Am Anfang ist das Material
Am Ende auch. Mode ist eine Einbahnstraße in Richtung Müll, auf der immer schneller gefahren wird. Die Plattform circular.fashion will sie zu einem Rundweg umbauen – mithilfe von Informationen. Denn damit Kleidung gleichwertig recycelt werden kann, müssen alle Beteiligten jederzeit wissen, woraus sie besteht.
Ein T-Shirt, gestern gekauft, das heute schon nicht mehr »joy sparkt« – weg damit. Ausmisten ist Volkssport geworden, die Textilverwertungsbranche spürt es an den Jahr für Jahr wachsenden Mengen an Altkleidern. Aber was heißt schon alt? Viele Kleidungsstücke, die im Container landen, sind kaum getragen. Die Modeindustrie verschlingt ungeheure Ressourcen und scheidet sie nach kürzester Zeit als Müll wieder aus. Oder im besten Fall als Putzlappen oder Dämmmaterial für Autos. Ein armseliges Ende für den ungeheuren Einsatz von Wasser, Energie, Chemikalien und nicht zuletzt Arbeitskraft, den die Herstellung von Kleidung erfordert.
Herausforderung Textilrecycling
Warum geht das nicht besser? Problem 1: Der Materialmix.Die meisten Kleidungsstücke bestehen aus Mischgeweben wie Wolle mit Polyacryl oder Baumwolle mit Elastan. Und selbst T-Shirts aus Baumwolljersey werden in der Regel mit einem Polyesterfaden genäht. Diese Mischungen lassen sich kaum noch in sortenreine Materialien trennen und wiederverwerten.
Problem 2: Die Sortierung. Im Moment wird der Inhalt von Altkleidercontainern meistens von Hand sortiert. In der Regel ist aber für das menschliche Auge nicht erkennbar, woraus ein Kleidungsstück besteht. Selbst wenn es aus vollständig recyclingfähigen Materialien hergestellt wurde, landet es mit großer Wahrscheinlichkeit im großen Haufen für den Schredder.
Nora Sophie Griefahn ist Geschäftsführerin des Vereins Cradle to Cradle e. V., der sich für die Entwicklung geschlossener Materialkreisläufe einsetzt und der Textilindustrie gerade erst einen Jahresschwerpunkt gewidmet hat. Sie erklärt: »Es reicht eben nicht, sich erst am Ende der Produktlebensdauer zu überlegen, was man mit den Materialien anfangen kann. Es muss von Anfang an mitgeplant werden.«
Putzlappen? Da muss doch mehr gehen.
Genau dieser Gedanke treibt auch Ina Budde um. »Ich habe mich immer gefragt: Was ist eigentlich die dauerhaft nachhaltige Lösung?«, erzählt die Modedesignerin und Beraterin. »Denn selbst wenn wir beispielsweise immer mehr Biobaumwolle verwenden, verbrauchen wir trotzdem eine Menge Ressourcen und haben am Ende nur noch Abfall.«
Schon als Studentin entwarf sie daher Kollektionen, bei denen nicht nur der Prozess bis zum fertigen Kleidungsstück unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten geplant war, sondern auch das Ende der Nutzung und das Recycling gleich mitbedacht wurden. Die Idee ließ sie nicht los, und nach Ende ihres Studiums fing sie an, Modefirmen zu beraten, die ihre Produkte kreislauffähig gestalten wollen.
Sie recherchierte Materialien, die sich ohne Qualitätsverlust recyceln lassen, machte sich Gedanken über ressourcensparende Schnitte und sprach vor allem immer wieder mit VerwerterInnen, um zu erfahren, was eigentlich technisch möglich ist. »Es gibt heute Methoden, die denen beim Papierrecycling ähneln. Dabei werden Stoffe in ihre molekularen Bestandteile zersetzt und zu neuen, hochwertigen Fasern ausgesponnen. Aber dazu müssen definierte Ausgangsmaterialien bei den richtigen Verwertungsfirmen landen.«
Nachhaltigkeit braucht Informationen
Und genau das ist der Knackpunkt: Die Informationen über ein Kleidungsstück und seine Materialien begleiten nicht seinen gesamten Lebensweg, sondern gehen normalerweise unterwegs verloren. Budde erzählt: »Mir war schnell klar, dass es eine Plattform geben müsste, die den Informationsfluss garantiert: auf der die EndkundInnen sehen, wo sie die Kleider zurückgeben können, und die Sortierfirmen nachschauen können, was für ein Material sie vor sich haben und wo es dafür die technischen Möglichkeiten zum Recycling gibt.«
2017 begann sie, diese Plattform unter dem Namen circular.fashion selbst aufzubauen, gefördert von einem Start-up-Stipendium der Freien Universität Berlin. Inzwischen arbeitet sie mit einem achtköpfigen Team in Berlin an der Weiterentwicklung. Was genau bietet die Plattform?
