Alpine Crossing – Tag 9, Moos im Passeiertal: Nicht weit ins Himmelreich
100 Meter oder 10 Minuten – so weit ist das Himmelreich von der Schutzhütte St. Martin und dem auf über 2.000 Meter höchst gelegenen Bergwerks Europas, dem Schneeberg Passeier, entfernt. Nicht, dass wir – die mittlerweile nur noch rund 30 deutschen, österreichischen und italienischen JournalistInnen – diese Distanz noch zurücklegen müssten, wir fühlen uns schon jetzt wie im Paradies: Das liegt nicht nur an der herzlichen – und durch den „Schneeberggeist“* hochprozentigen – Begrüßung durch Heinz, Wirt und Direktor des heutigen Erlebnismuseums. Die Wanderung zu diesem ehemaligen Knappendorf, das seit einem Brand im Jahr 1967 leer steht, gehörte zum Schönsten, was wir die letzten Tage auf der Alpine Crossing 2011 erlebt haben.
Seit 1995 betreibt Heinz die 100-Betten-Schutzhütte und kümmert sich um die kilometerlangen Stollen, die zu einem Bergwerksmuseum umgebaut wurden. Dort im Gebiet Schneeberg, wo 800 Jahre lang Blei und Zink abgebaut wurde, lebt er seit 1995 vier Monate im Jahr, von Juni bis Oktober, fernab der Zivilisation. Aber keine Angst, es ist für ihn gesorgt: Alle zwei Wochen wirft ein Helikopter bis zu 1.000 Tonnen an Lebensmitteln, Hygieneartikeln und was man sonst noch braucht ab. Was der Hubschrauber nicht kann, das besorgt das Internet, wozu gibt´s schließlich Wlan?! „Wir sind eben auf der Höhe“, meint Heinz, der extra für uns seine Hütte zwei Wochen vor der Saison geöffnet hat, „im doppelten Sinn!“ Sagt und singt uns zum Abschluss gemeinsam mit dem Hirten Franz noch ein Ständchen…
Urige, echte Typen wie Heinz sind es, die unseren Aufenthalt im Südtiroler Moos im Passeiertal, die seit 1. Januar 2010 bei den Alpine Pearls dabei sind, zu einem wirklich gelungenen Abschied von der Alpine Crossing 2011 machen. Sie scheinen von einem besonderen Schlag zu sein, die Hinterpasseirer: Ein gutes Beispiel dafür ist auch Johannes Haller, der Mitgründer und Betreiber des Bunker Mooseum. Aus einem der 300 ehemaligen Bunker, die Mussolini aus Misstrauen gegenüber seinem Verbündeten Hitler in der Gegend zwischen 1940 und 42 bauen ließ, hat er 2010 eine der spannendsten „Heimatmuseen“ gemacht, das ich kenne: Warum? „Ich bin neugierig“, kurz und bündig ist Johannes`Erklärung – und die Begeisterung liegt wohl in der Familie: Schon sein Vater hat Zeitzeugenberichte gesammelt und Bücher geschrieben, Bruder Harald hat das nahe Andreas-Hofer-Museum am Sandhof gegründet. Der Erfolg gibt Recht: Schon in der ersten Saison haben 7.500 Gäste den Bunker besucht, im nächsten Jahr soll die 10.000er Grenze erreicht werden. Übrigens, wer Interesse am Mooseum hat, muss online gehen. Auf die Frage, ob Johannes eine Visitenkarte (bei sich) hat, antwortet er mit einem Lachen: „Na!“
Bei einem harmlosen Spaziergang passiert es, dass man hier einen Bauern im karierten Hemd und mit Hosenträger dabei beobachtet, wie er mit der Sense das Gras mäht. Ein anderes Mal überrascht mich plötzlich eine Kuh, die als „Haustier“ im Garten gehalten wird. Zu schön um wahr zu sein? Nein, „es stimmt einfach alles“, sind wir JournalistInnen uns einig. Dass bei all diesem Heidi-Land-Feeling auch das Thema Nachhaltigkeit nicht zu kurz kommt, dafür sorgt unter anderem Dr. Maria Gufler, seit 10 ehrenamtlich im Tourismusverein, Gesellschafterin der Tourismus Management Group und unsere Betreuerin in dieser Perle im Naturpark Texelgruppe, dem Größten seiner Art in Südtirol.
