mitbewohnerin, von Duve als das personifizierte Gewissen ins Spiel gebracht, zu bedenken. Das ist der Tag, an dem Duve beschließt, „ein besserer Mensch zu werden“, wie sie selbst es nennt. Zwischen den Schicksalsgeschichten ihrer Haustiere, Berichten über globale Umweltkatastrophen und anfänglichen Schwierigkeiten bei veganen Einkaufstouren versucht sie in „Anständig essen“ ihr persönliches, in vielen Belangen zur Gewohnheit gewordenes Konsumverhalten genauso zu hinterfragen, wie die Praktiken der Massentierhaltung und den Einfluss der Lebensmittel-Lobby auf die Politik.
Früchte aus dem Paradies
Am Anfang dieses Selbstversuches steht wohl ein gewisser ethischer Anspruch, den Duve mehr und mehr für sich zu entdecken versucht. Immerhin lebt es sich am Land mit Hund, Huhn und Marmelade machenden Nachbarn ja schon ziemlich gut und irgendwie liegt ja schon ein Hauch von Bio in der Luft. Aber da geht noch mehr, denn literweise Cola light und besagte Grillhähnchen-Pfanne um 2,99 Euro wollen so gar zu den Dingen passen, die „ein besserer Mensch“ konsumiert. Um sich den Einstieg in ein neues Leben mit Gewissen etwas zu erleichtern, führt Duve ihre bisherige Fehlernährung erst einmal mit Bio-Lebensmittel fort, ernährt sich dann zwei Monate lang vegetarisch (kein Fisch, kein Fleisch), dann vegan (kein Fisch, kein Fleisch, keine Eier, keine Milchprodukte), tauscht ihre Daunenfeder-Decke gegen eine Decke aus Kunststoff ein, besorgt sich ein veganes Portemonnaie.
So weit so gut. Wo allerdings Zweifel aufkommen, ist die von Duve immer wieder indirekt getätigte Aussage, dass ein Verzicht auf Fleisch oder tierische Produkte aus jemanden einen „besseren Menschen“ macht. Die Ansichten von diversen Gesprächspartnern, die Duve für Recherchen zu ihrem Buch besucht, weisen teilweise radikale Tendenzen auf. Und spätestens als sie sich mit einem gewissen Typen namens Fruchtesser trifft, der – als hätte man es geahnt – Frutarier ist, hört sich der Spaß auf. Der erzählt Duve nämlich nicht nur, dass er schon seit seiner Kindheit Frutarier ist, weil die im Paradies auch nur Früchte gegessen haben sollen. Außerdem, sagt er, würden die meisten Frutarier, wenn’s hart auf hart kommt – also in einer lebensmitteltechnischen Notsituation – durch Prana überleben. Prana ist feinstoffliche Lichtnahrung. Dass Duve diesen pseudowissenschaftlichen Humbug völlig unkommentiert stehen lässt, ist mehr als fragwürdig.
Auf Seite 266 stellt schließlich Karen Duves Verleger, der – in ihren eigenen Augen – moralisch kaum mehr zu toppenden Frutarierin, die nur mehr isst, was eine Pflanze ihr freiwillig gibt, die Gretchenfrage des Buches: „Dann darfst du wohl auch keine Baumwolle mehr tragen?“ Doch, darf sie. * „Ich schick dir mal ein Buch über die Zustände auf den Baumwollfeldern in Usbekistan,“ sagt er und plötzlich ist klar, was seit 266 Seiten stört: Karen Duve vergisst vollkommen auf die sozial nicht nachhaltige Produktionsweise der Industriegesellschaft. Der Verleger spricht dies erstmalig an. Biologische Nachhaltigkeit kann nicht ohne sozial-ökonomischer Nachhaltigkeit gedacht werden. Duve vergisst vollkommen auf die Menschen, die (oft unfreiwillig) Teil des Produktions- und Konsumationsprozesses sind – und nebenbei noch eine ganze Menge anderer Dinge. Nichts, aber auch wirklich gar nichts von dem was wir essen, an unserem Körper tragen oder womit wir uns umgeben, ist ethisch gesehen vollkommen unbedenklich. Um ein Leben als „besserer Mensch“ zur führen, müssten wir uns schon in Luft auflösen. Bevor die Autorin also an der schwer zu vereinenden Mischung aus Information, Aufklärung und vermeintlicher Witzigkeit scheitert, hätte „Anständig essen“ mit der Einsicht beginnen müssen, dass die Sorge um sich selbst und nicht die um das Hühnchen in Massentierhaltung an erster Stelle steht. Eine Autorin, die durch einen Selbstversuch wie diesen die bewusste Auseinandersetzung mit dem, was wir essen, zum Thema eines Buches macht und es über weite Strecken hinweg nicht schafft, Fertiggerichte aus ihrem Speiseplan zu streichen, ist unglaubwürdig. Kochen als „etwas für Tagediebe und masochistische Hausfrauen“ zu bezeichnen und Essen an sich als Nebensächlichkeit abzutun, hinterlässt nicht viel mehr als eine hochgezogenen Augenbraue. „Anständig essen“ ist ein Angstbuch, dass zwar viele wichtige Aspekte einer fleischlosen Lebensführung behandelt, die gesamtgesellschaftlichen Wurzeln der steigenden Fleischproduktion und des steigenden Fleischkonsums jedoch über weite Strecken hinweg ausblendet.
Johanna Stögmüller
Karen Duve
„Anständig essen – Ein Selbstversuch“
Verlag Galiani, Berlin
http://www.galiani.de
22. Januar 2011
Wien, Rabenhoftheater, gemeinsam mit Jonathan Safran Foer
* Die Herstellung von Baumwolle zerstört nämlich nicht die Pflanze.