Alt-Hippies, rechte Populisten, Millennials und Neue Aufrichtigkeit
Der Wiener Autor Markus Lust hat seinen ersten Roman geschrieben. Semmelmenschen heißt er. Es geht um Österreich.
Im Romandebüt „Semmelmenschen“ (Achse Verlag) des ehemaligen Chefredakteurs von Vice Alps geht es um einen Millennial, der als Online-Journalist sein Geld mit halbironischen Texten verdient. Dann verbringt er ein Wochenende mit dem Vater seiner Freundin, einem Alt-68er, der ganz und gar nicht ironisch ist, und der mit einer Runde aus vorbestraften Ex-Kommunarden ein Konzert gegen den jungen, rechten Bundeskanzler Österreichs veranstalten will.
Die Grundidee zum Roman hatte Markus Lust schon seit fast zwei Jahrzehnten in seiner Schreibtischschublade. Erst ein Interview mit Österreichs Innenminister gab den Anstoß, den Roman tatsächlich zu schreiben. Lust und seine Protagonisten begeben sich darin auf die Suche nach dem Erbe der 68er-Bewegung. Wir haben uns mit dem Autor zum Gespräch getroffen.
Dein Roman ist vor ein paar Wochen erschienen. Wie läuft es denn so damit?
Markus Lust: „Das kann ich gar nicht so genau sagen. Die erste Lesung war jedenfalls super. Richtige Wohnzimmeratmosphäre.”
So wünscht man es sich wohl als Buchautor.
Markus Lust: „So ein Abend ist der kleine Pay-off. Weil mein größtes Problem bei allen Dingen, die ich mache, ist, dass es nie den Moment gibt, in dem ich mich zurücklehne und mir denke: Das ist cool, was ich da gemacht habe.”
„Semmelmenschen“ ist ja bereits dein zweites Buch. War es bei deinem ersten Buch “111 Gründe, Wien zu hassen” auch so?
Markus Lust: „Das war ganz ähnlich. Da gab es auch nie den einen Erfolgsmoment. Es ist ja auch schwer festzumachen, wo dieser Moment liegen könnte. Ist er dann, wenn du das Manuskript abgibst? Oder dann, wenn du die Druckfahnen siehst? Oder wenn das fertige Ding da ist? Oder erst wenn die PR-Arbeit erledigt ist? Es gibt immer einen nächsten Schritt.”
Entstehen Bücher bei dir im Stress auf den letzten Metern?
Markus Lust: „Ja. Das würde ich schon sagen.”
Bist du, während du schreibst, sehr kritisch gegenüber deinem eigenen Text?
Markus Lust: „Natürlich. Und das ist ja auch gut so. Natürlich hat man an Literatur einen hohen Anspruch. Aber das ist oft auch ein bisschen vermessen. Literatur muss keine Bildsäule sein, die man direkt in Stein meißeln könnte. Es darf auch einmal ein bisschen rougher sein. Das ist zumindest mein Ansatz. Man muss einen Text auch einfach einmal abgeben können.”
Kannst du mit negativen Kritiken entsprechend entspannt umgehen?
Markus Lust: „Mir hat jemand auf Twitter die erste Amazon-Review für mein Buch geschickt. Das war am Tag der Lesung. Da hat jemand dem Buch einen einzigen Stern gegeben und dazu sowas geschrieben wie: Habe das Buch noch nicht gelesen. Autor stellt es heute in Wien vor. Deshalb nur ein Stern. Es ist gar nicht das negative Feedback, das mich nervt, sondern das teilnahmslose. Es ist vermutlich eine journalistische Berufskrankheit, dass man jeden Kritiker am liebsten packen würde, und ihm erklären möchte, wie man etwas wirklich gemeint hat. Diesem Feedback-Loop entziehen sich anonyme Amazon-Reviewer natürlich systemisch. Das ist irgendwie schwierig.”
Beantwortest du allgemein gerne negative Kommentare zu deinen Texten?
Markus Lust: „Klar. Dass man einen kommunikativen Schaden hat, ist wohl einer der Gründe, weshalb man überhaupt schreibt. Es ist ja eigentlich widernatürlich, den Anspruch zu haben, irgendwem irgendwas über irgendwas aufzuschreiben. Man könnte seine Meinung ja auch für sich behalten. Die Notwendigkeit, etwas loszuwerden, ist wahrscheinlich schon eine Neurose, denke ich mir. Ich will, dass die Leute mich aus dem richtigen Grund hassen. Wenn mir jeder Online-Reviewer einen Stern gibt, aber ich habe das Gefühl, die haben mein Buch verstanden, ist das voll okay. Natürlich hat man als Autor viel Zeit in sein Buch investiert. Für alle anderen ist es ein Produkt von Tausenden. Das muss man akzeptieren können. Kann ich aber nicht.”