Der 25.9.2007 ist ein bedeutender Tag für die Gemeinde Moos im Passeiertag: Fast drei Jahre vor dem Beitritt zu den Alpine Pearls wurde ein Schranken aufgestellt, der die Fraktion Pfelders zum ersten Auto freien Ort Südtirols macht. Während der Wintermonate dürfen die zahlreichen Tagesgäste des Familienskigebiets nicht mit dem Privat-PKW in die engen Straßen des Dörfchens fahren – sehr zur Freude der Touristen, die „hinter dem Schranken ihre Ruhe haben sollen“, wie Luis Hofer vom Skilift Pfelders Gmb erklärt. Mobil ist man dennoch, aber eben auf sanfte Weise: Hoch zu Ross, mit einer dreimal am Tag verkehrenden Pferdekutsche, Liftanlagen, Gondel, zwei E-Rädern, Mountainbikes und auf den Wanderwegen, die auf jeder Höhenlage zu finden sind. Neben dem ganz gewöhnlichen City-Bus, der nur im Winter fährt („im Sommer wäre er störend, da ist nur Wandern angesagt“ – so Maria Gufler), gibt es besonders für die Kinder und Abenteuerlustigen einen kleinen Zug, der Passagiere kostenlos zu den Liftanlagen bringt. Der nächste Schritt zur komplett Auto freien Zone ist auch schon geplant: Ein EU Projekt ist eingereicht, das den Bau einer unterirdischen Garage ermöglichen soll. Dort sollen sämtliche Parkplätze für die Bewohner sowie Hotelgäste von Pfelders untergebracht werden. Etwas, was sicher von den TouristInnen goutiert wird. Sanfte Mobilität beschränkt sich aber nicht nur auf diesen Ortsteil, auch die anderen vier sind mit Bussen im abgestimmten Halbstundentakt verbunden.
Gondelbahn, Zug, … – wie können sich die Hinterpasseirer all diese Angebote und Innovationen überhaupt leisten? Die E.U.M. – Energie- und Umweltbetriebe Moos machen es möglich! Nachdem sich die großen Konzerne früher nicht um die Stromversorgung der entlegenen Dörfer und Wohngebiete kümmern wollten, haben sich die Einwohner kurzerhand zu einer Genossenschaft organisiert und produzieren jetzt ihre eigene Elektrizität aus dem in Übermaßen vorhandenen Wasser der Region. Nicht nur, dass sich dadurch die Öffentlichkeit nicht mehr um die Versorgung kümmern muss, ist der Preis für den eigen produzierte Strom um ca. 50 – 60 Prozent günstiger als der gesetzliche Tarif. Gewinne, die durch den Verkauf dieser Energie an der Grünen Börse eingefahren werden, müssen wieder für das Allgemeinwohl eingesetzt werden – und zwar für nachhaltige Projekte, die wiederum allen BewohnerInnen nützen. Die E.U.M. hat vor Kurzem auch das erste Elektro-Auto für Moos im Passeiertal angeschafft, das als Dienstfahrzeug für den Servicebetrieb eingesetzt werden soll. Die Anschaffung von zwei weiteren Fahrzeugen für soziale Dienste wie Essen auf Rädern und Gemeindedienste ist bereits für die nächsten Monate geplant – das Geld dafür stammt von der Gemeinde. Für die Zukunft soll ein drittes Auto für die Bevölkerung und TouristInnen zu Verfügung stehen, schließlich soll die heute übergebene Ladestation auch ausgelastet sein.
Mangelt es laut einer Studie von EURAC in den meisten Teilen Südtirols noch am Bewusstsein dafür, wie nachhaltige Projekte nicht nur die Zukunft des Tourismus, sondern auch den Klimawandel positiv beeinflussen können, scheinen das die Verantwortlichen in Moos im Passeiertal durchaus realisiert zu haben. Sie sind bereits auf dem Weg, den Harald Pechlaner, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt und ebenfalls bei EURAC, für die Zukunft empfiehlt. Schließlich soll der Tourismus nicht bei sanfter Mobilität Halt machen, sondern in Richtung Nachhaltigkeit gehen. Moos im Passeiertal ist damit auch ein gutes Beispiel dafür, was Peter Brandauer, Gründer und Präsident von Alpine Pearls bei unserem heutigen Gipfeltreffen und Abschluss der Alpine Crossing meint: „Alpine Pearls sind nicht nur eine Tourismus-Vereinigung, sie sind vielmehr eine Philosophie und Lebensweise, die in positiver Weise aus dem Rahmen fällt.“
Über 1.000 km, 850 davon mit dem Bus, einige mit der Bahn, viele zu Fuß, manche mit dem Pferd oder in der Kutsche auf der Alpine Crossing 2011 zurückgelegt. Sechs Alpine Perlen in drei Nationen haben wir besucht, Orte, die nicht nur in ihrer Größe, sondern auch in ihrer Ausgangsposition nicht unterschiedlicher sein können. Aber wie Brandauer so schön meint: „Wichtig ist der Prozess, die vielen 1000 Schritte in Richtung sanfter Mobilität.“
Achja, die nächste Alpine Crossing kommt bestimmt und wird in eineinhalb Jahren in die Westalpen führen. In diesem Sinne: Schön war´s, es hat mich sehr gefreut – wir sehen uns 2013 wieder!
* Der Schneeberggeist ist übrigens ein Likör: Gemacht aus Heidelbeeren, die hier auf dem Schneeberg überwintert haben. Und angeblich enthält er kaum Alkohol, angeblich…