In der Materialdatenbank können DesignerInnen und HerstellerInnen kreislauffähige Materialien vom Stoff bis zum Knopf mit den entsprechenden Bezugsquellen recherchieren. Außerdem finden sich Infos über Verwertungsbetriebe, die in der Lage sind, die entsprechenden Fasern auch in gleichbleibender Qualität zu recyceln.
Die Sammlung von Designrichtlinien enthält eine Fülle von Ideen, wie Kleidungsstücke so entworfen werden können, dass sie möglichst wenige Ressourcen verbrauchen, eine möglichst lange Lebensdauer haben und restlos recycelbar werden. Das können Schnitte sein, die kaum Materialreste produzieren, oder Entwürfe für Kleidungsstücke, bei denen die besonders beanspruchten Stellen extra verstärkt sind. Manchmal sind die Lösungen auch ganz simpel, wie die Verwendung von Knöpfen oder Innenfutter, die so auf das Hauptmaterial abgestimmt sind, dass sich alles zusammen recyceln lässt. Diese Ideen können die NutzerInnen der Plattform verwenden und in eigene Entwürfe umsetzen.
Für fertige Designs können sie nach Prüfung der Kreislauffähigkeit eine scanbare ID anlegen, die in jedes Kleidungsstück eingenäht wird. Sie leitet die KäuferInnen auf die Plattform, wo sie Auskunft über Herkunft und Verarbeitung, aber auch Pflegehinweise bekommen. Wird das Kleidungsstück aussortiert, können sie wiederum scannen und nachsehen, was jetzt damit passieren soll. Nimmt die Marke das Teil zurück, um es entweder in eigenen Secondhand-Shops erneut zu verkaufen oder an spezialisierte Verwertungsfirmen weiterzuleiten? Oder soll es in den Altkleidercontainer wandern? Dann könnten im nächsten Schritt die Sortierbetriebe anhand der ID erkennen, aus welchen Materialien es besteht und wo es recycelt werden kann.
Endlich im Kreis denken
Zugegeben, das ist Zukunftsmusik. Ob SortiererInnen einmal im großen Stil IDs scannen werden, hängt davon ab, ob sich das circular.fashion-System durchsetzt und die ID zum Industriestandard wird. Parallel arbeitet Ina Budde an einer Software, die auch bei Kleidungsstücken ohne ID die Materialzusammensetzung erkennen soll.
Genau das ist aus Sicht von Nora Sophie Griefahn von Cradle to Cradle e. V. entscheidend: »Wenn Materialkreisläufe funktionieren sollen, müssen die Recyclingfirmen von vornherein mit eingebunden werden. Sie müssen in Zukunft vor allem Rohstoffe verwerten, statt sich als reine Abfallunternehmen zu betrachten. Aber dafür braucht es andere Logistiksysteme, und eine Plattform wie circular.fashion ist dafür ein gutes Beispiel.«
Aktuell haben erst einzelne Designstudios als PilotkundInnen mit circular.fashion gearbeitet, darunter das Hamburger Label Jan ’n June, das sein Augenmerk auf ökologische, faire Kleidung legt. Aber das Interesse an Know-how zu kreislauffähiger Mode ist auch bei etablierten konventionellen Modemarken wie Hugo Boss oder Zalando groß, die bei Ina Budde Workshops buchen.
Denn auch bei den Großen ist längst angekommen, dass die etablierte Mode-Einbahnstraße vor allem eines ist: Verschwendung, nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus ökonomischer Sicht. Damit sich das System ändert, muss sich allerdings das Denken ändern, und zwar bei allen Beteiligten. Deshalb plant das Team um Ina Budde für April 2019 eine Crowdfunding-Kampagne. Sie soll ihre Idee einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen. Und irgendwann ist es vielleicht sogar möglich, die aktuell kostenpflichtige Plattform zu öffnen, damit sich das Know-how zu kreislauffähiger Mode schneller verbreiten kann.
BIORAMA #60