Mit „Semmelmenschen“ hast du dich – zumindest gedanklich – schon sehr lange beschäftigt. Hast du Angst, Feedback für etwas zu bekommen, dass dich schon besonders lang beschäftigt?
Markus Lust: „Das spielt eigentlich keine große Rolle für mich. Das Projekt ist ja sehr lange gelegen. Den ersten Draft habe ich schon vor 19 Jahren geschrieben. Das ist absurd lange her. Damals war das in Wirklichkeit ein ganz anderes Buch. Ein sehr stream-of-consciousness-mäßig geschriebenes Buch, ein bisschen wie Jack Kerouac. Damals habe ich sehr viel Beat Generation gelesen und ich wollte auch so etwas mit Flow schreiben. Flow ist mir wichtig.”
Und konntest du an den Flow von vor zwei Jahrzehnten noch irgendwie anknüpfen?
Markus Lust: „Nein, gar nicht. Ich dachte die ganze Zeit: Ich habe da etwas Altes, das ich nur grob überarbeiten muss. Das Gegenteil war der Fall. Erstens, weil ich nicht mehr ich von vor 19 Jahren bin, und zweitens, weil meine Idee von damals keine wirklich Geschichte enthielt. Der Kern des Buchs ist ja real. Meine erste Freundin hatte einen Vater, der Dealer war und seit 10 Jahren nach Deutschland abgehauen war. Der kam irgendwann zu Besuch und wir sind mit ihm auf’s Land gefahren. Daraus wurde dann statt eines Nachmittagsausflugs ein dreitägiger Trip. Ich habe das damals schon als ein Sinnbild empfunden, das sich vor mir ausgebreitet hat. Ich hatte davor keinen Kontakt zu Alt-68ern, zu Hippies, Menschen die in einer Kommune gelebt haben und schon einmal im Gefängnis waren. Das war alles einfach weird für mich.”
Für „Semmelmenschen“ hast du also rund um den wahren Kern eine Geschichte erfunden?
Markus Lust: „Genau. Die Fiktionalisierung im Roman beginnt bei dem Konzert gegen Kurz. Das gab es in echt nicht. Damals gab es nur eine CD-Präsentation. Jemand hatte irgendwelche alten Jam-Sessions auf CD gebrannt. Die Geschichte brauchte aber ein Ziel, auf das hin man lesen will. Deshalb habe ich das Konzert erfunden.”
Aber dein dreitägiger Eindruck aus der Hippie-Runde vor 19 Jahren ist bis heute aktuell?
Markus Lust: „Im Wesentlichen ja. Ich habe natürlich vieles aktualisiert. Was mir wichtig war, ist zum Beispiel, dass ich eine weibliche Person – eine Dealerin – dazuerfunden habe. In Wirklichkeit war diese Gruppe viel chauvinistischer. Das ist ja auch ein Punkt im Roman, dass die Alt-Hippies eine Ignoranz gegenüber Gender-Klischees haben, die sie aber nicht ablegen wollen, weil sie sich für total aware halten. Die kannst du nicht missionieren, weil sie glauben, schon aufgeklärt zu sein. Die sagen: Erzähl mir nichts. Wir sind schon vor 30 Jahren nackt im Matsch herumgelaufen. Um diesen Nudelsalat ein bisschen aufzulösen, musste ich meiner Meinung nach eine Frau dazuerfinden. Solche Dinge habe ich gemacht. Aber im Kern sind die Charaktere relativ unverändert. Ich musste sie natürlich älter machen.”
Was war denn eigentlich nach 19 Jahren der Anlass für dich, das Buch zu schreiben?
Markus Lust: „Der Anlass war ein Interview mit Herbert Kickl. Darin sagt er, dass die FPÖ die Funktionen der 68er übernommen habe. Ich habe ja ganz lange überlegt, was ich aus meiner uralten Idee machen kann. Aber mir hat ein bisschen die Dringlichkeit gefehlt. Warum eine Hippie-Geschichte erzählen? habe ich mich gefragt. Als ich dann das Interview mit Kickl gelesen habe, dachte ich mir: Jetzt habe ich’s. Dazu kam eine zweite Sache. Nämlich ein Artikel im Atlantic: How America Lost Its Mind. Da ging es um die Frage, wo dieses ganze Alternative-Facts-Gerede von Donald Trump seinen Anfang genommen hat. Der Autor des Artikels verfolgt das zurück bis zur 68er-Generation und sagt: Eigentlich kommt das von den Hippies. Es gibt nämlich so einen linken Think-Tank in Big Sur, wo die Hippie-Bewegung begonnen hat. Der heißt ,Esalen’. Und dort wurde tatsächlich die Hippie-Philosophie mehr oder weniger auf dem Reißbrett entworfen. So nach dem Motto: Wir brauchen etwas Fernöstliches, ein paar buddhistische Elemente und so weiter. Das war Anfang der 1960er Jahre. Das Institut gibt es immer noch, ist jetzt aber ein Retreat, wo Menschen hinfahren, um auszuspannen. Das fand ich irgendwie spannend. Zu diesem Hippie-Zugang zur Welt gehört auch, zu behaupten, dass nicht wichtig ist, was objektiv stimmt, sondern was jeden individuell betrifft und was man fühlt. Das stand damals in dem Atlantic-Artikel und als ich es gelesen habe, hat es bei mir geklingelt: Diese Haltung wurde inzwischen von rechter Seite übernommen.”
Also ist die These von Herbert Kickl gar nicht so falsch?
Markus Lust: „Ich finde, dass sich Kickl in seinem Zitat bereits selbst entlarvt. Die Hippie-Bewegung war darauf ausgelegt, dass du jede Woche zu einem Meeting gehst und dass du in eine Kommune ziehst, in der man dann miteinander lebt. Ich weiß nicht, wieviel Gemeinschaftssinn die FPÖ stiftet, abgesehen von der virtuellen Gemeinschaft, die sie konstruiert, indem sie den Menschen erzählt, sie seien Teil von etwas Großem. Ich weiß nicht, ob es viele Community-Funktionen der FPÖ gibt. Was ich Kickl allerdings abkaufe, ist die Affinität zum Postfaktischen, die die Hippies auch hatten.”
Wenn Alt-Hippies und Rechte sich diese Affinität teilen, ist sie vermutlich verbreiteter, als man annimmt.
Markus Lust: „Wahrscheinlich schon. Die Wirtschaftskammer hat vor ein paar Monaten in einer großen Out-of-Home-Kampagne auf Plakaten für Humanenergetik geworben. Da hat man einen Typen gesehen, der am Schreibtisch unter der Last seines Jobs zusammenbricht. Und hinter ihm konnte man eine halb-durchsichtige Version von ihm sehen, seinen Geist, der sich erhebt und durch Humanenergetik wieder neue Energie findet. Das ist kompletter Bullshit, wie Homöopathie.”
Gibt es überhaupt neue Hippies?
Markus Lust: „Es hat sich total aufgesplittet, wie alles im 21. Jahrhundert.”
Klingt postmodern.
Markus Lust: „Ich bin kein großer Fan von Postmoderne. Ich bin eher Fan von dem, was danach kommt. Und meiner Meinung nach ist das treffendste Modell dafür die New Sincerity, die neue Aufrichtigkeit. Weg von Alles-Zynisch-Sehen, wie es die Postmoderne noch tut, von ,Simpsons’ bis ,Family Guy’. Da wird alles mit Augenzwinkern gesagt, alles ist voller Anspielungen und Fußnoten. Aber daraus wird kein Ausweg geboten. Das ist zynisch. New-Sincerity ist anders. Ich schaue zum Beispiel gerade die Serie ,Community’ wieder, eine von Dan Harmon geschriebene Sitcom ohne eingespielte Lacher. Da geht es um eine sehr heterogene Gruppe von Leuten, die auf einem Community College landen, dem schlechtest möglichen Bildungsweg in Amerika. Aus irgendeinem Grund versteht sich diese Gruppe als Community. Die Serie wird als ein Ausläufer der New-Sincerity-Bewegung gesehen. Sie beginnt sehr postmodern. Es gibt sogar einen Charakter, der die ganze Zeit Fernsehserien zitiert. Aber gleichzeitig ist die Serie am Ende sehr aufrichtig. Es geht ihr nicht darum, die Leute zu verarschen. Das ist eben dieses New-Sincerity-Ding: Sachen ernst zu meinen. Die Hippies haben auch nichts ironisch gemeint. Eine andere Ausprägung von New Sincerity sind sicherlich moderne Protestbewegungen, also auch die Gillets Jaunes, die Gelbwesten, die zeigen, dass es große Bewegungen noch gibt.”
Sind die Hippie-Figuren deines Romans aufrichtig?
Markus Lust: „Gegenüber der restlichen Gesellschaft waren die Hippies in den 1960er Jahren wahrscheinlich nicht verdrossen. Heute sind sie es. Diese paar Typen, die da übriggeblieben sind, sind alle gebrochene Typen.”
Die Hippies im Roman bezeichnen Sebastian Kurz als Baby-Hitler.
Markus Lust: „So gebrochen sie auf der einen Seite sind, so sicher sind sie sich auf der anderen Seite darüber, wer ihrer Feindbilder sind.”
Baby-Hitler taucht in deinem Roman immer in eckigen Klammern auf. Wieso eigentlich?
Markus Lust: „Die Idee an diesem ganzen Baby-Hitler-Ding war, es offen zu lassen, ob die eckigen Klammern eine Art von Redigatur sind, die im Nachhinein passiert ist. Man könnte es ja auch so lesen, als wäre es ausgeschwärzt worden. Es ist unklar, ob es ein Begriff ist, den die Leute tatsächlich gesagt haben. Es wird ja auch indirekte Rede immer in eckigen Klammern verwendet. Das führt zum eigentlichen Thema, nämlich zu unzuverlässigen Erzählern und unzuverlässigem Erzählen. Das habe ich ja ein paar mal untergebracht, mit Pierre Bourdieu und der biographischen Illusion und so. Da geht es darum, dass man nicht Illusion erliegen darf, dass man die Geschichte erst von ihrem Ende her erzählt.”
Ich fürchte, ich habe das nicht ganz verstanden. Was hat dein Roman mit Pierre Bourdieu zu tun?
Markus Lust: „Naja. Also das Konzept von Biografischer Illusion, darüber denkt der Schreibende nach. Und auch über das unzuverlässige Erzählen. Anhand eines Beispiels: Man kann heute keine Geschichte über John F. Kennedy erzählen, ohne zu bedenken, dass er am Ende gestorben ist. Das heißt: Jede Geschichte über John F. Kennedy wird dieses Ende in sich tragen. Alles wird dadurch ein bisschen traurig und wehmütig. Eine Geschichte darüber, dass Kennedy 1961 herumgefickt hat, wird es ohne diesen Kontext nie geben. Diese Rückwärtsbelastung, das ist das, worüber Bourdieu sagt: Vorsicht. Denn Erlebnisse werden erst im Nachhinein zu Geschichten. Ich versuche das im Roman auch formal durchzuziehen. Denn das Ende des Romans – auch wenn ich das nicht spoilern will – ist ein kompletter Bruch. Das ist fast schon ein Science-Fiction-Ende und hat wenig mit dem Rest zu tun. Aber das weiß man das ganze Buch über nicht. Es gibt eine Stelle im Roman, an der thematisiert wird, dass der Haupt-Charakter entlarvt wird. Er redet vom Sex mit seiner Freundin und am nächsten Tag kommt heraus, dass sie gar nicht mit ihm im Zelt war, und dann erzählt er die wahre Geschichte. Ich habe das deshalb eingebaut, weil es natürlich ein Gag ist. Aber das wirklich Wichtige ist, dass der Protagonist die vermeintliche Wahrheit erzählt, nämlich am Vortag gelogen zu haben. Aber wo erzählt er diese Wahrheit? Dieser Typ erzählt ja nicht, während es passiert, sondern hat es offensichtlich nachher geschrieben. Die Wahrheit ist ja weiterhin fiktionalisiert. Gäbe es den Charakter tatsächlich, wäre er ein Typ, der Monate nach dem Sex dasitzt und hintippt: Oh, jetzt gerade habt ihr mich beim Lügen erwischt. Und dann revidiert er. Das macht ja eigentlich keinen Sinn. Also es spielt immer die Frage mit, wo Literatur überhaupt passiert. Passiert die Geschichte, während sie erlebt wird, oder während sie aufgeschrieben wird?”
Was bedeutet diese Frage für dein eigenes Schreiben?
Markus Lust: „Ich wollte etwas schreiben, dass sich anfühlt, als wäre es Music. Es sollte sich anfühlen wie Online-Journalismus, etwas das nebenbei passiert, und das nicht ganz fertig ist. Das war schon ein bisschen Absicht. Die Hauptperson des Romans ist ja selbst auch Online-Journalist, und das wollte ich abbilden. Natürlich hinkt man der Wirklichkeit immer hinterher. Ich weiß nicht, ob man das alles in ein paar Jahren noch versteht.”
Macht es dir etwas aus, wenn man manche Stellen deines Romans irgendwann einfach nicht mehr versteht?
Markus Lust: “Nein. Es ist eine Grundsatzentscheidung des Schreibenden, ob sein Werk einen Ewigkeitsanspruch erheben soll oder ein zeitgeistiges Ding sein soll.”
Kann man überhaupt bewusst Literatur mit Ewigkeitsanspruch schreiben?
Markus Lust: „Ich glaube schon. Goethes Faust zum Beispiel ist seiner eigenen Zeit sehr entrückt. Die Rede bei Faust, die mit ,Da stehe ich nun, ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor’ zum Beispiel, die enthält ja eine Aufzählung von Laffen, Doktoren, Magistern, Schreibern und Pfaffen. Zu Goethes Zeiten hat man das als absteigende Ordnung verstanden, bei der die Pfaffen ganz am Ende standen. Das war eine Art Seitenhieb. Ich glaube, das versteht heute kein Mensch mehr, der nicht Literaturwissenschaftler ist.
Ist dein Roman auch ein Buch über aktuelle österreichische Politik?
Markus Lust: „Ja, das würde ich schon sagen. Es ist ja überhaupt eine interessante Sache, dass österreichische Politik so en vogue geworden ist, und dass sich Leute wie Jan Böhmermann mit Österreich beschäftigen. Das hätte wohl niemand voraussagen können.”
Woran liegt es denn?
Markus Lust: „Dahinter steckt wohl dieses Gefühl, dass sich das ganze Land anfühlt wie eine Folge Black Mirror. Ich glaube, Böhmermann hat das einmal so getwittert. ,Österreich ist wie eine Black Mirror Folge von Deutschland’. Es hat etwas Skurriles. Man sieht Österreich von außen als Biotop und Testballon. Es ist ja auch tatsächlich so. Für den Mobilfunkmarkt zum Beispiel ist Österreich der Testballon Europas. Ein lustiges Land, mit Bergen, dünn besiedelt, viele Herausforderungen. Aber es nimmt dennoch niemand Österreich ernst. Es ist unbedeutend.”
Du hast immerhin einen Roman drüber geschrieben.
Markus Lust: „Ja, weil ich da lebe. Ich wäre sehr froh, wenn ich das nicht müsste. Das ist ja das Problem, wenn man schreibt. Die Muttersprache ist eine Hürde. Jeder kann gut genug Englisch, um irgendwas Englisches zu schreiben. Aber man wird eben nie so gut Englisch schreiben wie ein Muttersprachler, einfach weil man die kulturellen Codes nicht checkt. Worüber sollte ich schreiben, wenn nicht über Österreich? Ich brauche zum Schreiben schon mein österreichisches Umfeld. Gleichzeitig finde ich es schade, denn ich denke, ich hätte lieber ein anderes. Viele Themen im Roman sind natürlich auch verallgemeinerbar und nicht spezifisch österreichisch.”
Das unzuverlässige Erzählen …
Markus Lust: „ … oder das ganze Thema Sinnsuche. Einer der ersten Sätze, die ich mir als Notiz aufgeschrieben habe, ist, dass die Hippies im Roman nicht wirklich Freiheit anstreben, sondern Konsequenzenlosigkeit. Das ist schon ein Ding, das sich verallgemeinern lässt, nicht nur über Staatsgrenzen hinweg, sondern auch über Generationen hinweg. Das gilt nämlich auch für meine Generation. Wir reden gerne über Freiheit, aber was wir meinen, ist in Ruhe gelassen zu werden.”
Steckt dann vielleicht darin das Erbe der Hippies?
Markus Lust: „Vielleicht ja. Es ist schwierig. Die teilnahmslosen Millennials, die nur in Ruhe gelassen werden wollen, werden am Ende des Romans in die Verantwortung genommen. Der Hauptdarsteller ist ja genau so einer. Der ist konsumsüchtig und kann sich am besten entspannend, wenn er umgeben von Konsum ist. Das ist das genaue Gegenteil der Hippies. Der will nicht aufs Land zum Digital Detox. Der will drinnen sein und sich durch Produkte in andere Leben hineinträumen. Er beginnt als der Typ, der in Anspielungen, Film- und Musikreferenzen denkt, und in seinen freien Minuten davon träumt, was er für Reden halten würde. In den Hippies sieht er nur die Chance, eine Geschichte über sie zu schreiben. Er ist so eine Art Claas Relotius Light. Er ist bereit, seine Texte zu biegen. Die Hippies sieht er nur zoologisch. Irgendwann sieht er sie allerdings nicht mehr zoologisch. Dieser Typ, der ganz zynisch beginnt, wird im Laufe der Geschichte ehrlicher. Schließlich tanzt er sogar mit den Hippies. Und das bleibt dann doch hängen – bei mir jedenfalls.”
Achse Verlag
Paperback
416 Seiten
Format 13,0 x 19,0 cm
1 Auflage, 2018
19,99 € inkl. MwSt.ISBN: 978-3-9504514-1-2